Kunst im Dienst des ‚Heiligen Krieges‘. Zur Lektüre alttestamentlicher Bilderzyklen unter Ludwig IX. von Frankreich (original) (raw)

Emotion, Gewalt und Widerstand

Kunst im Dienst des .Heiligen Krieges'. Zur Lektüre alttestamentlicher Bilderzyklen unter Ludwig IX. von Frankreich Kinder mit weit aufgerissenen Mündern, mitten unter ihnen ein nacktes Mädchen mit halb erhobenen Armen, laufen frontal auf die Betrachter zu, dahinter lässig die Flucht kontrollierende USSoldaten. 1 Am 8. Juni 1972 außerhalb eines soeben zerstörten Dorfs in SüdVietnam entstanden, wurde diese Photographie im darauf folgenden Jahr mit dem PulitzerPreis ausgezeichnet und entfaltete eine breite öffentliche Wirkung. Die internationale Ächtung von NapalmEinsätzen wird nicht zuletzt mit dem appellativen Charakter des Bildes in Verbindung gebracht. Wir sind daran gewöhnt, Bilder historischer Kriegshandlungen als Aufruf zum Vermeiden von Gewalt zu begreifen, und dementsprechend groß ist die Barriere zum Verständnis mittelalterlicher Kriegsdarstellungen. 2 Krieg war damals zu nächst eine selbstverständliche und ehrenwerte Aufgabe der Fürsten. Und am Bestehen dieser Auffassung änderte zumindest in der Praxis auch die sich verbreitende christliche Auffassung nichts, dass ein in rechter Absicht geführter Krieg nicht die Vernichtung des Feindes zum Ziel haben dürfe. 3 So muss es nicht verwundern, wenn bildliche Schilderungen von Gewalt, wie drastisch sie auch ausfallen mochten, im selben höfischeleganten Modus, mit dem selben Material aufwand und mit der selben künstlerischen Perfektion ausgeführt wurden wie der Schmuck kostbarer Codices für die Liturgie oder für die persönliche Andacht (vgl. Farbabb. 1, 5, 6). Eine Bildrhetorik des Schreckens bestand zur Warnung vor den jenseitigen, andauernden Höllenqualen,' kaum jedoch für die Schilderung irdischer und damit endlicher Kriegshandlungen. Erst in Francisco Goyas Desastres scheint die Darstellung kriegerischer Gewalt in einer Art und Weise for muliert, aus der die Parteinahme gegen entsprechende Verhaltensweisen aus den Bildern selbst deutlich wird? 1 Nick Ut, "Vietnam Napalm". 2 Einen allgemeineren kulturhistorischen Einblick in das Phänomen des Krieges im Mittelalter bietet: KEEGAN, John: Die Kultur des Krieges, Reinbek bei Hamburg 1997. 3 Häufig unter Bezug auf Augustinus: SANCTI AURELII AUGUSTINI DE CIVITATE DEI libri XI-XXII (Corpus Christianorum. Series Latina, XLVIII; Aurelii Augustini Opera, Pars XIV, 2),