Verabsolutierte äußere Reflexion? Transzendentalphilosophie der Gegenwart im Spiegel der Hegelschen Wesenslogik, (original) (raw)

»Reflexions-Aberglaube«. Hegels Kritik an Der Transzendentalphilosophie Hchtes

Hegel-Jahrbuch, 2005

Hegel zeichnet in Glauben und Wissen^ mit klaren Worten und nicht ohne Polemik ein Bild der Reflexionsphilosophie Fichtes. Dabei nimmt er vor allem vier zentrale Argumente Fichtes ins Visier und unterzieht sie einer Kritik. Hegel kritisiert die Formalität und Leere des anfänglichen Ich; die Insistenz des Endlichen; den reduzierten Naturbegriff, nämlich bloßes Mittel, nichts an sich selbst und darüber hinaus endlich zu sein; den Dualismus des Sollens, der alle Bereiche des menschlichen Lebens unter den Primat der Endlichkeit steUt. Fichtes Transzendentalphilosophie ist für Hegel eine Synthese der Positionen Kants und Jacobis. Kant repräsentiert für Hegel die Subjektivitätsphilosophie unter dem Prinzip des formalen Denkens, nämlich dem Verstand mit seinen Einheitsfunktionen Schematismus, Einbildungskraft und transzendentaler Apperzeption. Ziel sei bei Kant das kritische Geschäft: Die totalisierenden Schlüsse der Vernunft über ihre Gebundenheit an die Erscheinung hinaus-Seele, Gott, Weh in ihrer Unendlichkeit-gehören nicht zu dem Bereich, über den sich wissenschaftlich sprechen läßt. Damit ist die Vernunft auf ihre endliche Potenz reduziert. Diese Gehalte bleiben jenseits der Sphäre des Erkennbaren und ihre Einheit veiiiält sich bloß abstrakt zum Verstand: wahrhafte Einheit und wahrhafte Gehalte seien reserviert für ein Jenseits, das entweder nur ein Grenzbegriff mit methodologischem Charakter ist oder Gegenstand des Glaubens, der sich explizit nicht als Wissen versteht. Die Idee bleibe bei Kant ein bloßer Gedanke, dem Realität nicht zugesprochen werden könne.^ Von der Idee auf ihre Realität überzugehen sei für Kant daher ein »unnatürlicher bloßer Schulwitz, aus Begriffen eine Realität heraus zu klauben«.^ Jacobi nun habe seinerseits diese Differenz, die in dem nicht zur Vernunft kommenden Verstand besteht, in den Ton subjektiver Empfindsamkeit gekleidet. Bei ihm verwandle sich der Gegensatz für das fühlende Individuum in ein Sehnen und Ahnen, das zu einem Wissen weder kommt noch kommen will. Der Grund, weshalb Hegel die Position Jacobis in diese Reihe von Reflexionsphilosophen stellt, hegt in Hegels Auffassung, Jacobi habe diesen Schmerz der nur gefühlten Differenz, wiederum für das Individuum requiriert, den Schmerz damit ästhetisiert, veredelt zu einem schmerzlosen Schmerz, vergoldet zur Süßigkeit religiöser Empfindung, die sich ihres Selbstgenusses im höchsten Maß bewußt ist. Dadurch sei die Naivität einer pietistischen Selbstbescheidung zu scheinbarer individueller Schönheit geläutert, die im Emstfall-nämlich in Jacobis Romanen-zu nichts anderem reiche als zur »Unzucht mit sich selbst«.'* Beide Positionen seien bei Fichte synthetisiert, so daß, und dies die weitreichendste These Hegels, die Reflexionsphilosophie der Subjektivität mit der Fichteschen Transzendentalphilosophie in der Fülle ihrer Formen vollständig aufund dargestellt, damit geprüft, verworfen und überwunden sei.^

Transzendentale Argumente bei Hegel und Fichte: Das Problem objektiver Geltung und seine Auflösung im nachkantischen Idealismus

2023

How is it possible to arrive at valid conclusions about a mind-independent world through reflection on the necessary conditions of experience and intentionality? The present study develops this problem of objective validity with recourse to the contemporary debate on transcendental arguments. It thereby develops an argument-based approach to two paradigmatic texts of post-Kantian idealism: Hegel’s Phenomenology of Spirit and Fichte’s Science of Knowledge 1804-II. It is shown that Hegel and Fichte try to dissolve the problem of objective validity by using a method of philosophical therapy which takes on the form of an ascent to absolute knowing. The study presents a novel interpretation of Hegel’s Phenomenology, which shows it to have methodological affinities with the paradigm of geometrical construction, and of Fichte’s late Science of Knowledge, which reappraises the role of the conceptual for Fichte. Systematically, a skeptical revenge problem is developed: idealism as such is shown to be fraught with an internal tension between claims to objectivity and skepticism. It is this inner tension that motivates the reflective ascent of the transcendental approach.

Transzendenz bei Hegel und Heidegger

2012

Was ist Transzendenz? In vielen Wissenschaften findet der Begriff heute seine Verwendung. Aber spricht man mit dem gleichen Begriff schon über dasselbe? Offenbar nicht oder, besser gesagt, nicht immer. Wie kann der Begriff Transzendenz einem oft geforderten interdisziplinären Diskurs dienen, wenn seine jeweilige Bestimmung – wie bisweilen deutlich wird – zumeist dunkel bleibt? Andererseits: Wie oder woher ließe sich eine möglichst allgemeingültige Bestimmung der Transzendenz gewinnen? Oder ist es zureichend, wenn jede Wissenschaft „ihre“ Transzendenz so definiert, wie sie ihrer jeweiligen Forschungspragmatik am dienlichsten erscheint? Und was bedeutete dies für den oft geforderten und hin und wieder auch notwendigen interdisziplinären Diskurs? Zumindest die Philosophie gilt als eine Disziplin, die in der Lage sei, auch die ihr jeweils zugrunde liegenden forschungsleitenden Paradigmen mitzureflektieren. Wenn das stimmt, wäre gerade sie prädestiniert, mit einer reflektierten Begriffsanalyse die jeweiligen intern-wissenschaftspragmatischen Begriffsverwendungen auch für den interdisziplinären Diskurs zu öffnen und somit praktisch zugänglich zu machen. Diese Arbeit versucht, dazu einen Beitrag zu leisten, indem sie auf eine deskriptiv-texthermeneutische Weise das Transzendenzverständnis zweier der bedeutendsten deutschsprachigen Philosophen – G. W. F. Hegel und Martin Heidegger – rekonstruiert. Dabei ergeben sich – besonders für ein Vorverständnis, das eher auf die Differenz der beiden Autoren setzt – überraschende Parallelen zwischen den beiden dargestellten Transzendenzkonzeptionen. Parallelen die die Hoffnung als berechtigt erscheinen lassen, früher oder später vielleicht doch ein gemeinsames und damit ein auch interdisziplinär anwendbares Transzendenzverständnis zu gewinnen. Der Verfasser: Alexander Berg studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Psychologie in Dresden, Paris und Florenz.

Zur Genese des transzendentalphilosophischen Praxis-Begriffs

Gegenstand dieser Arbeit ist die Herleitung bzw. das Aufzeigen der Genese des transzendentalphilosophischen Praxis-Begriffs. Das, was im Hinblick auf Kant praktische Vernunft genannt wird, ist eine Folgerung aus den Einsichten der theoretischen Vernunft. Diese Vermittlung, die zwischen theoretischer und praktischer Vernunft besteht, soll in dieser Arbeit gezeigt werden, und als Praxis-Begriff im transzendentalphilosophischen Sinne verstanden werden. Ferner wollen wir uns der praktischen Vernunft selbst zuwenden, um uns dann später, nach dieser Untersuchung, auf die Philosophie Fichtes und seinem Tathandlungs-Begriff beziehen, den er selbst als eigentliche und wahre Transzendentalphilosophie verstanden wissen wollte. Wir werden uns dabei nur auf die Grundlagen, d.h. theoretischen Annahmen Fichtes beziehen, um darin den Gegensatz zu Kant aufzuzeigen. Eine vollständige Ausführung der Praxisphilosophie Fichtes kann diese Arbeit deshalb nicht leisten. Das Aufzeigen der Genese ist daher zum großen Teil der theoretischen Vernunft zugeordnet, wenngleich sie jedoch das Ziel hat, praktische Vernunft grundzulegen. Das ist die wesentliche Bestrebung dieser Arbeit. Auch wenn die praktische Vernunft behandelt wird, so liegt der eigentliche Fokus auf den Explikationen aus der theoretischen Vernunft.

Die absolute Negativität und die Zerrissenheit der Reflexion. Die Wesenslehre als Szenario der Antwort Hegels auf Kant

Hegel-Jahrbuch, Berlin: Akademie Verlag, 2016

zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis […], die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren erstere uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden".1 Das bekannte Zitat von Kant kondensiert das Wesen der Kontroverse des Idealismus mit Kant über das Problem des Systems und des Fundaments der Transzendentalphilosophie. Einerseits ist das Bild der "zwei Stämme" mit der Idee eines unitarischen Systems unvereinbar -zumindest mit der Idee eines Systems, das "aus höchstem Grundsatz sein muss, woraus alle Bestimmungen notwendig abgeleitet sind".2 Andererseits passt die Vorstellung "einer gemeinschaftlichen […] unbekannten Wurzel" nicht zu der Idee eines Fundaments -zumindest in Hinblick auf das Prinzip, "womit der Anfang der Wissenschaft gemacht werden muss".3 Beide Formulierungen zeigen verschiedene Aspekte desselben Problems: Es handelt sich eben um das sogenannte Problem des "Dings an sich", das seit der frühesten Rezeption des Kantianismus als "Achillesferse" der Transzendentalphilosophie gilt. Dieses taucht zunächst auf der Ebene der "zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis" auf und erstreckt sich im Weiteren auf die Ebene der "unbekannten gemeinschaftlichen Wurzel". Im ersten Fall ist das Problem des Dings an sich das Problem eines Verstandes, der nur Erscheinungen (und "nicht die Dinge, wie sie an sich sind")4 erkennen kann. Solch ein Verstand ist bei Hegel letztendlich "selbst Erscheinung und nichts an sich".5 Dahingegen setzt Hegel die Vernunft als Vermögen des Absoluten überhaupt. Gleiches gilt für Kant, der die Vernunft als das "Vermögen der Prinzipien" darstellt. Trotz allem ist aber im zweiten Fall die kantische Vernunft bei Hegel noch unfähiger, die Dinge an sich zu erkennen als der Verstand: Durch die Vernunft werden bei Kant die Dinge an sich gedacht, aber nicht erkannt.6 So wird das Problem des Dings an sich im zweiten Fall vom Bereich des Verstandes im Bereich des Denkens selbst verbreitet, diesmal eben nicht als das Problem eines Verstandes, "der selbst Erscheinung und nichts an sich ist", sondern als Problem einer Vernunft, die "nicht fähig [sei], das Vernünftige zu erkennen".7 Mit diesem zweiten Aspekt des Problems des Dings an sich wird die Situation der Transzendentalphilosophie Kants deutlich verschärft, denn damit entsteht die Unerforschlichkeit des Dings an sich im Bereich der Vernunft selbst; die gleiche Nacht des Dings an sich im Mittag des Begriffes selbst; da, wo letztendlich keine Unerforschlichkeit toleriert werden kann. Hegel nennt dies "die Kantische gedankenlose Inkonsequenz".8 Dies betrifft sowohl die kantische Darstellungsform des Systems als auch die des Fundaments, und zwar insofern beide auf das Problem 1 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft [KrV], B 29.