Der politische Körper als Simulacrum. Zwischen Postdemokratie, Simulation und 'organlosem Körper' - Diplomarbeit (Politikwissenschaften) (original) (raw)

10 Der organlose politische Körper -body politic without organs___________________ 111 11 "Ich bin Legion" (Deleuze/Guattari 1992, 326) -"We are Legion" (Anonymous) ___ 128 12 Schlussbemerkungen _____________________________________________________ 147 13 Literaturverzeichnis______________________________________________________ 154 13.1 Bibliographie_______________________________________________________________ 154 13.2 Internetquellen______________________________________________________________ 160 2 Aus den Oberösterreichischen Nachrichten zu finden unter: http://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/innenpolitik/art385,392335 (zuletzt 14. März 2011). Auch wenn die Lebenszeit des Königs nun durch die politische Überlebenszeit einer Regierung ersetzt wurde, scheinen viele Mechanismen der Körperinszenierungen und Körpermetaphern jedoch beibehalten worden zu sein, und die Rede vom politischen Körper scheint also auch in der Demokratie noch eine entscheidende Rolle zu spielen. In dieser Arbeit soll also der Frage nach der Rolle und dem Status des politischen Körpers in der Demokratie nachgegangen werden. Wenn im Zentrum dieser Arbeit also der politische Körper der Demokratie steht, so muss untersucht werden, wie er entstanden ist, wie sich dieser politische Körper entwickelt hat und wie der politische Körper in verschiedene Demokratietheorien eingearbeitet wurde. Hierzu wird besonderes Augenmerk auf den politischen Körper und dessen Rolle in der Postdemokratie gelegt. Es soll gezeigt werden, dass, obwohl sehr einflussreiche Demokratietheorien wie die von Claude Lefort und Marcel Gauchet, Demokratie als die Entkörperlichung der Politik verstanden haben, Politik niemals frei von Körpern war und in der heutigen Zeit noch mehr von Körpern und ‚Gesichtern' beherrscht ist als jemals zuvor. Diese Arbeit soll eine Geschichte erzählen, nämlich die Geschichte des politischen Körpers, der von der Verdoppelung des Königskörpers, über den postrevolutionären einheitlichen Gesellschaftskörper, von der Inszenierung der PolitikerInnenkörper bis zu der Simulierung des gesamten politischen Körpers, sowohl als Metapher als auch als Realität eine zentrale Rolle im Zentrum der Politik und deren Wandel gespielt hat. Meine erste These wird sein, dass die Entwicklung des politischen Körpers, die in den folgenden Kapiteln ausführlichst erläutert werden wird, parallel zu den von Jean Baudrillard theoretisierten Ordnungen der Simulacren (vgl. Baudrillard 1982, 79) verläuft. Der politische Körper als Simulacrum, so meine These, folgt in seinem ersten Stadium der Ordnung der Imitation, in seinem zweitenbereits demokratischen -Stadium der Ordnung der Produktion, um schließlich im dritten Stadium, dem postdemokratischen Zeitalter, in die Ordnung der Simulation überzugehen. Diese Entwicklung wird im ersten Teil der Arbeit anhand verschiedener Theorien und Überlegungen dargestellt. In einem zweiten Teil soll in aller Kürze auf verschiedene Möglichkeiten einer alternativen Konstruktion des politischen Körpers als radikaleren organlosen Körper in Theorie wie Praxis eingegangen werden. In diesem zweiten Teil soll ein erster Ausblick auf eine Demokratietheorie, die Demokratie als einen Prozess des Werdens zwischen Organisation und Anarchie versteht, skizziert werden. Bevor wir uns in den folgenden Kapiteln der Frage zuwenden, wie sich der politische Körper in der westlichen Entwicklung hin zur Postdemokratie entwickelt hat, und gegen Ende der Arbeit die spinozistische Frage, was der Körper überhaupt kann (vgl. Spinoza 2010, 229), ins Körpers sowie der US-amerikanischen Idee des "body politic" erläutert. In einem nächsten Schritt wird dann anhand des Begriffes der Postdemokratie ausgeführt, wie der politische Körper zu einem simulierten Körper geworden ist, wie das Paradigma der Berechnung des Volkes selbiges auslöscht und nur noch simuliert. Was für den Gesellschaftskörper mit der Theorie von Jacques Rancière und seinem Verständnis von der Postdemokratie gezeigt wurde, soll in einem weiteren Abschnitt auch mit den Körpern der PolitikerInnen, also den StellvertreterInnenkörpern, gezeigt werden, die im ‚Zeitalter der digitalen Aufrufbarkeit' zwischen Dauerwahlkampf und multimedialer Inszenierung ebenfalls zunehmend der Logik der Simulation anheimfallen. Hier soll mit Walter Benjamin gezeigt werden, dass im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit nicht nur die Kunstwerke, sondern mit jenen auch die PolitikerInnen ihre Aura verlieren. Eine besondere Rolle nehmen hierbei die ‚Gesichter' der PolitikerInnen ein, die als eine Serie von künstlich konstruierten ‚Plakatlächeln' zunehmend jeden Inhalt aus der Politik verdrängen. Im letzten Kapitel des ersten Teils soll durch die Theorie von Jean Baudrillard diese in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene Entwicklung des politischen Körpers als Simulacrum innerhalb der Ordnung der Simulacren, wie sie Baudrillard entwickelt hat, rekonstruiert und radikalisiert werden. Im zweiten Teil soll mit einem Rückgriff auf die politische Theorie von Gilles Deleuze und Félix Guattari sowie dem Begriffsinstrumentarium von Baruch de Spinoza ein politischer Körper beschrieben werden, der als hierarchiefreier fluider Körper im Werden Grundlage einer Dynamisierung der Demokratie sein könnte. Es soll also in einem kurzen Ausblick versucht werden, erste Ideen für die Theorie eines organlosen politischen Körpers zu skizzieren. Im letzten Kapitel wird dann diese Vorstellung eines Wechselspiels des organisierten Körpers der Demokratie mit dem organlosen politischen Körper, anhand verschiedener aktueller Protestbewegungen, von #occupywallstreet bis zu Anonymous, zu exemplifizieren versucht. Hierbei soll keine Romantisierung dieser neueren Protestbewegungen stattfinden, sondern vielmehr gezeigt werden, wie diese neuen Protestbewegungen mit einem poststrukturalistischen Begriffsraster verstanden werden können und in eine dynamische Demokratietheorie eingearbeitet werden müssen. Hiermit soll versucht werden, eine Demokratie im Werden zu beschreiben, als Prozess, in dessen Mittelpunkt das Zusammenspiel von postdemokratisch ausgehöhlten Institutionen und gesellschaftlicher Organisierung mit einem anarchistisch anmutenden Demokratisch-Werden -frei nach Rancière verstanden als ‚Aufschrei der Egalität' -steht. 9 I. Transformationen: Von der Imitation bis zur Simulation 3 Von den zwei Körpern des Königs Beschäftigt man sich mit dem politischen Körper und insbesondere mit der Verkörperung von Herrschaft sowie dem Körper des Herrschers, so gibt es einen Namen, an dem man nicht vorbeikann, eine Studie, die immer wieder auftaucht und auch heute -über 50 Jahre nach ihrem Erscheinen -noch immer von enormer Bedeutung ist. Ernst Hartwig Kantorowicz hat mit seinem Buch "Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters" eine umfangreiche Untersuchung zu den juristischen und künstlerischen Verkörperungsmechanismen des englischen Königs während der Tudor-Zeit abgeliefert. Noch heute ist diese Studie von Kantorowicz, die zweifelsohne sein bedeutendstes Werk ist, die ausführlichste Auseinandersetzung mit einem -manchmal wohl etwas befremdlich anmutenden -Phänomen der englischen Rechtssprechung, das dem König zwei Körper zuspricht, einen natürlichen und einen politischen, ein Phänomen, das auch in der bildenden Kunst zu finden ist. Ernst H. Kantorowicz wurde 1895 in Deutschland geboren und machte sich als Historiker 1927 zum ersten Mal einen Namen, als er sein erstes Hauptwerk, eine ausführliche und nicht ganz unumstrittene Biographie zum Staufenkaiser Friedrich II. verfasste. Nach längerem Zögern, da Kantorowicz sich selbst als "deutscher und wahrhaft national gesinnter Jude" (Kantorowicz, 10) verstand, musste er dennoch 1938 aus Deutschland emigrieren, da er sowohl seinen Lehrstuhl aufgeben musste als auch keine Bücher mehr veröffentlichen konnte. Über Oxford und Berkley schließlich nach Princeton begleiteten ihn damals bereits die ersten Kapitel aus seinem zweiten wichtigen Werk, das auch zu seinem bedeutendsten werden sollte und schließlich 1957 auf Englisch erschien und bis heute als Standardwerk gilt, eben "The King's Two Bodies". 1963 starb Kantorowicz schließlich in Princeton. (Biographische Angaben vgl. ebd., 9ff). Kantorowicz wollte mit "den zwei Körpern des Königs" eine Studie vorlegen, die den "geschichtlichen Hintergrund" dieses Begriffes und dieser juristischen Idee erläutern sowie diesen Begriff "in den Rahmen der Gedankenwelt und der politischen Theorie des Mittelalters" stellen sollte. (ebd., 30). Kantorowicz versuchte einen kleinen Teil des "Mythus des Staates", von dem Ernst Cassierer spricht, zu untersuchen (vgl. ebd. 23), indem er sich eben der "mythischen Fiktion" der "zwei Körper des Königs", wie sie in der englischen Rechtssprechung der Tudorzeit entwickelt wurde, widmete (vgl. ebd., 27). Was nun unter der Floskel der "zwei Körper des Königs" zu verstehen ist und welche Ausmaße dieses Konzept, diese juristische und mythische Fiktion hatte, wird in einem längeren Zitat deutlich, das Kantorowicz zu Beginn des ersten Kapitels bringt. Er zitiert hier Edmund Plowden, einen Juristen und Theoretiker der späten Tudorperiode: "Denn der König hat in sich zwei Körper, nämlich den natürlichen (body natural) und den politischen (body politic). Sein natürlicher Körper ist für sich betrachtet ein sterblicher Körper, der allen Anfechtungen ausgesetzt ist, die sich aus der Natur oder aus Unfällen ergeben, dem Schwachsinn der frühen Kindheit oder des Alters und ähnlichen Defekten, die in den natürlichen Körpern anderer Menschen vorkommen. Dagegen ist der politische Körper ein Körper, den man nicht sehen oder anfassen kann. Er besteht aus Politik und Regierung, er ist für die Lenkung des Volkes und das öffentliche Wohl da. Dieser Körper ist völlig frei von Kindheit und Alter, ebenso von den anderen Mängeln und Schwächen, denen der natürliche Körper unterliegt. Aus diesem Grund kann nichts, was der König...