Ethik und Geschlechterdifferenz (original) (raw)
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2021
Ethik und Moral »Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht er. Es ist ein gutes Wort.« Ethische Grundfragen: Ethik ist die wichtigste aller Wissenschaften. Freilich, Wissenschaftler/innen neigen stets dazu, ihre eigene Disziplin für die allerwichtigste zu halten. Für die Ethik spricht jedoch zumindest ihre Fragestellung: Was könnte wichtiger sein als zu wissen, woran wir unser Handeln in letzter Hinsicht orientieren sollen? Welche Einsicht ist bedeutsamer als die Einsicht, worin ein gutes und gelingendes Leben besteht und wie wir ein solches Leben führen können? Was tut mehr Not als die Erkenntnis dessen, was wir unbedingt tun und unterlassen müssen, wie wir uns also überhaupt verhalten dürfen? Kaum jemand wird bestreiten, dass dies Fragen von größter Bedeutung sind. Es sind zugleich Grundfragen der Ethik; Fragen, für die die Ethik seit jeher Zuständigkeit beansprucht hat. Unumstritten war dieser Anspruch allerdings nie. Wer bezweifelt, dass der Ethik unter den Wissenschaften vorrangige Bedeutung zukommt, wird in der Regel nicht die Bedeutung der ethischen Grundfragen in Zweifel ziehen. Eher schon wird sie oder er bezweifeln, dass Ethik-oder dass überhaupt irgendeine Wissenschaft-diese Fragen auf befriedigende Weise beantworten kann. Sollten wir aber, da die genannten Fragen von so eminenter Bedeutung sind, nicht zuerst absolut sicher sein, dass es sich nicht lohnt, sich ernsthaft-mit wissenschaftlicher Akribie-um Antworten zu bemühen, ehe wir ganz von dem Ve rsuch ablassen? Grenzen ethischen Wissens? Ta tsächlich wird seit Beginn der moralphilosophischen Debatte intensiv diskutiert, was Ethik leisten kann und was nicht: Kann und soll sie vor allem Auskunft darüber geben, wie wir ein gelingendes und glückliches Leben führen können? Oder vor allem darüber, was wir überhaupt tun (und insbesondere: was wir anderen Personen antun) dürfen? Kann sie beides (überhaupt nur gemeinsam) oder vielleicht gar nichts von beidem? Handelt es sich bei ethischem Wissen lediglich um allgemeines Umrisswissen, so dass wir uns bei allen spezifischeren Fragen der praktischen Orientierung auf eine Urteilskraft verlassen müssen, die eher der Lebenserfahrung als der Wissenschaft entstammt? Oder kann Ethik (als bereichsspezifische bzw. angewandte Ethik) auch Antworten auf spezifischere Fragen der Handlungsorientierung geben? Ist ethisches Wissen allein hinreichend für richtiges oder gutes Handeln oder muss noch etwas hinzutreten, damit ethische Überzeugungen auch motivierende Kraft gewinnen? Solche Fragen lassen sich allerdings nicht klären, ohne bereits in moralphilosophische Diskussionen einzutreten. Wer herausfinden will, ob ein mathematisches Problem eine Lösung hat oder was Mathematik überhaupt leisten kann, muss sich mit Mathematik beschäftigen. Sucht man Umfang und Grenzen ethischen Wissens zu klären, muss man sich auf die Diskussion der Ethik einlassen. Rehabilitierung der praktischen Philosophie: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat das Ve rtrauen darauf, dass ethische Fragen auf rationale Hauptmann in Büchners »Woyzeck«, Büchner 1984, S. 134
Die leibliche Differenz und Steins Geschlechter-Anthropologie
Warszawskie Studia Teologiczne
Beate Beckmann-Zöller Katholische stiftungshochschule, München, gerMany DIE LEIBLICHE DIFFERENZ UND STEINS GESCHLECHTER-ANTHROPOLOGIE 1 1. AKTUELLE GENDER-DEBATTEN UND STEINS GESCHLECHTERANTHROPOLOGIE "Jede Epoche hat-Heidegger zufolge-eine Sache zu ‚bedenken'. Nur eine. Die sexuelle Differenz ist wahrscheinlich diejenige unserer Zeit", schrieb Luce Irigaray (1991, p.11) der Begegnung von "Phänomenologie und Geschlechterdifferenz" ins Stammbuch. Judith Butler (1997a, 30) antwortete hierauf in "Das Ende der Geschlechterdifferenz?", die Frage nach der Geschlechterdifferenz sei unentschieden und unentscheidbar. Wie versteht die Phänomenologin Edith Stein diesen "gender trouble", finden sich bei ihr Lösungen für das Problem der sexuellen Differenz? In herkömmlichen Anthropologien wurde innerhalb des Person-Seins des Menschen die Vernunftfähigkeit einseitig betont. Zugleich wurde das Phänomen der "Zweigeschlechtlichkeit", verbunden mit dem Phänomen der "Unterschiedenheit in der Leiblichkeit", thematisch vernachlässigt (R. Giuliani 1997, 104-125). B e a t e B e c k m a n n-Z ö l l e r So konnte sich z. B. auch bei Edith Steins Lehrer Husserl 2 ein verborgener Dualismus einschleichen hinsichtlich der Bedeutsamkeit von Geschlechtlichkeit (Beischlaf, Lust und Fruchtbarkeit). Selbst wenn "Leiblichkeit" grundsätzlich als zur Person gehörig behauptet wurde, fand das Phänomen der Geschlechtlichkeit wenig thematischen Raum und erfuhr eine Minderbewertung oder sogar Abwertung (G. Haeffner 2000). Von der Seite der Phänomenologie her haben sich außer Stein nur Merleau-Ponty, Sartre und Levinas mit der Geschlechterdifferenz beschäftigt, wenn auch deren Perspektive zu Recht von Irigaray u. a. als einseitig kritisiert wird. 3 Heute erleben wir in diesem Bereich eher eine Überbewertung des Phänomens des sexuellen Begehrens als "verfehltes Absolutes" (Zizek 2020)-was die Kehrseite der Medaille des vorherigen Verschweigens sein könnte-bis hin zu einer Umwertung in neuen Anthropologien. Edith Stein selbst wird als Phänomenologin, die Geschlechter-Differenz thematisiert hat, selten vom philosophischen Feminismus oder den Gender Studies wahrgenommen, es gibt aber Ausnahmen. 4 Z. B. zieht Haney aus ihrer Untersu