Gerechtigkeitsansprüche und Arbeitnehmerbewusstsein heute-neue Ansätze, neue Befunde (original) (raw)
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Moderne Arbeitsmoral: Gerechtigkeits- und Rationalitätsansprüche von Erwerbstätigen heute
WSI-Mitteilungen
Gängige Zeitdiagnosen malen das Bild einer Wirtschafts-und Arbeitswelt, in der die Ungerechtigkeit zwar wächst, in der zugleich aber auch die normativen und moralischen Grundlagen für Empörung und Protest erodieren. Wo "der Markt" sein Urteil spricht und der "Homo oeconomicus" es exekutiert, da verschwindet scheinbar die Moral und Egoismus wie auch Entsolidarisierung greifen um sich. Auf Basis neuer Forschungsbefunde lässt sich indes zeigen, dass dieses Bild in die Irre führt. Es werden Konturen einer "modernen Arbeitsmoral" und einer "moralischen Ökonomie" sichtbar, in deren Zentrum Ansprüche an eine "konkret nützliche Beteiligungsordnung" stehen, die arbeitspolitisch hoch relevant sind. 1 KNUT TULLIUS, HARALD WOLF 1 Für wichtige Hinweise zur Überarbeitung dieses Aufsatzes bedanken wir uns bei den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Schwerpunktheft-Workshops, insbesondere bei
Prekäre Gerechtigkeit - zur ethischen Bewer- tung zunehmender Unsicherheit im Erwerbs
2014
Wenn es um die sozialethische Analyse und Bewertung des Phänomens der Prekarisierung geht, scheinen mir vier Aufgaben von Bedeutung. Zunächst ist zu klären, was eigentlich in einem sozialwissenschaftlichen Sinn unter ›Prekarisierung‹ zu verstehen ist und welche Bedeutungsvariante als plausibelste erscheint. In einem zweiten Schritt möchte ich die Argumente für und gegen eine Verwendung des Begriffs als Konzept in der sozialethischen Debatte abwägen und für eine solche Verwendung plädieren. Drittens lassen sich dann unter dem Aspekt der Klugheit, des Guten und des Richtigen Kriterien zur ethischen Bewertung des Phänomens darstellen. Schliesslich sollen in einem Ausblick mögliche sozialpolitische Umgangsweisen mit dem Phänomen skizziert werden. 1 Der Begriff der Prekarisierung Die Klärung von Begriff und Konzept der ›Prekarisierung‹ ist schon deswegen nicht ganz trivial, weil sowohl das Konzept wie der Sachverhalt, der damit bezeichnet wird, höchst umstritten sind (vgl. z. B. Barbier 2008, 31-49). Argumente gegen den Begriff sind unter anderem seine unterschiedliche Verwendung in länderspezifischen Diskursen, die nicht zuletzt mit der je unterschiedlichen normativen Einbettung der gemeinten Phänomene zu tun hat (ebd. 41) sowie die These, dass der Begriff in seinem französischen Herkunftskontext letztlich kein soziologisch gehaltvolles Konzept, sondern einen blossen politischen Kampfbegriff darstelle (ebd. 34-36). 1 Als Gegen-(1) Noch deutlicher in Barbier 2004, 7-18; European Xnat Cross-national research papers,
Gerechtigkeitsansprüche an Erwerbsarbeit in der "Vielfachkrise
Arbeits und Industriesoziologische Studien (AIS), 2012
Mit Blick auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Krisenphänomene treten an unterschiedlichen Orten "Legitimationsprobleme" auf. Die Frage, der die Arbeits- und Industriesoziologie verstärkt nachgehen sollte, wäre vor diesem Hintergrund, ob sich Legitimationsprobleme und -verluste auch in der Erwerbsarbeitssphäre feststellen lassen und ob die Arbeitenden auch dort "mehr Gerechtigkeit" und "gerechtere" Entscheidungsstrukturen einfordern. Das liefe auf eine erneute Intensivierung der Beschäftigung mit dem "Bewusstseinsthema" hinaus, allerdings mit neu ausgerichtetem Fokus: auf Gerechtigkeitsansprüche und Kritik an und in Erwerbsarbeit. Wie eine solche Forderung konzeptionell und methodisch eingelöst werden könnte, erprobt zurzeit ein SOFI/ISF-Forschungsprojekt, dessen Stoßrichtung skizziert wird.
Perspektiven der Gerechtigkeitsforschung - zwischen „Sollen” und „Sein”
Soziologische Revue, 2003
Gerechtigkeit hat wieder Konjunktur. Das ist nicht nur auf den ersten Blick verblüffend. So meldet die Armuts-, Ungleichheits-und Bildungssoziologie stichhaltige Belege für die wachsenden Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft, während sich die gesellschaftlichen Eliten im Grunde einig sind, dass das System der sozialen Sicherungen in seiner überkommenen Gestalt nicht mehr finanzierbar ist und in Richtung auf mehr Eigenverantwortung und Marktsteuerung umgebaut werden muss, was zu weiteren, bislang ungekannten sozialen Härten in Deutschland führen wird. In dieser Situation erscheint es von besonderem Interesse, normative und empirische Perspektiven der Gerechtigkeitsdiskussionen im Sinne einer interdisziplinären Gerechtigkeitsforschung miteinander zu verknüpfen. Überblickt man jedoch die (inter-)disziplinären Forschungen zum Thema Gerechtigkeit, so lassen sich drei thematische Hauptstränge unterscheiden, die nach wie vor relativ isoliert voneinander diskutiert werden: Der erste Diskussionsstrang setzt bei den Verteilungsordnungen oder-prinzipien an und fragt grundsätzlich danach, wie eine soziale gerechte Verteilung aussehen könnte. Da es um die normative Begründung sozialer Gerechtigkeitskonzeptionen geht, wird dieser Diskurs vor allem innerhalb der Philosophie ausgetragen. Er hat natürlich insbesondere durch die Gerechtigkeitstheorie John Rawls und ihrer Kontrahenten wichtige Impulse erhalten.
Gerechtigkeit und Marktwirtschaft - das Problem der Arbeitslosigkeit
Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 2008
Zwei wesentliche Perspektiven, Arbeitslosigkeit zu untersuchen, sind die der Gerechtigkeit und die der Effizienz. Unverschuldete Arbeitslosigkeit wird als ungerecht empfunden. Zugleich wird häufig argumentiert, dass Arbeitslosigkeit zu gesellschaftlichen Wohlfahrtseinbußen führt, da Arbeit als Produktionsfaktor in erheblichen Umfang nicht genutzt wird. Dieses zweite Argument ist unmittelbar ein Effizienzargument. Beide Argumente führen möglicherweise zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen davon, (i) warum Arbeitslosigkeit überhaupt ein Problem ist und (ii) von welchen Grundlagen man ausgehen sollte, um diesem Problem zu begegnen. Wir werden diese Fragen zu beantworten suchen, indem wir sie aus den beiden genannten Perspektiven betrachten. (Abschnitt 1). Die Perspektive der Effizienz ist die der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice), die auf dem Menschenbild oder Modell des Homo oeconomicus beruht (Abschnitt 2). Dieser werden wir in Abschnitt 3 eine andere gegenüberstellen, deren Basis das Menschenbild des Homo politicus ist. Den Homo politicus verstehen wir als einen Menschen, der in seinem Handeln vom Interesse an der Errichtung und Erhaltung eines gerechten politischen Gemeinwesens geleitet ist. Im Abschnitt 4 wenden wir uns dem Thema der Gerechtigkeit zu, indem wir die Konzepte der Ordnungsgerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit darstellen und diskutieren. Die Beziehung zwischen Gerechtigkeit und Marktwirtschaft wird in Abschnitt 5 untersucht. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um in Abschnitt 6 das Thema Marktwirtschaft und Arbeit und in Abschnitt 7 die Beziehung zwischen politischer Verantwortung und Arbeit.zu behandeln. Schließlich untersuchen wir in Abschnitt 8 wirtschaftspolitische Perspektiven für den Arbeitsmarkt am Beispiel von Hartz IV. In Abschnitt 9 erläutern wir, dass die Idee der Ordunungsgerechtigkeit als Orientierung in der arbeitsmarktpolitischen Debatte verwendet werden kann. JEL-Classification: A13, D3, D63, E24, J00
Gerechtigkeitsgefühle: Eine Einführung
Was ist gerecht? Wer diese Frage stellt, ahnt schon, dass die Antwort darauf nicht leichtfallen wird. Denn Menschen beantworten diese Frage zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Kontexten, in unterschiedlichen Gefühlslagen, vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sachverhalte, eben höchst unterschiedlich. Warum das so ist, und unter welchen Bedingungen Menschen G-rechtigkeitsbewertungen vornehmen, ist eine wichtige Frage für die empirische Rechtsforschung. Hierzu möchte der vorliegende Band mit einer spezifischen Perspektive beitragen: mit dem Blick auf Gerechtigkeitsgefühle. Wir gehen davon aus, dass Affekte und Emotionen für die Gerechtigkeitsbewertungen von Menschen eine wichtige Rolle spielen. Gerechtigkeitsbewertungen sehen wir in der Nähe des Problems der Legitimität, also der Frage, wann und unter welchen Umständen Menschen rechtliche oder quasi-rechtliche Ordnungen als legitim, d.h. als gerechtfertigt und unterstützenswert wahrnehmen. Gerechtigkeitsgefühle verstehen wir daher als die affektiven und emotionalen Bewertungen der Legitimität normativer Ordnungen. Dieser Band versammelt zwei einordnende und sieben ethnographische Beiträge, die Gerechtigkeitsgefühle, ihre Ursachen und Wirkungen, in verschiedenen kulturellen und rechtlichen Kontexten beschreiben und analysieren. In die-sem einleitenden Beitrag gehen wir zunächst auf die Forschungstraditionen zu Affekten, Emotionen und Recht ein, die dieser Band aufgreift und zusammen-führt. Anschließend stellen wir unseren Arbeitsbegriff von Gerechtigkeitsgefühlen vor, auf den die anschließenden Beiträge in ihren Fallstudien Bezug nehmen. Schließlich geben wir einen einführenden Überblick über die versammelten ethnographischen Studien.
Schmitz, Christop/Urban, Hans-Jürgen (Hrsg.): Das neue Normal - Konflikte um die Arbeit der Zukunft, Bund-Verlag Frankfurt am Main 2023, S. 63-74, 2023
Ob im Handwerk, im verarbeitenden Gewerbe, im öffentlichen oder privaten Dienstleistungssektor: Überall in Baden-Württemberg werden sich auf dem Weg in das Jahr 2030 gewaltige Veränderungen vollziehen. Schon lange befinden sich Wirtschaft und Gesellschaft des Landes in einer tiefgreifenden Transformation. Die Krisen der jüngsten Zeit, die hinzukamen (Corona, Ukraine-Krieg), haben den Prozess zusätzlich schwieriger gemacht. Der Anspruch der Gewerkschaften ist: Es muss dabei gerecht zugehen. Unser Leitbild ist ein Baden-Württemberg mit einer starken Wirtschaft und einer guten Daseinsvorsorge. Das Land soll selbstverständlich die Klimaziele einhalten. Der notwendige Klimaschutz erfordert eine massive Transformation von Produkten und Produktionsverfahren in dem stark industriell geprägten Südwesten. Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele ist auch eine gelingende Verkehrswende. Für den Ausbau der Nah-und Regionalverkehrsangebote der Bahn beziehungsweise ihre Ertüchtigung ebenso wie für die Stärkung von Daseinsvorsorge und Bildung sind erheblich höhere öffentliche Investitionen des Landes und der Kommunen erforderlich. Der Wandel wird nur gelingen, wenn es keine Verlierer:innen gibt. Deshalb pochen die Gewerkschaften auf Gerechtigkeit im Wandel: bei der Transformation der Industrie, der Energie-und Verkehrswende und der Bewältigung der Pandemie genauso wie angesichts exorbitant steigender Energie-und Lebensmittelpreise und selbst für die Mittelschicht nicht mehr leistbarer Mieten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist ausdrücklich zu widersprechen, wenn er andeutet, die Kosten der zukünftigen Veränderungen seien zu einem großen Teil auf die Beschäftigten abzuwälzen: »Wir müssen uns auf (…) härtere Einschnitte einstellen. Der Staat kann nicht alles ausgleichen. Dazu muss jeder von uns seinen Beitrag leisten, es wird weniger zu verteilen geben.« 1 Umgekehrt ist es richtig: Wer viel hat, wie die Reichen und Vermögenden, kann auch mehr beitragen. Dem Staat kommt dabei eine aktive, umverteilende und auch gestaltende Rolle zu. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften, immer wieder auf die verteilungspolitischen Defizite hinzuweisen, 1 Zitiert nach FAZ 7. 4. 2022.