Zwischen Distanzierung und Differenz bei Erziehung (Ricœur – Derrida) (original) (raw)
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Entre distanciation et Différance dans l’éducation (Ricœur – Derrida)
2006
Zusamenfassung Auf dem Weg des Textverstehens bedient sich die Hermeneutik Ricoeurs der sog. Distanzierung, die miteinbezieht, dass das Subjekt des Verstehens über das Lesen, das Hören, das Sehen aus sich selbst austritt, und fordert notwendigerweise eine Art von Andersheit. In dieser Andersheit könnte man auch Derridas "differAnce" erkennen, die in ihren Folgen in eine völlig andere Richtung führt als Ricoeurs Begriff der Distanzierung. Die beiden Autoren können besonders auf dem gemeinsamen Feld der Metapherforschung verglichen werden. Ist für Ricoeur die wahre Metapher nur die lebendige, diejenige, die neue Bedeutungen schafft und von ihm aus den gegenwärtigen Theorien Blacks und Richards abgeleitet wird, so ist für Derrida in Die weiße Mythologie die ganze Philosophie nur vergessene Metaphorik, die zunächst zum eigenen Tode und danach noch mittelbar zum Tode der Philosophie führt. In dieser immer mehr globalisierten Welt, wo sich auf der einen Seite alle Grenzen und Unterschiede verwischen, tauchen auf der anderen Seite Fundamentalismen auf, die um jeden Preis die Unüberwindlichkeit dieser Unterschiede zu zeigen versuchen. In dem gegenwärtigen europäischem Vereinigungskonzept wie bei jedem anderen Erwachsenwerden haben Erziehung und Ausbildung eine wichtige Rolle bei der Bewahrung der eigenen Identität und der Vorbereitung auf das Verstehen der anderen und auf das gemeinsame Handeln. Es scheint, man könnte mit Hilfe von Ricoeurs Begriff der Distanzierung diese zweifache Forderung vereinen. Da aber diese Ansicht über das Erziehungs-und Ausbildungsgebiet wieder in eine "neue Mythologie" geraten könnte, die man als Grundlage der fundamentalistischen Abkapselung versteht, ist es notwendig, diesen Prozess mit Derridas Kritik zu verfolgen. Schlüsselwörter Hermeneutik Ricoeurs, Derridas "différance", Distanzierung, Tod der Philosophie, Fundamentalismen Einleitung Das Sprechen über Differenz, die heute eine eher kreative Sicht auf Bildung ermöglichen würde, verlangt schon im Voraus die Distanzierung vom Versuch, einen absolut zutreffenden Begriff zu schaffen, der den Inhalt dieses Versuchs zusammenfassen würde. Es geht nicht nur um Unterschiedlichkeit der Traditionen, sondern vor allem um Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen. Wenn man wirklich nur bei Erziehung bleiben und nicht in Dressur verfallen will, die immer nur Gewalt über den zu Erziehenden voraussetzt, muss man ihm einen Raum der eigenen Kreativität lassen. Zugleich muss man dabei berücksichtigen, dass alle Erziehungsversuche, die diesem Antrieb, dieser Neigung gefolgt sind, in Gefahr sind, die direkte Verbindung mit der Überlieferung und ihrer Autorität entzweizureißen. Der Identitätsbegriff, der in hohem Maße durch die Übertragung der Kul-66
Bildung und Differenzkompetenz
2021
"Differenzkompetenz" ist in Bildungsprozessen als die Fähigkeit zu verstehen, unterschiedlichen "Modi der Welterschließung" gerecht zu werden, die als Struktur eines kanonischen Orientierungswissens die Grundlage moderner Allgemeinbildung darstellen. Bildungstheoretisch fundierte Religionsdidaktik bezieht sich auf diese Struktur der Allgemeinbildung. Der Umgang mit den "Modi der Welterschließung" hat nicht als subjektive "Wahl" zu erfolgen, sondern als sachgerechte Urteilsbildung.
100 Jahre Politikwissenschaft in Hamburg, 2021
A blog entry on the conferral of an honorary doctorate to Jurgen Habermas at Universitaet Hamburg in 1989, now republished in an edited collection on political science in Hamburg.
Jacques Derridas Begriff der différance als Motor und Bewertungskriterium wissenschaftlicher Praxis
Ich zeige, warum es sich lohnt, sich mit Rheinbergers Übertragung Derridas in eine »Epistemologie des Konkreten« zu beschäftigen. Denn das Denken Derridas stellt die Mittel bereit, eine Ontologie wissenschaftlicher Praxis zu schreiben, die den Dynamiken historischer Einzelfälle gerecht werden kann. Darüber hinaus wird différnace, bzw. das, was Rheinberger daraus macht, ein Bewertungskriterium wissenschaftlicher Praxis. Nach einer kurzen Erinnerung an die Begriffe différance, Iteration und Spur bei Derrida, werde ich Rheinbergers Anwendung dieses Denkens skizzieren, um dann mit der These abzuschließen, dass Rheinbergers Arbeit Ansprüche einer normativen Ontologie stellt und damit nicht nur unseren Blick auf Wissen, sondern auch klassische Subjektbegriffe in Frage stellt.
Anna Degler, Jan von Brevern: Editorial Distanz. Ein Annäherungsversuch
Editorial Distanz. Ein Annäherungsversuch (with Jan von Brevern), in: Special Issue "Distanz". issue # 3/23 of 21: Inquiries into Art, History, and the Visual (ed. with Jan von Brevern), published 2023-09-27, pp. 349-360, 2023
Mit Sekundenkleber haben sich zwei Mitglieder der Protestbewe gung Letzte Generation an der Wand unterhalb des Gemäldes Getrei deschober (1890/91) von Claude Monet festgeklebt [Abb. 1]. Kleider, Rucksäcke und Dosen liegen auf dem Boden verstreut und verwei sen auf die Eile, mit der die Aktion ausgeführt wurde. Unmittelbar zuvor haben die Aktivist:innen das Gemälde im Museum Barberini in Potsdam mit Kartoffelbrei beworfen [Abb. 2]. 1 Die Wahl des Wurfmaterials scheint keiner besonderen Logik zu folgen. Der Akt des Werfens hingegen ist für die Frage nach Distanz möglicherweise aufschlussreich. In seiner nachgelassenen Schrift Beschreibung des Menschen diskutiert Hans Blumenberg eine grundlegende These der Anthropologie: Dass der Mensch sich von anderen Lebewesen vor allem dadurch unterscheide, auf Distanz handeln zu können. Das Werfen-ein Vermögen, das sich bei kei nem Tier evolutionär so entwickelt habe wie beim Menschen-ist dabei die Urszene dieser humanen Fähigkeit zur actio per distans. "Eine Antwort auf die Frage, wie der Mensch möglich sei", fasst Blumenberg zusammen, "könnte daher lauten: durch Distanz." 2 Es geht uns nicht darum, die verzweifelte Aktion der Letzten Generation zu einer zutiefst humanen Handlung aufzuwerten. Uns interessieren allerdings die widerstreitenden Aspekte einer Ethik und Ästhetik der Distanz, die darin zum Tragen kommen: mit dem Werfen eine basale Körpertechnik der Distanz und mit dem Fest kleben eine Kulturtechnik der unmittelbaren körperlichen Nähe. Beides bedeutet eine Verletzung von Abstandsregeln und damit indirekt eine Bestätigung von historisch gewachsenen Abstands normen. Im Übergang von der kultischen zur ästhetischen Ver ehrung von Kunst musste der Nahsinn des Tastens hinter den Distanzsinn des Sehens zurücktreten. Martin Warnke hat heraus gearbeitet, wie in diesem Zuge bereits in der Frühen Neuzeit eine 1 http://twitter.com/AufstandLastGen/status/1584198680479137792?s=20 (26.07.2023).
Lektüre(n) einer Differenz:Mystik und Dekonstruktion
2013
Die zweifellos größte Herausforderung fur die Literaturwissenschaft in den letzten beiden Jahrzehnten ging vom sog. "Poststrukturalismus" aus, der, aus Frankreich kommend, auf den theoretischen Voraussetzungen des klassischen Strukturalismus aufbaut und diesen zugleich überwindet.! War bereits für den klassischen Strukruralismus nach Ferdinand de Saussure die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung das Produkt ihrer differentiellen Zeichenstruktur, so öffnet die neostrukturalistische Theoriebildung das bei Saussure noch als geschlossen gedachte System der Sprache in die prinzipielle Unbegrenztheit der Kombinationen und Relationen in der Ordnung der Zeichen. Damit ist die Wiederholbarkeit identischer Bedeutungenund hier liegt der Hauptanstoß, den man am Poststrukturalismus genommen hattheoretisch geleugnet Die zentrale Gestalt der neostrukturalistischen Diskussion ist Jacques Demda, dessen grundlegende Schrift De la grammatclogie 1967 erschien (dl 1974). Sein theoretischer Neuansatz, der sich mit dem Namen der 'Dekonstruktion' verbindet, hat zu einer ungewöhnlichen Polarisierung innerhalb der literaturt) Vgl. Manfred Frank, Was ist Neoslnlkturalismus?, Frankfurt a. M. 1983. 2) So werden beispielsweise game Bücher gegen die Dekonstruktion geschrieben. Vgl John M.
Zwischen Distinktion und Risiko
In diesem Beitrag wird von zentralen Ergebnissen eines Forschungsprojektes berichtet, das den Stellenwert von Gleichaltrigen für die schulischen Bildungsbiographien von zunächst elfjährigen Kindern untersucht und dabei gleichzeitig auch die Rolle von Peergroups für die Reproduktion von Bildungsungleichheit mit in den Blick nimmt. Nach einer einleitenden Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zum Interdependenzverhältnis von schulischen Bildungsverläufen, Peers und sozialer Ungleichheit im Kontext der Kindheits-und Schulforschung werden die Ziele, die theoretischen Bezüge und das Forschungsdesign des Projekts skizziert. Anschließend werden am Beispiel von zwei Fällen zwei zentrale Muster zum Zusammenhang von schulischen Bildungsverläufen, Peerorientierungen und deren Einbindung in milieuspezifische Erfahrungsräume verdeutlicht. Zum Abschluss wird das gesamte Spektrum der empirisch herausgearbeiteten Muster beschrieben und auf den aktuellen Forschungsdiskurs zu Mikroprozessen sozialer Ungleichheit an der Schnittstelle von Schule und Peerkontexten bezogen.
Die Ausdifferenzierung familiärer Erziehungsnormen
2008
In dieser Arbeit wird uber ein Modell zur Messung sozialer Normen berichtet, das die Messung von Normen unabhangig von den Einstellungen der untersuchten Personen erlaubt. Ein Mesmodell, das diese Voraussetzung erfullt, impliziert prazise Annahmen sowohl uber das Zusammenwirken von Einstellungen und Normen als auch uber die Ausdifferenzierung von Normen. Je heterogener eine Gruppe ist, desto enger sind die Sachverhaltsbereiche, bezuglich derer gemeinsame Normen ausgebildet werden. In der empirischen Erprobung des Modells werden ehepaarspezifische Normen der Bewertung negativ intendierter Handlungen in Erziehungskontexten untersucht. In the present contribution a model for measuring social norms is discussed. This model allows to measure norms and attitudes independently of each other. A measurement model which meets this presupposition implies precise assumptions regarding the way how attitudes and norms act together and how subgroup norms are differentiated from group norms. The mo...