"Es hat keiner auch nur ein Wort darüber verloren". (original) (raw)
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"Was sie erlebt hatten, ließ sie schweigen."
Frieden und Krieg im mitteleuropäischen Raum. Historisches Gedächtnis und literarische Reflexion, 2017
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird im tschechischen kollektiven Gedächt-nis durch die Entstehung der Ersten Republik im Jahre 1918 in den Hintergrund gerückt und nicht als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wahrgenommen. Anhand des Romans Große, kleine Schwester (1998) von Peter Härtling, insbesondere eines Kapitels über den 28. Juni 1914 in Brünn, wird folgenden Fragen nachgegangen: Ist die brutale Brünner Szene vom 28. Juni 1914 eine Vorwegnahme der Gräuel der zuküntigen Wendepunkte des 20. Jahrhunderts, einschließlich des Brünner Todes-marsches, die im Roman weitgehend ausgeblendet bleiben? Ist der Satz "Was sie erlebt hatten, ließ sie schweigen" ein Appell an den Leser, den verschwiegenen Kom-mentar des deutschen Böhmer, dessen jüdischen Geschäftspartners Ribasch bzw. des tschechischen Dieners Lersch mitzudenken? Ist die explizite Erwähnung von "schweigen" ein literarisches Mittel, das den Wechsel vom kommunikativen zum literarischen Gedächtnis, von der individuellen zur großen Geschichte zu über-brücken versucht? Die Szene mit dem von deutschsprachigen Brünnern gelynchten Serben wird vor dem Hintergrund der Berichterstattung im Brünner Tagblatt Tag-esbote aus Mähren und Schlesien kritisch hinterfragt und veranlasst Überlegungen über Unterschiede im rekontruktiven Gedächtnis der tschechischen und deutschen Leser Härtlings. Brno ist den meisten Germanisten vor allem als Robert Musils Stadt B. vetraut, also als eine typische kakanische Stadt in Mähren. Der Mann ohne Eigenschaf-ten geht allerdings nur auf die Friedenszeit der Stadt ein, auf das Brünn vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, auf die Stadt, die nach dem Grundsatz des Sowohl-als-auch oder noch lieber des Weder-noch regiert wurde 1. Dann brach der Erste Weltkrieg aus, diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, gefolgt von 1 "Kakanien war von einem in großen historischen Erfahrungen erworbenen Mißtrauen gegen alles Entweder-oder beseelt und hatte immer eine Ahnung davon, daß es noch viel mehr Ge-gensätze in der Welt gebe, als die, an denen es schließlich zugrunde gegangen ist, und daß ein Gegensatz durchgreifend ausgetragen werden müsse. Sein Regierungsgrundsatz war das Sowohl-als-auch, oder, noch lieber mit weisester Mäßigung das Weder-noch." (Musil 1987, 1445) Frieden_und_Krieg(2).indd 379 02.08.17 08:38
»Wahrheit ist, dass derjenige, der nichts riskiert, nichts tut, nichts hat«
2017
Die Komodie verfolgt die Schicksale von sieben Frauen und Mannern fortgeschrittenen Alters, die sich zufallig begegnen, da sie alle das gleiche Ziel haben: Sie wollen ihren Lebensabend fern ihrer britischen Heimat in einem Luxushotel in Indien verbringen. Dort angekommen mussen sie realisieren, dass ihre kunftige Bleibe so klapprig ist wie sie selbst. Was folgt, ist gleichsam als Update des uralten Grimm’schen Marchens von den Bremer Stadtmusikanten fur uns, die wir in der Postmoderne leben, zu verstehen. Aktivitat, Kreativitat, Humor und andere psychische Abwehrmechanismen bewirken, dass nicht nur die Protagonisten im Film, sondern gleichermasen die Zuschauer – gerade die alteren – hier erleben, dass im Alter die Sonne nicht untergehen muss, sondern im Gegenteil, dass sie auch dann noch aufgehen kann! Denn jeder neuen Lebensstufe wohnt ein Zauber inne, wenn man nur positiv gestimmt herangeht! Dann kann der Tod warten.
„Das wussten wir schon lange, heute sagen wir`s!“
Sozial Extra, 2018
Die Entwicklung eines Kinderschutz-Falleingangsteams im Jugendamt Deutschlandweit bilden sich in Jugendämtern Teams, die sich auf den Falleingang von Kinderschutzmeldungen spezialisieren. Diese Entwicklung wirft in vielen Jugendämtern fachliche und organisationale Fragen auf, wie etwa "Wie kann ein neues 'Expert_innenteam' für akute Kinderschutzfälle in der ohnehin originären Aufgabe der Kinderschutzarbeit der Jugendämter seinen Platz nden?" Der Beitrag stellt den Prozess der Organisationsentwicklung in einem Jugendamt, der dialogisch die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in den regionalen Teams einbezieht, exemplarisch dar. Carmilla Eder *1984 Sozialpädagogin (BA), Projektmitarbeiterin in einem partizipativen Forschungsprojekt im Setting Kita, führte im Rahmen ihres weiterbildenden Masterstudiums "Kinderschutz-Dialogische Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen und im Kinderschutz" an der ASH Berlin als "Dialogische Qualitätsentwicklerin" das Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Regina Rätz durch.
„DIESMAL NICHT“. Zur Enteignung der Trauer
Texte zur Kunst, Nr. 126 , 2022
Wer wird betrauert, und wie erobern sich Personen, die als Unbetrauerbare gelten, ihre Betrauerbarkeit zurück? Spätestens seit Bekanntwerden der NSU- Morde und seit den rassistischen Morden von Hanau, bei dem ein 43-Jähriger am 19. Februar 2020 zehn Menschen und sich selbst tötete, ist die Aberkennung von Verlust und Trauer Gegenstand antirassistischer Initiativen. Aber auch die affekttheoretische Rassis- musforschung zielt durch Entpathologisierung der Traumaerfahrungen rassifizierter Menschen auf eine Veränderung der Trauerarbeit, um diese als politische Artikulation sichtbar zu machen. Im Folgenden zeichnet die Soziologin Çiğdem Inan die lange Geschichte von Täter-Opfer-Umkehrungen im Kontext rassistischer und rechter Gewalt in Deutschland nach und entwickelt in diesem Zusammenhang die theoretische Figur der „ent- eigneten Trauer“.
„Es gibt keine Wahrheit“ kann nicht die Antwort sein (Interview in diskurs 4, 2019)
diskurs, 2019
Frieder Vogelmann ist Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen im Bereich Politische Theorie. Gegenwärtig untersucht er unter anderem die Wirksamkeit und politische Bedeutung von Wissen und Wahrheit und hat kürzlich einige Interventionen zur Debatte um die Ära der Postfaktizität verfasst. Für die diskurs Ausgabe ‚Wahrheit und Politik‘ sprachen wir mit ihm über seine Einschätzung der Debatte, das Verhältnis von Politik und Wahrheit und die Fragen, die diese Debatte für die poststrukturalistische Sozialwissenschaft bereithält. Das Gespräch führten Clelia Minnetian und Janosik Herder
„Glaub nicht immer, daß Du Deine Worte von Tatsachen abliest.“
Conceptus, 2014
ZusammenfassungErinnerung ist für Wittgenstein ein komplexer Vorgang, der mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten verbunden ist. Dies gilt besonders für seine Überlegungen zur Erinnerung einer Absicht – ein in der Wittgenstein-Literatur bis dato vernachlässigter Aspekt, obwohl er in diversen Manuskripten des Nachlasses hervorsticht. Nach Wittgenstein erlaubt uns der Erinnerungsvorgang nicht, uns eine vermeintliche Absicht „vor Augen zu führen“, dennoch verwenden wir den sprachlichen Ausdruck, um mittels einer Erinnerungsbeschreibung eine vergangene Absicht zu äußern. Nur was bringen wir damit aber zum Ausdruck? – Da die Worte sich weder auf Tatsachen beziehen noch mit diesen korrespondieren, kommt es zur paradoxen Situation, dass jemand sich des Inhalts einer Absicht zu erinnern meint, nicht aber der einstigen Worte. Dies wirft im Umkehrschluss die Frage auf, was unter diesen Umständen die Artikulation der Erinnerung einer Absicht überhaupt aussagen soll und kann, und weiterhin, was ...