Zum Sprachverständnis in der Migrationsdebatte in Deutschland (original) (raw)
Hinter der öffentlichen Debatte um die sprachliche Vielfalt in Deutschland verbirgt sich oft ein Sprachverständnis, in dem der Begriff Sprache anstelle von Inhalten oder ethnischen oder sozialen Zuordnungen verwendet wird, oder der Wunsch nach der Messbarkeit der persönlichen Integrationsleistung des Zuwanderers oder der Zuwanderin die Sprache zum "Schlüssel" instrumentalisiert. Diesem problematischen Sprachverständnis setze ich eine Beschreibung der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit in Deutschland und der daraus bereits gezogenen bildungspolitischen Konsequenzen entgegen, gemeint als Beitrag zur Entspannung der Diskussion um die sprachliche Vielfalt in Deutschland. Verhandlung von Sprache im Kontext von Migration und Integration: Vier Beispiele Erstes Beispiel: In Berlin-Neukölln hat vor einigen Jahren ein Laden für islamische Bekleidung aufgemacht. Das ist an sich nichts Besonderes; diese Läden gibt es allerorten, meist erkennt man sie gar nicht, weil sie recht unscheinbar sind und nur auf Türkisch oder in arabischer Schrift eine kleine Inschrift darauf hinweist, was verkauft wird. Bei diesem Laden war es etwas anderes: "Islamische Boutique" stand in großen Lettern über dem Eingangund zwischen den Schaufenstern war die Koransure 24:31 zitiert, die den Frauen gebietet, sich gegenüber dem Mann zu verhüllen: in deutscher Sprache, auf großen Lettern, Gold auf Schwarz. Heinz Buschkowsky, bekannter (inzwischen ehemaliger) Bezirksbürgermeister von Neukölln, fand das problematisch. Mit der Koransure werde, ich zitiere aus der Berliner Zeitung vom 5. September 2011, eine "sehr orthodoxe Sichtweise des Korans plakativ in den öffentlichen Raum getragen", und das sei der Integration "nicht dienlich". Dass das Koranzitat in deutscher Sprache widergegeben wird, das setzt für ihn "noch einen drauf". Nicht dass Deutsch verwendet wird, ist das Problem, sondern was auf Deutsch verhandelt wird. Daraus spricht die enttäuschte Hoffnung, dass mit dem Sprachwechsel zum Deutschen bei den Zugewanderten möglichst auch eine Akkulturalisierung einhergehe.