Saudi-Arabiens und Irans Regionalpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus (original) (raw)

Iran Ideologie Strategie

Auf erstem Blick mag es verwundern, die Interdependenz zwischen Strategie und Ideologie anhand der Islamischen Republik Iran zu thematisieren. Doch sprechen gleich mehrere Gründe dafür: Erstens die Tatsache, daß die Islamische Republik Iran als ideologisches Staatswesen aufgefaßt wird. Das heißt, Teheran agiert im Rahmen einer gewissen Weltdeutung und Weltsicht. Das läßt sich schon daran erkennen, daß die Iraner ein der Forschung zugängliches Schrifttum zur eigenen Ideologie produzieren und die eigene Ideologie als anti-westlich bzw. antiimperialistisch versteht. Zweitens ist Iran aus westlicher, sprich EU und NATO Sicht, ein problematischer Akteur. Und zwar nicht nur wegen seines konkreten politischen und militärischen Verhaltens in der Region sondern eben auch wegen der -vermuteten oder unterstellten -Intentionen, die sich wiederum aus der Ideologie speisen. Darüber hinaus, drittens, ist Iran ein wichtiger Akteure und machtpolitischer Faktor in der Region, der sich nicht ignorieren läßt und der mannigfaltige Beziehungen zu den westlichen Demokratien unterhält: mit Ausnahme der USA hat Iran diplomatische Beziehungen zu allen westlichen Demokratien. Deutlich wird dies am Beispiel des Abschlusses des Nuklearabkommens zwischen Iran und den EU/E3+3, was eine diplomatischen Aufwertung Teherans bedeutet. Das erklärt auch, viertens, warum wir in diesem Aufsatz die bislang größte und absolute Herausforderung für den Westen nicht behandeln: Al-Qaida und ISIS. Während beim ISIS die Fronten klar zu sein scheinen, herrscht beim Umgang mit Iran nach wie vor Verwirrung. Eine Analyse des Nexus Ideologie und Strategie dieses Akteurs soll helfen, das widersprüchliche Verhältnis zu klären. (I) Ideologie und Strategie in Okzident und Orient Ideologie und Strategie im Okzident Der Begriff der Ideologie geriet im Okzident ab den 1970er Jahren durch die Diskursanalyse Jürgen Habermas, Jean-Francois Lyotards und vor allem Michel Foucault aus der Mode. 1 Gegen die Aufgabe des Ideologiebegriffs in der Philosophie und Politikanalyse sprach sich Anfang der 1990er der marxistische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton energisch aus. 2 Allerdings blieb Eagletons Wirkung auf akademischer Ebene beschränkt und wurde im strategischen Schrifttum meines Wissens kaum berücksichtigt. Größeren Einfluß auf strategisches Denken -allerdings mehr im Sinne der "grand strategy" -hatte Francis Fukuyama. 3 Dieser rief nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Ende der Geschichte und damit einhergehend auch das Ende der Ideologien aus. Mit dieser These postulierte Fukuyama einen erwünschten Endzustand, nämlich die politische, militärische und ökonomische Hegemonie der USA, quasi als posthistorischen und vermeintlich ideologiefreien Normalzustand der Welt. Dieser Normalzustand beinhaltet den weltweiten Siegeszug der freien Marktwirtschaft und der Demokratie. Die USA hätten damit die Voraussetzungen für den "ewigen Frieden" im Sinne Immanuel Kants geschaffen, auf den sich auch die Gründungscharta der Vereinten Nationen beruft. Die globale Herrschaft der Amerikaner wurde in (West)Europa anstandslos akzeptiert und entweder verschämt mit dem Oxymoron einer "wohlwollenden" oder "liberalen Hegemonie" versehen oder als "pax americana" historisiert und zum (teuren) "globalen öffentlichen Gut" hochstilisiert. 4 Europa würde mit den USA zwar um die Weltmärkte konkurrieren, die Verteidigung des alten Kontinents jedoch weiterhin von der NATO wahrgenommen werden sodaß die Formulierung einer eigenen Sicherheits-und Verteidigungspolitik oder der Aufbau eines eigenen militärischen Arms im Wesentlichen auf Symbolpolitik beschränkt blieben (GASP, ESVP). 5 Im Gegensatz zu Fukuyama betonte Samuel T. Huntington 1993 eine kommende "Konfrontation der Kulturen" (Clash of Civilisations, oft simplifizierend mit Kampf der Kulturen übersetzt). Er brachte damit kulturelle und kulturgeographische 1 Jürgen Habermas, Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften, V, Frankfurt aM 1985; Michel Foucault, L'ordre du discours,

Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus: wie die Außenpolitik Irans gemacht wird

2013

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Vom internationalen Paria zum regionalen Partner? Das Atomabkommen mit dem Iran und dessen geopolitische Implikationen

Das endgültige Atomabkommen der Islamischen Republik Iran über ihr Atomprogramm mit den Vertretern der sogenannten P5+1-Gruppe vom 14. Juli 2005 bedeutet einen Wendepunkt in den westlich-iranischen Beziehungen. Beide Seiten haben zum ersten Mal ernsthaft und in gutem Willen miteinander verhandelt. Kann dies einen Neustart in den belasteten Beziehungen des Westens mit dem Iran bewirken und welche Folgen hätte ein solcher? Diesen Fragen soll im folgenden Artikel kurz nachgegangen werden.

Staat und Religion im Islam: die Versuchung des Integrismus

Die politische Aufgabe von Religion, 2011

In der religiös-politischen Gemeinschaft der Muslime führte im Abstand weniger Jahrzehnte nach Mohammeds Tod (632 n. Chr.) 2 genau der irdische Erfolg, der als vornehmstes Unterpfand göttlichen Segens galt, also die unerhört rasche Ausbreitung muslimischer Herrschaft über die Arabische Halbinsel hinaus in die angrenzenden alten Kulturregionen, zu innergemeindlichen Verwerfungen. Die Rückkehr zu Mohammeds Vorbild bzw. die »Urgemein de« unter seiner Leitung als ideale und zugleich realisierbare Norm zur Überwindung von Konflikten und »Ungerechtigkeiten« in Gesellschaft und Herrschaftsverband begann als Lösung aller Probleme schlechthin einen immer wichtigeren Platz im kollektiven Gedächtnis einzunehmen 3. Die im Vorstehenden als nicht weiter zu begründende Prämisse implizierte Doppelgesichtigkeit der anfänglichen Vergemeinschaftung der Muslime als religiöser wie als politischer Organisation bedarf womöglich dennoch einer knappen Erläuterung. In der Umwelt von Mohammeds frühester Verkündigung war die Allianz zwischen politischer Herrschaft und herrschendem religiösen Bekenntnis der Regelfall, ob in Ostrom, in Armenien oder Äthiopien, im sassanidischen Iran oder dessen zeitweiligem Vorposten Jemen 4. Die arabische Halbinsel, bzw. im besonderen Mohammeds Heimatregion Hedschas, existierte, wenn auch in einem gewissen Unterdruck, keinesfalls in einem Vakuum, weder in religiöser noch sonst in irgendeiner