Menschenrechtspolitik, in Weidenfeld/Wessels, Jahrbuch der Europäischen Integration 2021, S.267-273 (original) (raw)
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und die Europäische Kommission haben im März 2020 einen gemeinsamen "EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024" vorgeschlagen. Damit soll es der EU gelingen, sich besser auf der Welt für diese EU-Grundwerte einzusetzen. Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Aktionsplänen wird mehr Augenmerk auf einen weiteren Grundwert gelegt: die Rechtsstaatlichkeit. Ein Feld, das die EU auch intern zunehmend beschäftigt. 1 Der Aktionsplan sieht für die Jahre 2020-2024 fünf Schwerpunkte vor: Schutz und Stärkung des Einzelnen, Aufbau resilienter, inklusiver und demokratischer Gesellschaften, Förderung eines globalen Systems für Menschenrechte und Demokratie, Nutzung der Chancen und Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus dem Einsatz neuer Technologien ergeben und mehr Ergebnisse durch internationale Zusammenarbeit. 2 Falls der Aktionsplan nun im Rat der EU einstimmig als eine Politik der EU von strategischem Interesse angenommen wird, so könnte der Rat künftig über Fragen, die diesen Plan betreffen, mit qualifizierter Mehrheit befinden, was ein großer Schritt hin zu mehr Effizienz wäre.
Im Frühsommer 2012 verabschiedete der Rat der Europäischen Union einen auf zehn Jahre angelegten "Strategischen Rahmen für Menschenrechte und Demokratie" sowie einen Aktionsplan für dessen praktische Umsetzung. Für den Innenbereich der Menschenrechtspolitik (auf den sich dieses Kapitel stets beschränkt) fehlt solch ein "strategischer Rahmen" aller Beteiligten, der die gesamte Grundrechtsausrichtung der Union in eine strukturierte Gesamtstrategie bringen würde. Eine solche wurde allerdings von wissenschaftlicher Seite zum Jahrtausendwechsel eingefordert. 2 Während Elemente dieser "Agenda" insbesondere nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verwirklicht wurden, 3 gibt es bislang keine Anzeichen für eine derart konzertierte Gesamtausrichtung im Innenverhältnis der EU. Doch von Stillstand kann keine Rede sein.
Jahrbuch der Europäischen Integration
Das Jahr 2010 steht -nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages -insbesondere für eine neue Rechtsgrundlage der EU. Diese neue Vertragsgrundlage setzt die Union unter eine neue, verdoppelte Menschenrechtsbindung. Einerseits ist die Union in Form der Grundrechtecharta nunmehr mit einem eigenen rechtsverbindlichen Menschenrechtskatalog ausgestattet. 2 Andererseits ist die EU verpflichtet, sich dem Menschenrechtschutzsystem des Europarates zu unterwerfen und der EMRK beizutreten. 3 Darüber hinaus bereicherte der Vertrag von Lissabon das EU-Primärrecht um neue Querschnittklauseln, die insbesondere auf eine diskriminierungsfreie, gleichheitsgesinnte Gesellschaft abzielen. 4 Wesentlich ist, dass mit dem Vertrag von Lissabon die Zuständigkeit des Gerichtshofes im Bereich der vormaligen so genannten ‚Dritten Säule', also dem Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, wesentlich ausgedehnt wurde. Vor dem Hintergrund dieser Neuerungen wurde der seit Anfang Dezember 2009 in Rechtskraft stehende Vertrag als beachtlicher Fortschritt im Menschenrechtsbereich betrachtet. 5 So stellt etwa das Parlament recht optimistisch fest, dass, "die Tätigkeit der Europäischen Union glaubhafter wird, da sie sich auf einen neuen oder neu gestalteten rechtlichen Rahmen stützt, einschließlich neuer Bestimmungen über den Schutz der Grundrechte." 6 Interessant ist, dass neuere Entwicklungen auf EU-Ebene darauf hindeuten, dass die neuen primärrechtlichen Grundlagen durchaus bereits institutionellen Einfluss zeigen. Nach der Beschreibung einiger Elemente dieser neuen "Post-Lissabon-Ära" wird hier auf die grundrechtsrelevanten Aspekte des Stockholm Programmes eingegangen, welches die Aktivitäten der Europäischen Union in den Bereichen Justiz und Inneres für die Jahre 2005-2014 vorausplant. Anschließend wird ein Blick auf die Arbeit der EU-Grundrechteagentur geworfen. Letztlich werden noch die Ratifikation der EMRK sowie der BRK (UN-Behindertenrechtskonvention) angesprochen.
Die wichtigsten grundrechtlichen Entwicklungen und Prioritäten des vergangenen Jahres lassen sich im Jahresbericht der Grundrechtagentur, 2 im Bericht über die Anwendung der EU-Charta der Grundrechte der Europäischen Kommission 3 sowie den entsprechenden Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union 4 und der Entschließung des Europäischen Parlamentes 5 nachvollziehen. Neben den Grundrechtscharta-spezifischen Feststellungen widmen sich die diesjährigen grundrechtlichen Schlussfolgerungen des Rates auch den Themenbereichen Sicherheit, Rassismus, Asyl und Immigration, digitaler Binnenmarkt, Opferschutz sowie den Rechten des Kindes. Der Bericht des Parlaments -Grundlage für die erst im Herbst 2015 anzunehmende Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union -ist im Vergleich hierzu thematisch deutlich breiter. Er widmet sich zusätzlich auch folgenden Problematiken: Meinungsfreiheit und Medien, Religionsfreiheit, Gleichheit und Diskriminierung, der Förderung von Minderheiten, der Situation der Roma, 6 Gewalt gegen und Gleichstellung von Frauen, Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen, Personen mit Behinderungen, Altersdiskriminierung, Hasskriminalität, Obdachlosigkeit, Korruption und den Zuständen in Gefängnissen. Hier ist nicht der Platz, all diese thematischen Entwicklungen nachzuzeichnen. Vielmehr wird der Beginn einer neuen Legislaturperiode zum Anlass genommen, strukturelle Fragestellungen in den Vordergrund zu stellen. Nach einer Beschreibung des neuen institutionellen Umfelds, widmet sich das Kapitel dem Mainstreaming von Grundrechten, also der Frage, wie grundrechtliche Überlegungen immer und überall mitbedacht werden können. Schließlich wird noch kurz auf die Frage des Beitrittes der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingegangen.