Anthropologische Aspekte des Mensch-Natur-Verhältnisses (original) (raw)
Anthropologische Aspekte des Mensch-Natur-Verhältnisses 9 Anthropologische Aspekte des Mensch-Natur-Verhältnisses 9 Anthropologische Aspekte des Mensch-Natur-Verhältnisses Die Frage, welche Natur der Mensch schön findet oder geradezu, was der Mensch an Naturerfahrung "braucht", wird häufig als eine Frage nach seiner biologischen Ausstattung diskutiert. Es gibt einige Ansätze, die ein quasi angeborenes Naturbedürfnis mit der biologischen Evolution des Menschen in Verbindung bringen und daraus auch soziokulturelle Verhältnisse abzuleiten versuchen. Sehr verbreitet und prominent werden solche Positionen in der naturbezogenen Gesundheitsforschung vertreten (siehe Kapitel 7, kritische Zusammenfassung Völker 2016). Aber auch in der Natur-und Umweltpädagogik sind solche biologischen Begründungen unseres Naturbedürfnisses und darauf bezogene normative Positionen sehr verbreitet. "Die sich selbst steuernde Natur in ihrer ganzen Fülle, Vielfalt und Unfassbarkeit ist eine Quelle für ethische, geistige, emotionale und ästhetische Anregung, die uns dafür zur Verfügung steht. Natur ist ein Lehrmeister, weil der Mensch und seine Kulturalität körperlich, sozial und psychisch aus der Naturgeschichte hervorgegangen ist und immer noch in Grundzügen ihren Regeln folgt" (Jung 2012, S. 10). Für diese anthropologisch und evolutionär fundierte Naturverbindung benutzt Jung den Begriff des "Psychotops" (Jung 2017, 2020/21). Natürlich lassen sich keine sozialen, kulturellen, subjektiven Phänomene denken, die im Gegensatz zur biologischen Ausstattung des Menschen stehen, aber ob unsere Naturorientierungen und auch andere Werte und Normen vorwiegend als Ergebnis natürlicher, also auch evolutionärer Prozesse zu verstehen sind, ist damit natürlich noch nicht geklärt, auch wenn dies einer weit verbreiteten und auch verständlichen Intuition entsprechen sollte (Daston 2018). In Kapitel 3 über den Naturbegriff ist ein damit in Verbindung stehender (ethischer) Naturalismus bereits kritisch angesprochen worden und so sind auch die im vorliegenden Kapitel vorgestellten anthropologischen Zusammenhänge in dem dort diskutierten dialektischen Spannungsverhältnis von Natur und Kultur zu verstehen. Driver und Greene (1977) behaupten, dass es eine angeborene Tendenz des Menschen gibt, möglichst naturnahe Stimuli zu "suchen". Das sind solche Reize, die in relativer Übereinstimmung mit der psychischen Ausstattung des Menschen sind, welche ihrerseits als ein Ergebnis evolutiver Anpassungsmechanismen an die jeweils natürliche Umwelt verstanden werden müssten. Am deutlichsten zugespitzt wird diese Annahme in der sogenannten "Biophiliehypothese" von Wilson (1984). Diese Hypothese besagt, dass es