Alternative und komplementäre Heilmethoden in der Neuzeit, hg. von Elisabeth Lobenwein / Gerhard Ammerer / Alfred Stefan Weiß (original) (raw)

"Solches müssen wir festiglich gläuben, und zugestehen, daß unser Leben, unsere Gesundheit und alle unsere Bewegung davon abhange, und in unserem Blute bestehe, und denen Säfften, die daraus entspringen, und wieder dahin lauffen, welche durch ihre Röhre allezeit umb und umb geführet werden: so daß unsere gantze Form nichts anders ist, als von grossen und kleinen Röhren zusammen gesetzet, welche gefüllet seyn mit continuirlich-lauffenden Säfften und // Feuchtigkeiten unterschieden an Art, Lauff, Ort und Verrichtung." 29 Das Wirken der menschlichen Organe und aller Lebensfunktionen hängt demzufolge vom Umlauf des Blutes und der anderen Körpersäfte ab, wobei Bontekoe neben dem Blut vor allem der "Milch" (Lymphe) eine wichtige Funktion zuweist. Allerdings bleiben die wirklichen Stoff wechselvorgänge noch undeutlich. Die Körperwärme zum Beispiel entsteht seiner Theo rie nach durch die Reibung der im Blut befindlichen Teile. In Versuchen wird das Blut bereits in seine Bestandteile zerlegt (zelluläre Masse, Plasma), ohne dass diese Bestandteile erklärt werden könnten. Die Blutkörperchen, in der zeitgenössischen Mikroskopie bereits sichtbar gemacht, finden ebenfalls noch keine Erwähnung. 30 Auf der Grundlage dieser Theorie erklärt Bontekoe die Entstehung von Krankheiten durch Verletzung des Gefäßsystems, durch Verstopfung desselben oder durch eine Verdickung oder "Schärfe" der Körpersäfte. Lassen sich alle Krankheitsursachen auf diese drei Gründe ein schränken, ist die ausgeklügelte medizinische Terminologie unnötig, mit der die Gelehrten nach Bontekoes Meinung Verwirrung stiften. 31 Wie sich die cartesianische Philosophie nur auf ein einziges Prinzip, das des methodischen Zweifels, zurückführen lässt, so bemüht sich auch Bontekoe offensichtlich, ein einziges, allge meines Krankheitsprinzip auszumachen. Dies ist für ihn der Skorbut (Scharbock), der als Wur zel aller anderen Gebrechen gilt, weil durch ihn scharfe (saure) Körpersäfte entstehen, die für die Zerstörung des anatomischen Röhrenapparates im Menschen und somit für den langsamen Fluss der Körpersäfte, bis hin zum Stillstand, verantwortlich sind. Diese Lehre aber, so Bonte koe selbstbewusst, sei neu und eine rechte Ketzerei: "Es wird aber nöthig seyn, weil dieses gantz neu ist, und in der Medicin heute zu Tage für eyne Ketzerey solte gehalten werden, zu erweisen, daß, gleichwie nur ein Tod ist, der das Leben wegnimmt, indem er verursachet, daß der Umblauff der Säffte stille stehet, auch schlechter Dinge nur eine eintzige Kranckheit sey: welche uns beliebet mit dem Nahmen des Scharbocks zu tauffen, weil kein allgemeiner Wort zu finden, wiewohlen dasselbte, auch von den Medicis selbst niemahlen recht erkläret worden. Und nennen wir demnach den Scharbock eine Kranckheit, welche die Säffte leimigt, scharff und träge machet, woraus Verstopffung und Zerreissung der Röhre, auch Auströpffelung der Säffte, und derselben Stillstehung in unterschiedenen Orten geschiehet. Wir wollen aber kürtzlich erweisen, daß hieraus alle andere Kranckheiten, und was deme anhängig ist, entstehen." 32 Der Kampf mit den Autoritäten 23 33 Über die Geschichte des Skorbuts und seiner Bekämpfung siehe Kenneth J. Carpenter, The History of Scurvy and Vitamine C (Cambridge 1986), vor allem 29-42. Auch der ZedLer erwähnt, dass Bontekoe im Skorbut (Scharbock) den Grund zu allen Krankheiten gesehen habe. Kritisch wird angemerkt: "Denn nachdem Bontekoe in seinem Buche von dem menschlichen Leben und Gesundheit, den Grund zu allen Kranckheiten in dem Scharbocke hat suchen und setzen wollen; Als hat sich diesen Namen fast jedermann belieben lassen, um sich dessen in allen unbekannten Kranckheiten zu bedienen, und ein Schwerdt zu haben, worauf man sich verlassen, und womit // man nicht einen, sondern viele schwere Knoten auflösen könnte." Johann Heinrich ZedLer, Grosses vollstän diges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste (Leipzig 1732-1754), XXXIV: 880-881. http://www. zedlerlexikon.de/index.html?c=blaettern&seitenzahl=453&bandnummer=34&view=100&l=de (letzter Zugriff: 13. 3. 2015). 34 Vgl. die Schrift Cornelis bonteKoe / Steven bLanKaart, Gebruik en Misbruik van de Thee, Mitsgaders een Verhandelinge wegens de Deugden en Kragten van de Tabak. Hier nevens een Verhandelinge van de Coffee, Met des zelfs krachten in gezonde, en ongezonde (Den Haag-Amsterdam 1686). Einzusehen via www.dbnl.nl (letzter Zugriff: 13. 3. 2015). Der Tee hat nach den Autoren eine alkalische Wirkung, die die scharfen und sauren Teilchen im Blut neutralisiert und somit Krankheiten mildern kann. Außerdem macht er das Blut und den Schleim flüssiger, so dass der Umlauf der Körpersäfte wieder ungehindert funktioniert; nach Bontekoe und Blankaart eine Vorausset zung für die Gesundheit des Organismus.