Drei-Klassen-Gesellschaft? Bruch? Konfrontation? Eine Auseinandersetzung mit Andreas Reckwitz’ Diagnose der »Spätmoderne« (original) (raw)

Theorie der Spätmoderne in der Krise? Oder: Schattenboxen mit den Kollegen Reckwitz und Rosa

Soziologische Revue, 2022

Wie die Jungfrau zum Kinde kam. Oder Einladung, dem gesellschaftstheoretischen Boxing Event des Jahres 21-22 beizuwohnen Es ist wohl offensichtlich, dass die Ko-Autorin dieses Autor:innen Teams, geboren im Sternzeichen der Jungfrau, zu dieser Buchrezension kam wie die Jungfrau zum Kinde: die Einladung, das gemeinsame Buch der Kollegen Reckwitz und Rosa im Rahmen eines Essays zu besprechen, tauchte völlig unerwartet im Schoße meines Emailpostfachs auf. Unerwartet deshalb, weil ich mich erstens bisher mit den Arbeiten beider Kollegen eher querlesend beschäftigt hatte. Zweitens, weil der essayistische Publikationsstil ganz offensichtlich nicht zu meinem Brot-und Butter-Geschäft gehört, wie meine empirisch-analytisch geprägte Vita zeigt. Nichtsdestoweniger haben Gesellschaftstheorien seit Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn Eingang in meine Forschungsarbeiten gefunden. In jüngster Zeit gilt das auch für Arbeiten des Kollegen Reckwitz; und zwar vermittelt durch meine Zusammenarbeit mit dem Ko-Autoren dieses Beitrags, Mirko Braack, der das Werk des Kollegen seit Jahren deutlich intensiver und mit größerer Begeisterung als ich studiert hatte. Vor diesem Hintergrund hatte ich seit längerem vorgehabt, mich eingehender mit der Reckwitzschen Gesellschaftstheorie zu beschäftigen. Ich

Die Erfindung des ›ästhetischen Kapitalismus‹: Andreas Reckwitz und die Schicksale von Ästhetik und Sozialkritik

With his theory of ›aestheticization‹ Andreas Reckwitz claims a fundamental revision of sociology. Loheit analyses the theoretical grammar in which questions concerning the aesthetic become the standard of criticism for a renewal of society and capitalism takes the shape of an ›aesthetic economy‹. Reckwitz’ ›aesthetic criticism‹ of capitalism leads, as the analysis shows, not just to a systematic disarticulation of social criticism, it furthermore destroys the ability to make distinctions as developed in tradition of enlightenment; for this ability is crucial for any theory that claims to be critical.

Biographie und „modernisierte Moderne“: Überlegungen zum vorgeblichen „Zerfall“ des Sozialen

2000

Zusammenfassung Der folgende Beitrag beschaftigt sich mit Prozessen der „Biographisierung“ im Laufe der Moderne. Dabei wird besonders die biographiegenerierende Funktion der Institutionen untersucht. Ihre Bedeutung beim Entstehen biographischer Reflexivitat in der fruhen Moderne scheint heute durch eine Krise ihrer Funktion als biographische „Stichwortgeber“ abgelost worden zu sein. Die Pointe des Beitrags besteht daher in der Forderung einer neuen Art „institutioneller Selbstreflexivitat“. Abstract The following essay deals with processes of ‘biographising’ in modernised societies. Particular attention is paid to the function of institutions in generating biographies. Their significance for the emergence of biographical reflexivity in early modern times seems today to have declined as a result of a crisis of their function as biographical ‘watch-words’. The focal point of the article is the call for a new kind of ‘institutional self-reflexivity’.

Von "Neuer Unterschicht" und Prekariat. Gesellschaftliche Verhältnisse und Kategorien im Umbruch. Kritische Perspektiven auf aktuelle Debatten

Die »neue Unterschicht« ist disziplinlos, arbeitsscheu, dumm, fettleibig, fernsehsüchtig - kurz: »Unterschichtler« sind asozial. Solche Zuschreibungen beherrschen die aktuelle Debatte über die »Unterschicht« und das »Prekariat« in seiner »abgehängten« Form. Doch wer wird hier eigentlich beschrieben und was für ein Bild von Gesellschaft wird dabei produziert? Neben der kritischen Auseinandersetzung mit Mainstream-Diskursen über »die da unten« wird Prekarisierung in diesem Band auch als gesamtgesellschaftliches Phänomen in den Blick genommen. »Unterschicht« und Prekarität werden dabei aus sozialwissenschaftlichen, künstlerischen und lebensweltlichen Perspektiven thematisiert.

(2018) Die "Tragödie der Kultur" und die Relevanzkrise der Spätmoderne

Soziopolis, 2018

Je mehr der Mensch „Buch an Buch, Kunstwerk an Kunstwerk, Erfindung an Erfindung“ reiht, desto geringer wird seine Chance, diese Kulturgüter zu überblicken und aufzunehmen. Das hat der Philosoph und Soziologe Georg Simmel schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgestellt. Vielleicht verwundert es, dass diese Diagnose bereits über hundert Jahre alt ist, beschreibt sie doch unsere heutige Gegenwart nur zu treffend. Simmel bringt damit eine genuine Dynamik der modernen Gesellschaft und ein spezifisch modernes Gefühl auf den Punkt, das er als „Tragödie der Kultur“ bezeichnet. „Tragisch“ nennt Simmel diesen Zusammenhang erstmals 1909 in einem kurzen Debattenbeitrag, in dem er über „Die Zukunft unserer Kultur“ nachdenkt. Bereits hier spricht er von einem „immer weiter klaffenden Abgrund zwischen der Kultur der Dinge und der der Menschen“. In dem Aufsatz „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“ von 1911 gründet er seine Diagnose auf eine Reflexion des Wesens der Kultur. Er wird sich mit dem Thema in weiteren Texten bis zu seinem Tode im Jahr 1918 immer wieder auseinandersetzen.

Verdrängt, vernachlässigt und vergessen? Die classes populaires als neue/alte ‚Paragesellschaft‘?

Paragesellschaften. Imaginationen – Inszenierungen – Interaktionen, 2021

Seit geraumer Zeit schon wird in Frankreich eine zunehmende Unsichtbarkeit der classes populaires in den zentralen Diskursen Frankreichs beklagt. Wenn wir uns im Folgenden der spezifischen Repräsentationsproblematik widmen, die das Volk im Allgemeinen und die classes populaires im Besonderen betrifft, so geht es im Wesentlichen darum, einen in Frankreich überaus virulenten Diskurs der, wie es heißt, Verschleierung sozialer Wirklichkeiten zu beschreiben, an dem Politik, Medien, Wissenschaften und Kultur partizipieren. Ziel ist es, einen Zusammenhang zwischen politischer Heimatlosigkeit, kultureller Marginalisierung und ästhetischer (vor allem literarischer) Repräsentation zu beschreiben, der insbesondere aus den classes populaires eine ,Gesellschaft in der Gesellschaft‘ macht, die um politische und kulturelle Anerkennung und Sichtbarkeit ringt und die als politischer und wissenschaftlicher Reflexionsgegenstand erst seit Kurzem (wieder)entdeckt wird.

Das Matriarchat und die Krise der Modernität

Feministische Studien, 1991

Das Matriarchat und die Krise der Modernität* »Wer es unternähme, die Nachwirkung des >Mutterrechts< vollständig zu schildern, hätte gleich eine Geschichte der neueren Ethnologie und Soziologie zu schreiben.« 1 So lautet das Urteil Kail Meulis über eines der berühmtesten Werke der Altertumswissenschaft, das zum Zeitpunkt seines Erscheinens, 1861, von der Fachwelt nahezu unbeachtet geblieben war 2 , dann aber so etwas wie ein »Klassiker« wurde. Gemeint ist »Das MutterrechL Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der Alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur« von Johann Jakob Bachofen. Kaum eine Konzeption, die in der Altertumswissenschaft entwickelt worden ist, hat so sehr über die Grenzen des Faches hinausgewirkt wie die in diesem Buch dargebotene Idee des Matriarchats. Ihrer angenommen hat sich nicht nur die Soziologie und Ethnologie, auf die Karl Meuli in seinem Nachwort zur Neuedition des >Mutterrechts< im Rahmen der Gesammelten Werke Bachofens von 1948 verweist; auch in den Werken und Konzeptionen von Literaten und Psychologen, in den Religions-und Rechtswissenschaften hat sie ihre Spuren hinterlassen. 3 Vor allem aber verdankt die Konzeption ihren Ruhm der Tatsache, daß sie die Grenzen der Wissenschaft überschritten hat und der Begriff »Matriarchat« in das Alltagsvokakular zur Bestimmung des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtem eingedrungen ist. 4 Auf dieses Wissen rekurrieren jüngste Zeitungsberichte über heute noch auffindbare Spuren eines vergangenen Matriarchats in Ländern der Mittelmeerwelt ebenso 5 wie die zur Zeit der ersten Terroranschläge der RAF von Publizisten gezogenen Parallelen von weiblichem Terrorismus und Matriarchat. »Für höchst wahrscheinlich, ja nahezu sicher« hält der Psychologe Peter R. Hofstätter es, »daß die Frauen in der terroristischen Bewegung sich am Konzept des Matriarchats orientieren, das ihnen zumindest aus Bebels Buch >Die Frau und der Sozialismus< bekannt ist«. 6 Daß das Matriarchat das eine Mal als durchaus positive Welt, das andere Mal als Schreckensherrschaft vorgestellt wird, verwundert nicht. Die mit der Idee verbundenen Konnotationen * Für eine ausfuhrliche Diskussion der hier behandelten Thematik siehe meinen Beitrag »Rationalitätskritik und Weiblichkeitskonzeptionen. Anmerkungen zur Matriarchatsdiskussion in der Altertumswissenschaft«, in: Beate Wagner-Hasel (Hrsg.), Matriarchatstheorien der Altertumswissenschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (im Erscheinen).

1896-1900: Moderne im Schatten der Väter, der Professoren und der ‚Nationalpflicht‛? Versuch einer Re-/Konstruktion

2012

Vor kurzem machte Daniel Vojtěch auf mehrere Ereignisse der Prager Literaturszene im Jahre 1897 aufmerksam, welche – wie er glaubt – die Versuche um eine deutsch-tschechische, am Anfang des 20. Jh. weiter entwickelte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kunst vorwegnehmen. Erstens handelte es sich um einen Literaturabend im Saal des Hotels U anglického dvora [Zum englischen Hof] am 17. Mai (KOSTRBOVÁ 2011: 422f.), zweitens um den Almanach Moderne Dichtung, dessen zwei Bände von zwei Prager deutschjüdischen Dichtern, Josef Adolf Bondy und Alfred Guth, herausgegeben wurden. Vojtěch stellte einen Unterschied in den Differenzierungsprozessen fest: Während die tschechischen ‚Modernisten‛ sich schon aus dem Patronat der Älteren lösen konnten, definierten „die jungen deutschen Autoren [...] ihre Position hingegen im Rahmen einer weiter gefassten deutschen Literaturtradition“ und thematisierten aus ihr – „vermutlich auch aus taktischen und institutionellen Gründen – ihren gesamten Schaffenskon...