Kritische Frömmigkeit (original) (raw)

1998, Hermeneutische Blätter

Kann man heute überhaupt noch von "Frömmigkeit" sprechen? Das Wort scheint überholt, abgetan, und es besteht wenig Hoffnung, es neu aufwerten zu können. Es lässt gleich negative Assoziationen aufkommen, wie etwa in fol genden Ableitungen: frömmeln, Frömmler, Frömmelei, frömmlerisch. So be zeichnen denn auch in spontanem Verständnis die Wörter "fromm" und "Frömmigkeit" religiöse Einstellungen, die eher wirklichkeitsfremd, in sich selbst verschlossen, wenig gesprächsfähig sind, und deshalb das genaue Ge genteil von Freiheit evozieren. Von diesem Verständnis her beurteilt scheint die Verbindung, die meine Überschrift andeutet, schlechterdings absurd: wenn es so etwas wie Frömmig keit überhaupt noch gibt, dann ist sie nicht kritisch, sondern viel eher unkri tisch. Für sie ist kritisches Denken gefährlich, bedrohend, und deshalb ist sie nicht bereit, sich auf die kritischen Infragestellungen des Denkens einzulassen, siedelt sich lieber jenseits des Denkens an. Trotzdem möchte ich es versuchen, gerade durch diese anscheinend frag würdige Verbindung einen neuen Zugang zum Thema Frömmigkeit zu finden. Doch zunächst soll die Berechti gu ng dieses Versuchs noch etwas genauer er örtert werden.