Stark in der soziologischen Konzeption, schwach in der historischen Umsetzung – Gabriel Abend über die Kontingenz der Wirtschaftsethik (original) (raw)

2016, Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik

Gabriel Abend, assoziierter Soziologieprofessor an der New York University, hat ein so ambitioniertes wie anregendes Buch über den "moral background" geschrieben. Darunter versteht er eine gleichsam unsichtbare dritte Ebene, in der Ethik allgemein und Wirtschaftsethik im Besonderen analysiert werden können. Die beiden anderen Ebenen gehören in Abends Terminologie dem sichtbaren "Vordergrund" an: Auf der Verhaltensebene lässt sich zum Beispiel beantworten, wie moralisch sich Menschen verhalten, oder warum und wie häufig sie gegen bestimmte Normen verstossen; auf der normativen Ebene lassen sich Aussagen dazu machen, was in einem bestimmten Kollektiv überhaupt als moralisch und unmoralisch betrachtet wird, oder was für informelle und formelle Regeln gelten. In Abgrenzung dazu definiert Abend den moralischen Hintergrund als Set von sozio-kulturell kontingenten Elementen, die nicht per se moralisch sind, sondern die Ressourcen bereitstellen, welche die normativen Urteile und Strukturen des moralischen Vordergrundes erst ermöglichen. Das erste Hintergrundelement nennt er Grundierung ("grounding"). Damit sind Antworten auf Fragen wie die folgenden gemeint: Was macht etwas moralisch oder unmoralisch? Und warum soll eine Person moralisch handeln? Daran schliessen sich als zweites Element kognitive Konzepte oder Ideen an. Diese können, müssen aber nicht moralisch aufgeladen sein. Als Beispiele nennt Abend Integrität, Würde, Toleranz, Verantwortung oder Menschlichkeit einerseits und Möbel oder Spazieren andererseits. Das dritte Element ist das Objekt der Beurteilung: Auf wen und was können moralische Konzepte angewendet werden? Wer oder was ist der moralischen Beurteilung überhaupt zugänglich? Die weiteren analytischen Bestandteile des moralischen Hintergrunds sind: Methoden und Argumente-welche Gründe werden für eine moralische Beurteilung anerkannt?-, die metaethische Objektivität-ist eine Beurteilung realistisch-objektivistisch, skeptizistisch oder relativistisch?-, und die Metaphysik, aus der sich die grundlegendsten Elemente der Wahrnehmung der sozialen Welt ableiten. Abend konstruiert den moralischen Hintergrund, weil dieser heute von den Moralwissenschaften ausser Acht gelassen werde. Das Buch solle namentlich Moralpsychologen und Neurowissenschaftler dazu anregen, ihren naturwissenschaftlich verengten Blick ________________________