Wahrnehmungen und Deutungen der Zeit im Buch Kohelet (original) (raw)
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Neue Sichten – neue Schichten Skizze einer Redaktionsgeschichte des Buches Kohelet
Zeitvorstellungen im Alten Testament Festschrift für Ernst-Joachim Waschke zum 65. Geburtstag, 2014
Bei der Analyse des Buches Kohelet stößt man rasch auf zwei eng miteinander zusammenhängende Fragen. Die eine ist die nach dem Aufbau des Buches, genauer, ob das Buch eine durchgehende Komposition aufweist, und die zweite, wie die zahlreichen inhaltlichen Widersprüche und Spannungen innerhalb des Buches zu erklären sind. Über den Aufbau vertraten in der Vergangenheit F. Delitzsch (1877), K. Galling (1940, 2 1969), O. Loretz (1964) und u. a. F. Ellermeier (1967) und A. Lauha (1978) die Auffassung, dass das Buch keine durchgehende Komposition besitze, sondern als lose Anhäufung von einzelnen Texteinheiten (Sentenzen, Reflexionen, Topoi) zu beurteilen sei, die anhand innerer Zusammengehörigkeit durch Stichwortverknüpfungen oder gedankliche Assoziationen zusammengestellt worden seien. Im Gegensatz dazu sprechen sich gegenwärtig immer mehr Exegeten für einen planvollen Aufbau des gesamten Buches aus.
Bild und Zeit. Überlegungen zur Zeitgestalt in Pieter Bruegels "Bauernhochzeitsmahl"
In: Pochat, Götz (Hrsg.): Erzählte Zeit und Gedächtnis : narrative Strukturen und das Problem der Sinnstiftung im Denkmal. Graz 2005, S. 72-81
Wenn im Folgenden die Frage nach der Zeitgestalt in Pieter Bruegels "Bauemhochzeitsmahl" (Abb. 1) gestellt werden soll, so geschieht dies nicht auf systematische Weise. 1 Der Verfasser beabsichtigt damit weder, die einschlägige Forschung zu diesem Bild voranzutreiben, noch einen gewichti gen Beitrag zur Erzählforschung zu leisten.-Vielmehr soll hier eine erste Hypothese zu Bruegels spezifisch antiklassischem Umgang mit der Zeit entwickelt werden. Mit dem Wiener "Bauem hochzeitsmahl" steht eine seiner berühmtesten T afeln zur Diskussion. Seit jeher ist dieses Werk als exemplarischer Ausdruck von Bruegels Kunst betrachtet worden. Denn es waren vor allem die Bauerndarstellungen, die das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben, was auch damit zusammenhängt, daß Karel van Mander als erster Biograph des flämischen Künstlers dieses Genre für Bruegel als zentral erachtet hat. Heute wissen wir jedoch, daß die Lebensbeschreibungen im "Schilder-Boeck" aus dem Jahre 1604 einer literarischen Dramaturgie folgen, die ihren Ursprung in dem Bestreben des Autors hat, zwischen den äußeren Lebensumständen eines Künstlers und seinem Werk Analogien aufzuzeigen. 5 So gesehen kann es nicht wundem, wenn Bruegel als ver meintlicher Sohn von Bauern eine besondere Vorliebe für die Darstellung bäuerlicher Sujets zeigt. Der Künstler folgt damit lediglich seiner "Natur". Vor dem Hintergrund des Klischees vom Bauern-Bruegel ist vielleicht keine Episode aus der Bio graphie berühmter als jene, in der van Mander erzählt, Bruegel sei mit dem befreundeten Kauf mann Hans Franckert als Bauer verkleidet auf Bauernhochzeiten gegangen, um dort unerkannt die Menschen studieren zu können: "Mit diesem Franckert ging Breughel häufig hinaus zu den Bauern, wenn Kirmes war oder eine Hochzeit stattfand. Sie kamen dann in Bauerntracht verkleidet und brachten Geschenke wie die anderen auch unter dem Vorgeben, sie gehörten zur Verwandtschaft der Braut oder des Bräutigams. Hier machte es Breughel großes Vergnügen, die Art der Bauern im Essen, T rinken, T anzen, Springen, Freien und anderen spaßhaften Dingen zu beobachten, lauter Momente, die er sehr hübsch und komisch mit der Farbe wiederzugeben verstand f...]." 4 Wir sind heute vorsichtig, was den Wahrheitsgehalt solcher Episoden betrifft. Aber natürlich entbindet diese Vorsicht nicht von der Frage, warum der Biograph Franckerts Namen mitteilt. Bruegel hätte die Hochzeiten ja auch allein besuchen können. Es gibt nämlich eine bisher überse hene mögliche Erklärung für diese kuriose Episode aus der Biographie. So ist bisher nicht erkannt worden, daß der flämische Maler im "Bauemhochzeitsmahl" Franckert am äußersten rechten Bild rand dargestellt hat. Van Mander könnte dieses Porträt erkannt haben, weil ihm die Medaille mit dem Profilbildnis Franckerts von Jacques Jongelinck bekannt war, woraufhin er die zitierte Epi sode der Biographie beigefügt hätte 5. Mit der Schilderung Bruegels als Bauernmaler geht bei van Mander jedenfalls die T hese vom Realisten einher. Immer wieder wird die genaue Beobachtungs gabe des Künstlers als dessen eigentliches Kapital geschildert, was van Mander nicht davon abhält, die eine oder andere originelle Bilderfindung hervorzuheben. Aber Zeit im Sinne der Erzählzeit spielt im Rahmen all dieser Bildbeschreibungen keine besondere Rolle. Dadurch bleibt jedoch die spezifische Erzählweise von Bruegels Kunst ausgespart-seine Eigenart nämlich, Bilder aus extrem vielen Einzelszenen zusammenzusetzen. Über die "Kinderspiele", die ja nicht weniger als 246 Kinder darstellen, heißt es lediglich, femer habe er ein Bild gemalt, das allerlei Kinderszenen darstelle." Vielfigurigkeit und Unübersichtlichkeit als darstellerische Konstanten der Bruegelschen Bildwelt läßt der Biograph kurioserweise unerwähnt.
Melancholie bei Kohelet und Marc Aurel
„Vergänglichkeit und Melancholie. Zu einer Gemeinsamkeit bei Kohelet und Marc Aurel“, in: Musik, Melancholie und Tod / Schriftstücke Bd. 3 (2020), hrsg. v. Michael Neecke u. Rainer Barbey, Berlin 2020, S. 7‒36., 2020
Eine queere Lesart von Kohelet 4,9-12
Scandinavian Journal of the Old Testament 28/1, 2014
A Queer Reading of Qohelet 4,9-12 Qohelet 4,9-12 can be interpreted today as a queer countertext in relation to conservative exegeses of the biblical second creation account. To answer the question, which partners we need in order not to be alone or to be able to survive, Qoh 4,9-12 suggests also other models than an exclusive man-woman relationship. It can be argued from a queer perspective that a sexual relation between men is mentioned in Qoh 4,11: That two men warm up while lying, can imply that they sexually arouse each other. Within the framework of a queer reading Qoh 4,11 may also trigger associations about other, diverse, queer companions, who sexually arouse each other while lying. Various things can be associated with the threefold cord, which is not so quickly torn apart, mentioned in Qoh 4,12. Not only future children, as asserted in the Midrash on Qohelet, may form a basis for partnership – perhaps also queer –, affection and sexual desire also play an important role. It follows from later Jewish interpretations, namely from the Babylonian Talmud Qiddushin, i.e., bQid 82a, and from parallel passages, that Jewish scholars have not previously forbidden that two unmarried men sleep with each other under the same cloak. Kohelet 4,9-12 kann heute als queerer Gegentext zu konservativen Auslegungen des biblischen zweiten Schöpfungsberichts interpretiert werden. Auf die Fragestellung, welche Partner_Innen wir brauchen, um nicht allein zu sein oder überleben zu können, legt Koh 4,9-12 auch andere Modelle als eine ausschließliche Mann-Frau Beziehung nahe. Aus queerer Sicht kann behauptet werden, dass ein sexuelles Verhältnis zwischen Männern in Koh 4,11 erwähnt wird: Dass sich zwei Männer beim Liegen wärmen, kann bedeuten, dass sie sich sexuell erregen. Im Rahmen einer queeren Lesart könnten in Koh 4,11 womöglich auch andere, unterschiedliche, queere Gefährt_Innen assoziiert werden, die einander beim Liegen sexuell erregen. Mit dem in Koh 4,12 erwähnten dreifachen Faden, der nicht so schnell zerrissen wird, kann Verschiedenes gedanklich verbunden werden. Nicht nur Kinder, wie im Midrasch zu Kohelet behauptet wird, festigen – eventuell auch queere – Paarbeziehungen, sondern Zuneigung und sexuelles Begehren spielen eine wesentliche Rolle. Aus späteren jüdischen Interpretationen, nämlich aus dem babylonischen Talmud Qidduschin, aus bQid 82a, und aus Parallelstellen geht hervor, dass es jüdische Gelehrte bisher nicht verboten haben, wenn zwei unverheiratete Männer miteinander unter demselben Mantel schlafen.
ZeitenWelten – auf der Suche nach den Vorstellungen von Zeit im Mittelalter. Eine Einleitung
in: ZeitenWelten. Zur Verschränkung von Zeitwahrnehmung und Weltdeutung (750-1350), hg. v. Miriam Czock und Anja Rathmann-Lutz, Köln 2016, p. 9-26
ZeitenWeltenaul der Suche nach den Vorstellungen von Zeit im Mittelalter. Eine Einleitung A1s grundlegende Kategorie der Weltdeutung ist ,Zeit' immer schon Gegenstand geistesund gesellschaftswissenschaftlicher Analysen gewesen. Durch den rasan-ten Wandel der gesellschaftlichen Realitäten einerseits und den neuerdings global-geschichtlich angelegten Blick auf außereuropäische Wirklichkeiten andererseits sind Zeit und ,Zeitlichkeit'verstanden als von Zeit bestimmte Daseinsformunter neuen Vorzeichen in das Zentrum wissenschaftlichen Nachdenkens getreten. Zeit ist dabei vor allem als sozio-kulturelles Konstrukt beschrieben worden, das sich im Zusammenspiel mit individuellen, theologischen, ästhctischen, philoso-phischen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Vorstellungen von,Welt', ,Realität' und ,Wahrheit' verändert. Angeregt durch diese Tendenzen sind im
‚Zeit‘ bei Nietzsche. Einige Vorbemerkungen
Nietzscheforschung, 2017
Wie alle wesentlichen Themen der Philosophie, so ist auch die Zeit-zumal sie eine elementare Kategorie darstellt, innerhalb der Konstitution der ,Welt' eine besondere Stellung einnimmt und für uns Sterbliche vielleicht sogar einen eigenartigen Primat hat-vor allem als eine Frage bzw. als ein Problem anzusehen. Probleme lassen sich jedoch erst dann wirklich umreißen (und damit möglicherweise lösen), wenn man zunächst versucht, sich das Ganze einer bestimmten Philosophie vor Augen zu stellen. In den Texten Friedrich Nietzsches, in seinen veröffentlichten Schriften ebenso wie im Nachlass, sind zudem Stellungnahmen und Äußerungen über die Zeit nicht nur dort zu suchen, wo ihr Name und die mit ihr verwandten Begriffe explizit genannt werden.1 Um dieses Thema angemessen behandeln zu können, muss manebenso wie bei allen anderen Aspekten der Philosophie Nietzsches-vorbereitend die Ganzheit und Grundkonzeption dieser Philosophie zur Kenntnis genommen haben. Versuchen wir zunächst, uns eine knappe und vereinfachte Orientierung zu schaffen: Wie steht es mit dem Problem der Zeit bei Nietzsche? Allem Anschein nach ist seine ganze Philosophie von einem leitenden Gedanken getragen, von der Grundeinsicht in das unentwegt fließende Werden als einzige Realität. Sehr früh, schon als Zwanzigjähriger, schreibt Nietzsche: "Das ewig Werdende ist das Leben; durch die Natur unsres Intellekts erfassen wir Formen; unser Intellekt ist zu stumpf, um die fortwährende Verwandlung wahrzunehmen: das ihm Erkennbare nennt er Form. In Wahrheit kann es keine Form geben, weil in jedem Punkte eine Unendlichkeit sitzt."2 Dieses ewig Werdende und damit unmittelbar verknüpfte Unendliche blieb für Nietzsche lebenslang das Hauptthema seines Denkens.3 Die von ihm selbst so genannte 1 In der bisherigen Forschung herrschen zwei disparate, diametral entgegengesetzte Ansichten vor. Auf der einen Seite die Auffassung: "Nietzsches Besinnungen über den Raum und die Zeit sind im Ganzen gesehen sehr dürftig und die wenigen Gedanken über die Zeit, die kaum über das Überlieferte hinauskommen, sprunghaft: der untrüglichste Beweis dafür, daß ihm die Frage nach der Zeit für die Entfaltung der metaphysischen Leitfrage und damit diese selbst in ihrem tieferen Ursprung verschlossen blieben" (
Die Erlebnisgeschichte der 'Zeit' in literarischen Texten
1999
Zeitlimit' etc. sind allesamt Begriffe, die noch vor hundert Jahren größtenteils auf absolutes Unverständnis gestoßen wären. Sämtliche Prozesse des modernen Lebens haben 'Eigenzeiten', die sich in weitere 'Unter-Eigenzeiten' aufgliedern: Das Studienjahr teilt sich in Semester und 'vorlesungsfreie Zeiten', ein Universitätsseminar hat seine Eigenzeit (montags von acht bis zehn Uhr, von Mitte Oktober bis Mitte Februar, zuzüglich 'Vor-und Nachbereitungszeit'); diese Zeiten fallen in die 'Studienzeit', die in der Regel von der 'Regelstudienzeit' abweicht. Nebenbei laufen verschiedenste andere Zeiten ab: Pubertät, Midlife-Crisis und die Wechseljahre sind schwierige Zeiten im Leben, in der Vorweihnachtszeit kauft man Geschenke für die Familie, die man in gewissen Zeitabständen auch sieht, und selbst der 100-Meter-Lauf hat seine Eigenzeit. Gleichfalls ist die Fülle wissenschaftlicher Literatur zum Thema 'Zeit' aus verschiedensten Blickwinkeln endlos, da auch hier Unmengen von Zeitsystemen existieren: physikalische, biologische, psychologische, soziale Zeit etc. Daß diese zahlreichen parallelen Zeitsysteme nicht miteinander im Einklang stehen, stört uns für gewöhnlich nicht und wird uns in der Regel überhaupt nur bewußt, wenn wir unter 'Zeitdruck' stehen: Daß die Zeit einer Prüfung mit anderen Maßstäben gemessen wird, wie die Zeit eines lauschigen Abendessens zu zweit bei Kerzenschein und einer Flasche Wein, ist selbstverständlich. Die Vielzahl konkurrierender Zeitsysteme, in der wir uns heute so selbstverständlich bewegen, ist das Produkt einer langen Entwicklung. Zeiterfahrung ist kultur-und epochenspezifisch verschieden; der Zeitbegriff ist in einem hohen Grade historisch. Je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen, desto weniger dieser konkurrierenden Zeitsysteme lassen sich nachweisen. Schließlich ist die von Uhren und Kalendern angezeigte Zeit reine Konvention, die in vergangenen Jahrhunderten anders ausgesehen hat, als sie es gegenwärtig tut, und die gesellschaftlichen Erfordernisse nach Zeitbestimmung waren in älteren Gesellschaften längst nicht so ausgeprägt und allgegenwärtig wie in den stärker durchorganisierten der neueren Zeit und erst recht in den Industriestaaten der Gegenwart.
Die Zeit der 'Gegenwart' bei Schiller
In: Schillers Zeitbegriffe. Hg. von Helmut Hühn und Peter Schnyder. Hannover 2018, S. 287-303
Die Zeit der >Gegenwart< bei Schiller Das Wort >Gegenwart< ist bis hinein ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts kein Zeitbegriff. Die Trias >Vergangenheit<, >Gegenwart<, >Zukunft< gibt es in substantivischer Form bis Ende des 18. Jahrhunderts praktisch nicht. Zedler definiert:»Gegenwart; in so ferne sie von Creaturen gesagt wird, bestehet sie in derjenigen Relation, da eine Sache mit der andern so zugleich existiret, daß sie sich mit ihrem Wesen bey derselben entweder nahe oder nicht nahe befindet.«1