Die Ruhe nach dem Sturm Steuerungskonflikte als Hemmnis für institutionellen Wandel in der deutschen Finanzmarktaufsicht (original) (raw)
Der Terminus Zentralbankkapitalismus klingt verwirrend. Was haben Zentralbanken - theoretisch unpolitische Institutionen der Geldverwaltung - mit dem Kapitalismus an sich zu tun? Schließen sich Zentralbanken und der freie (Geld-)Markt nicht zu gewissen Teilen aus? Joscha Wullweber nimmt diese Fragen bewusst in Kauf, wenn er in seinem Buch versucht, die Verschränkungen zwischen Zentralbanken als Institutionen, der Institution Geld und den freien internationalen Finanzmärkten - einem Sinnbild des Kapitalismus - darzustellen. Die Motivation des Verfassers, sich mit diesem Thema zu befassen, entspringt dem Bedürfnis, zu verstehen, wie das Finanzsystem funktioniert und ob es so funktioniert, wie die Modelle der Lehrmeinung es erklären. Die Kernfrage der zu verfassenden Arbeit mit dem Titel Regelt es der Markt? - Kann Sicherheit auf den Finanzmärkten jenseits staatlicher Governance-Strukturen entstehen? ist daher, ob Joscha Wullweber mit seinen, hier zu untersuchenden, Thesen recht hat. An welchen Stellen ist seine Ar- gumentation konsistent? Wo weicht sie von neoklassischen Theorien zu Geld, zu Märkten und zu Aufgaben und Funktionsweisen der Zentralbanken ab? Der erste Teil der Arbeit betrachtet die ökonomische und soziokulturelle Entwicklung westlicher Gesellschaften und die Auswirkungen auf die Finanzmärkte vom Ende des Bretton-Woods-Systems bis in die heutige Zeit hinein, namentlich bis zur Covid-19-Krise. Beginnend mit dem Rückgang der gesellschaftlichen Nachfrage nach Gütern ab dem Ende der trentes glorieuses und den ökonomischen Strategien, diesem Rückgang entgegen zu wirken, soll im ersten Teil die Frage beantwortet werden, was unter der verbreiteten Aussage der ‚entfesselten Finanzmärkte‘ zu verstehen ist und wie es zu diesen Entwicklungen kam. Dabei geht es weniger um konkrete politische Entscheidungen, als vielmehr um die Entwicklungen und An- nahmen, die diesen zugrunde liegen, betrachtet aus ökonomischer und, in Ansätzen, soziologischer Perspektive. Im zweiten Abschnitt soll der theoretische Rahmen der Lehrmeinungen erarbeitet werden. Der Fokus hierbei liegt auf den Fragen, wie das Bankensystem und der ‚perfekte Markt’ in der Theorie funktionieren, welche Annahmen für ihre Funktionsfähigkeit erfüllt sein müssen und welche Aufgaben Zentralbanken zukommen. Die Erarbeitung der Lehrmeinung dient als Grundlage für die spätere Prüfung der in Wullwebers Buch aufgestellten Thesen. Wullwebers Kernthese lautet, dass es durch die Krisen des Finanzsystems im 21. Jahrhundert eine zunehmende Verschränkung der Märkte und der Zentralbanken als Sicherungsinstanzen gibt und dass diese Verschränkung - obwohl gut gemeint - nicht gut gemacht ist, da sie die Ursachen der Unsicherheit nicht beseitigt, sondern nur versucht, deren Symptome abzumildern. Um die Kernthese zu prüfen, wird diese in drei Unterthesen eingeteilt, die jeweils für sich selbst untersucht werden. Die erste lautet, dass das Schattenbankensystem in seinen Abläufen und seiner Sicherheitsarchitektur ein permanentes Stabilitätsproblem hat. Es soll geklärt werden, was die Auslöser dieser Unsicherheiten sind und worin diese Problematik verankert ist. Die zweite Unterthese lautet, dass Zentralbanken durch ihre ursprünglichen geldpolitischen Operationen nicht in der Lage waren, die Krisen zu lösen, weshalb sie ihre Aufgaben massiv erweitern mussten. In diesem Zusammenhang soll geklärt werden, in welchem Umfang eine Erweiterung oder Verschiebung der Operationen stattfand und welche Auswirkungen sich für die Finanzmärkte ergaben. Wullwebers dritte Unterthese geht von einer zunehmenden Verschränkung staatlicher und privater Governance aus, die die Finanzmärkte wieder stabilisieren soll. Er kommt aber zu dem Schluss, dass diese Stabilisierung selbst wieder zu neuen Instabilitäten führt. Seiner Meinung nach, führe die Deregulierung der Finanzmärkte zur zunehmenden Notwendigkeit erneuter staatlicher Interventionen, die nur die Symptome des Systems lindern, sodass es mittlerweile „mehr Staat und mehr Markt“ gibt.
Mechanismen institutionellen Wandels im deutschen Kapitalismus
Berliner Journal Fur Soziologie, 2008
In der Debatte um die Annäherung des Rheinischen Kapitalismus an das angelsächsische Modell setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass eine Entwicklung hybrider Institutionensysteme zu beobachten sei, die Elemente beider Systeme miteinander kombinieren. Anhand einer vergleichenden Analyse der Transformation zweier Felder der deutschen Corporate Governance-Regulierung – der internen Unternehmenskontrolle und der Rechnungslegung – werden die Mechanismen und Antriebskräfte herausgearbeitet, die zu unterschiedlichen Graden der Annäherung an angelsächsische Vorbilder geführt haben. Kam es in der internen Corporate Governance lediglich zur Kopplung bestehender Strukturen mit angelsächsischen Elementen („Layering“), so erfolgte in der Rechnungslegung eine Substitution alter Institutionen und Standards durch neue („Displacement“). Es wird argumentiert, dass der variierende Grad an Konvergenz zu erklären ist durch den in beiden Fällen unterschiedlichen exogenen Reformdruck und die differierenden Präferenzen nationaler Schlüsselakteure wie Unternehmen und Gewerkschaften. Die Studie zeigt die Bedeutung einer auf die Mesoebene gerichteten Analyse von Kausalmechanismen für die Erklärung institutionellen Wandels im modernen Kapitalismus. In the debate on the convergence of Rhenish capitalism towards the Anglo-Saxon model there is a growing consensus on the emergence of hybrid institutional configurations which combine elements of both systems. Our paper traces the mechanisms and driving forces leading to varying degrees of convergence with Anglo-Saxon standards and institutions by comparing the changes in two areas of German corporate governance regulation, namely internal corporate governance and accounting. Whereas existing institutions were coupled with Anglo-Saxon elements in the case of internal corporate governance („layering“), traditional standards and institutions were substituted for new ones in the case of accounting („displacement“). We argue that the varying degree of convergence can be explained by the different preferences of key national actors, such as companies and trade unions, in the two cases and the varying exogenous pressures for reforms. Our study highlights the importance of a meso-level analysis of causal mechanisms for the explanation of institutional change in modern capitalism. Dans le débat sur la convergence du capitalisme rhénan vers le modèle anglo-saxon, on constate le développement de systèmes d’institutions hybrides combinant des éléments des deux systèmes. Prenant l’exemple d’une analyse comparative de la transformation de deux domaines de régulation de la gouvernance des entreprises en Allemagne – le contrôle interne et la comptabilité – nous mettons en évidence les mécanismes et les facteurs ayant conduit à des degrés divers à un rapprochement par rapport aux modèles anglo-saxons. Tandis qu’en matière de gouvernance interne des entreprises les structures existantes ont simplement été couplées avec des éléments anglo-saxons („layering“), de nouvelles normes et institutions se sont substituées aux anciennes („displacement“) en matière de comptabilité. Notre thèse est que ce degré variable de convergence s’explique par une pression exogène en faveur de réformes différente dans les deux cas et par les préférences divergentes des acteurs-clés nationaux tels que les entreprises et les syndicats. Cette étude montre l’importance d’une analyse des mécanismes causaux au niveau méso-sociologique pour expliquer le changement institutionnel au sein du capitalisme moderne.