Schreibsequenz – Schriftsequenz. Literaturgeschichten im Biopic (original) (raw)

Physiognomik, Spurensicherung, Einschreibung des Ich in den Raum. Bilder vom Hausbesuch bei Schriftstellern

Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 2018

Seit das Schriftstellerdasein als regelrechter Berufsstand und als ökonomische Existenzgrundlage von dessen Vertretern Anerkennung findet, ist die Arbeit am Text Bestandteil von Rechtfertigungsleistungen und willkommener Gegenstand von mehr oder minder öffentlichkeitswirksamer Repräsentation. Unzählige Fotografien von Schriftstellern und Schriftstellerinnen am Schreibtisch zeugen davon; ganze Bücher werden inzwischen mit einander meist ähnlichen Schreibszenen gefüllt. Wo aber in solchen Darstellungen tatsächlich dem Anspruch von Bestätigung schriftstellerischer Arbeit als einem das Werk rechtfertigenden Prozess gefolgt wird, gilt zugleich: Der Versuch, dichterische Leistung bildlich zu vergegenwärtigen, ist immer vom Scheitern bedroht. Nicht nur ist schwer zu sagen, was einer und eine, die schreiben, gerade hervorzubringen im Begriff sind. Darstellungen von im Schaffensprozess begriffenen Künstlern können ihre Betrachter in dieser Hinsicht leichter befriedigen. Sie zeigen oft im Entstehen, was wir als hernach fertiges Werk wiedererkennen können. Schriftsteller pflegen noch dazu eigentlich nicht im Beisein anderer zu arbeiten, eben weil es von ihrem Schaffensprozess fast nichts zu sehen gibt und deshalb Öffentlichkeit für den Prozess als solchen zu erzeugen fast sinnlos ist. Tatsächlich arbeitet auch auf vielen Fotografien, die Schriftsteller am Arbeitsplatz zeigen, niemand sichtbar. Häufig wenden sich die Schriftsteller stattdessen dem Berichterstatter zu. Manche von ihnen schauen gedankenvoll ins Nichts, andere blicken in die Kamera; in aller Regel gibt es dabei nicht viel Entfaltungsspielraum. 1 Grundsätzlich lässt sich sagen: Ein Bildnis, das Schriftsteller bei der Schreibarbeit zeigt, müsste paradoxerweise gerade in der äußersten Herstellung von Natürlichkeit als gestellt erscheinen. Diese Schwierigkeit ist für die Urheber von Bildnissen, die nach den Maßgaben von Realismus gelesen werden sollen, kaum zu überwinden. Die Hilflosigkeit, mit der auf für die Leserschaft angefertigten, also repräsentativ gehaltenen Fotografien Schriftsteller am Schreibtisch zwischen vorgetäuschter Absorption und einer ihre Bereitschaft zum Gespräch mit einem imaginären Gegenüber anzeigenden Pose schwanken, ist vielleicht als Beleg ihres Bewusstseins von der Unmöglichkeit einer bildlichen Wiedergabe ihrer Arbeit anzusehen. Das gilt insbesondere in der Frühzeit einer Herausbildung neuer Öffentlichkeiten mithilfe illustrierter Zeitschriften und der Fotografie. Man könnte es etwa

Oswald Wiener: Schreib-Szenen zwischen Literatur und Wissenschaft (2010)

Manuskripte. Zeitschrift für Literatur (Graz), Dezember 2010, S. 289-296

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung. Dass ich hier bei dieser Gelegenheit vor Ihnen sprechen darf, empfinde ich als eine große Auszeichnung. Das Thema meines Vortrages bitte ich als einen Vorschlag bzw. vielleicht auch nur als einen ersten, vorläufigen Versuch zu einer Erweiterung des Gegenstandsbereiches nicht allein der österreichischen Literatur zu verstehen. Als Fluchtpunkt setze ich meinen Ausführungen ein Motto. Es lautet: Der Mensch ist von Natur aus künstlich.

Es passiert – Spuren neuer epischer Poesie

Germanica, 1997

Als Walter Benjamin seit dem Ende der Zwanziger Jahre das Passagen-Werk mit der Absicht konzipiert, in da und dort vorbeiführender Reflexion durch die « Analyse des kleinen Einzelmoments den Kristall des Totalgeschehens zu entdecken » 1 , dringt alsbald über das Maß des Beabsichtigten die allegorische Konzeption in die Behandlung des Gegenstandes ein. Das Notieren wird auf seine Weise ergriffen vom « Magnetismus der nächsten Straßenecke ». Die « neue Lethe, die den Asphaltstrom durch Passagen rollt », der « anamnestische Rausch, in dem der Flaneur durch die Stadt zieht » 2 , nehmen das Schreiben mit und machen in dessen ständiger Fortsetzung, als Ablenkung durch Neues, das Entstehen des Textes unmöglich. Damit scheitert das Passagen-Werk aber auch an den ästhetischen Möglichkeiten des Problematisierten. Die Wahl des Gegenstandes war für Benjamin entscheidend mitbestimmt von der morbiden Sphäre, der Abblätterung Pariser Passagen des 19. Jahrhunderts, worin ihm die Unwesentlichkeit des Phänomens erschien. Die Passage de l'Opéra war schon nicht mehr da. Was aber als Text entstand oder nicht entstand, ist von so entscheidender Modernität, daß mit der Erstveröffentlichung des Konvolutes 1982 einer neuen, ebenso extendierenden Lyrik die Bahn gebrochen wird, gerade einer Lyrik. Deren Modell war doch spätestens seit den Sechziger Jahren der kleine, förmlich zusammengezogene Text (Erich Arendts « Inseln der Worte »). Eine solche Konzentration des lyrischen Ausdrucks hat jetzt per se einen amimetischen Charakter. Die Abwendung zur nächsten Straßenecke ist der natürliche Ausdruck unseres Selbst geworden. « Denn nur Geschöpfe der Fahrt sind wir / und unsere Gestalt ist Fluktuation. » « Geh aber weiter, […] / hör nicht auf zuviel Bewußtsein. Besser, du achtest // jetzt auf die redenden Leute » 3. Also sind wir am Ende ? Das läßt sich so nicht sagen.

Literarhistorische Filmbiographien. Autorschaft und Literaturgeschichte im Kino. Mit einer Filmographie 1909–2007

2008

The first biopics of poets were shown in cinemas in the USA in 1909 and in Germany in 1912. Since these early beginnings, a constant and rich tradition has developed of biopics of figures from literary history. This study is the first to carry out a longitudinal and lateral study of the genre. "Poet films" as they are called not only provide differing notions of authorship, but they also help write a history of literature as narrated in film. A filmography furnishes information on 180 feature films with themes from the history of the West European and US literary canons.