Die soziale Frage in Tunesien: sozioökonomische Proteste und politische Demokratisierung nach 2011 (original) (raw)
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Tunesiens junge Demokratie: Zwischen Sozialprotesten und Strukturanpassung
GIGA Focus, 2019
Tunesien zeigt sich vor den im Herbst 2019 geplanten Wahlen wirtschafts- und sozialpolitisch tief gespalten. Die Regierung verfolgt eine von interna-tionalen Geldgebern eingeforderte Sparpolitik. Breite soziale Bewegungen setzen sich demgegenüber für Umverteilung und soziale Absicherung ein. Die Zukunft der jungen Demokratie wird davon abhängen, ob legitime Lö-sungen für diese Herausforderungen gefunden werden.
Tunesien: Vom Staatsfeminismus zum revolutionären Islamismus.
Schröter, Susanne and Sonia Zayed, 2013
Im Hinblick auf Frauenrechte galt Tunesien in den vergangenen Jahrzehnten als außergewöhnlich fortschrittliches islamisch geprägtes Land. 1 Die internationale Nichtregierungsorganisation "Freedom House" lobte es im Jahr 2010 sogar als führend innerhalb der arabischen Welt. 2 Für diese positive Einschätzung gibt es gute Gründe. Die Verfassung garantiert gleiche Rechte für Männer und Frauen, das Personenstandsrecht (Code Personnel Statut, CSP) gilt in der islamischen Welt als vorbildlich, und Frauen sind in der Öffentlichkeit und im Berufsleben präsent. Der Weg der Frauen vom heimischen Herd in die Öffentlichkeit fing bereits zu Zeiten des Kolonialismus an. Frauen erwarben Bildung, wurden berufstätig und nahmen sogar Führungspositionen ein. 1936 begann die erste Ärztin zu praktizieren, 1950 wurde die erste Zugführerin eingestellt, 1960 die erste Schiffskapitänin und 1962 die erste Pilotin. Frauen sind heute Richterinnen und Anwältinnen, und sie arbeiten im Polizei-und im Militärdienst. Im höheren Bildungsbereich scheinen sie im Jahr 2008 sogar ihre Landsmänner mit 59,5 % zu übertrumpfen. 3 Der durch die demokratische Bewegung im Jahr 2011 durchgesetzte Regimewechsel könnte dieser Situation bald ein Ende bereiten. In der islamistischen Ennahda-Partei, die die Mehrheit aller Sitze in der verfassungsgebenden Nationalversammlung gewann, formieren sich Kräfte, die die Gleichberechtigung der Geschlechter als "unislamisch" ablehnen, und salafistische Eiferer machen Jagd auf all diejenigen, die sich nicht ihrer Vorstellung einer islamischen Lebensweise beugen. Ein neuer Verfassungsentwurf wird diskutiert, in dem Frauen nicht mehr als eigenständige Personen erscheinen, sondern nur noch als Anhängsel (takamul) ihrer Ehemänner definiert werden. Vom tradierten Patriarchalismus zum staatlich gelenkten "Feminismus" Der Ausgangspunkt für die rasante Transformation der tunesischen Geschlechterordnung, die sich im 20. Jh. ereignete, war zu Beginn des Jahrhunderts noch denkbar deprimierend. Die Soziologin Mounira M. Charrad, die eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen zur Geschichte des Landes vorgelegt hat, 4 zeichnet ein düsteres Bild der traditionellen Geschlechterverhältnisse. Wie überall im Maghreb bildeten patrimoniale 1 Vgl.
Tunesien ist das einzige Land, in dem die Massenproteste im Zuge des „Arabischen Frühlings“ zur Etablierung einer demokratischen Ordnung geführt haben. Insbesondere die Europäische Union hat sich daher die Stabilisierung und Unterstützung Tunesiens auf die Fahnen geschrieben. Mit knapp 1,2 Milliarden Euro förderte sie im Zeitraum von 2011–2015 in Form von Krediten und Darlehen zahlreiche Entwicklungsprojekte in Tunesien. Die größte Hilfe aus Sicht der EU und damit Schwerpunkt ihrer Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist allerdings der Abschluss eines umfassenden Freihandelsabkommens. Selbst wenn jedoch die damit erhofften positiven Effekte für die tunesische Wirtschaft insgesamt eintreten würden, birgt ein solches Abkommen erhebliche Risiken für den Arbeitsmarkt und damit für den sozialen Frieden.
Die Demokratisierung in Ost- und Südostasien
Systemtransformation, 1999
Untersuchungen zur Demokratieentwicklung in Asien zeigen, daß demokratische Herrschaftsordnungen im asiatisch-pazifischen Raum auch am Ende des 20. Jahrhunderts Ausnahmen sind (vgl. Tabelle 23). Ungeachtet dessen hat die "dritte Demokratisierungswelle" (1974ff.) aber auch in Ost-und Südostasien ihre Spuren hinterlassen. So können von den insgesamt sechs Demokratien im asiatisch-pazifischen Raum Taiwan, Südkorea, Thailand und die Philippinen der dritten Demokratisierungswelle zugeordnet werden. 32 Ausgehend vom Sturz des Regimes von Präsident Ferdinand Marcos auf den Philippinen im Februar 1986 gaben in Taiwan (1986-92), Südkorea (1987/88) und schließlich auch Thailand (1992) die autoritären Regime den gesellschaftlichen Demokratisierungsforderungen nach. Sie sind damit in der zweiten Hälfte der dritten Demokratisierungswelle zu verorten. Südkorea, Thailand und Taiwan lassen sich als ausgehandelte bzw. von den alten Regimeeliten gelenkte Transitionen einordnen; die Philippinen repräsentieren dagegen einen der wenigen Fälle einer "von unten erzwungenen Transition" innerhalb der "dritten Welle" (Merkel/Sandschneider/Segert 1996: 17). Während auf den Philippinen der Systemwechsel unter ökonomischen Krisenbedingungen verlief, vollzog er sich in Taiwan, Thailand und Südkorea in einer Phase langanhaltender ökonomischer Prosperität (vgl. Tabelle 28). 31 Das Kapitel zu Ost-und Südostasien wurde gemeinsam von mir und meinem Mitarbeiter Aurel Croissant verfaßt. 32 Auch Papua-Neuguinea ist eine Demokratie der dritten Welle. Da es sich hierbei aber um einen klassischen Fall der Demokratisierung durch Entkolonialisierung handelt, wird der 1975 von Australien in die Unabhängigkeit entlassene Inselstaat hier nicht behandelt.
Die Aufstände in Tunesien stehen für den Auftakt der Umbrüche in der Arabischen Welt und entfachten gleichzeitig eine Diskussion um neue Aktivismusformen online. Das Arbeitspapier befasst sich mit der Frage, inwieweit die Nutzung Neuer Sozialer Medien, insbesondere Facebook und Twitter, die Aufstände vorbereitet und befördert haben. Mit Hilfe von Datenerhebungen im Netz, deren Erhebungszeitraum bereits Anfang Januar 2011 beginnt und qualitativen Interviews mit tunesischen Internet-AktivistInnen werden die Mobilisierungsdynamiken zwischen "Netz" und "Straße" bis zur Flucht des Präsidenten Ben Ali nachgezeichnet. Theoretisch-konzeptionell wird ein auf politische Kommunikationsformen erweiterter Partizipationsbegriff entwickelt und mit der Konstituierung von "Gegenöffentlichkeiten", im Sinne von virtuellen Räumen,
Tunesiens Transition - die Schattenseiten eines Erfolgsbeispiels
2017
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Politische Probleme Tanzanias nach der Sozialisierung des modernen Wirtschaftssektors
Verfassung in Recht und Übersee, 1973
Um über die politische Entwicklung Tanzanias seit der Arusha-Declaration (1967) und die sich anschließende Sozialisierungspolitik mit der notwendigen historischen Dimension berichten zu können, scheint es zweckmäßig, zunächst der Frage nach zugehen, welche Koalition von sozialen Kräften die Unabhängigkeit 1961 durch gesetzt hat. Fünf wichtige Gruppen sind zu nennen : Mit dem Ende des 2. Weltkrieges er lebten die Vermarktungsgenossenschaften der Kaffee-, Baumwoll-, Mais-und Reis produzenten einen Aufschwung, der ein neues Element in die ökonomische und poli tische Entwicklung Tanganyikas brachte. Durch den enormen Anstieg der Weltroh stoffpreise während des Koreakrieges wurde damit die Position jener Bauern ge stärkt, die für den Weltmarkt und die städtischen Zentren produziertenl• Die im Kolonialdienst angestellten Afrikaner, also die berühmte "educated elite" der Lehrer und Sekretäre hatte durch ihre Angestelltenclubs ein organisatorisches Netz geschaffen, das 1954 der Tanganyika National Union (TAND) zur Verfügung stehen sollte2• Eine Massenbasis ergab sich durch die Verbindungen zu der Vielzahl der lokalen Protestbewegungen gegen die Auswirkungen der Kolonialherrschaft. Insbesondere organisierten sich diese Protestbewegungen gegen Maßnahmen der kolonialen Agrarpolitik in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren, sofern diese repressiven Charakter annahmen : Hierzu zählen insbesondere der Kampf der "Freeman of Meru" gegen weiße Landnahme (1950)3, die Steuerstreiks der Pare (1947)4, die Proteste gegen den Zwang bei der Terrassierung der Felder als Maß nahme gegen die Bodenerosion in den Dluguru-Bergen (1952)5 sowie die Orga nisation des Auswiegens der Baumwolle durch die afrikanischen Bauern im Su kumaland gegen Manipulationen des indischen Zwischenhandels. Der Generalstreik der Arbeiter (1947) mit Schwerpunkt in der Hafenstadt Dar es Salaam schuf eine wesentliche Voraussetzung für die Politisierung all dieser oppo sitionellen Aktivitäten6• Schließlich versuchte ein Teil der Häuptlinge und Großleute, sich diesen Bewegun gen anzuschließen, um der Erosion der Häuptlingsautorität durch den Mißbrauch im Interesse der Kolonialverwaltung zu entgehen. Sie sahen eine Chance zum politi schen überleben darin, ihre traditionelle Autorität in moderne politische Füh rungsautorität umzuwandeln, und versuchten, sich deshalb entweder an die Spitze der ländlichen Protestbewegungen zu stellen oder aber-ohnehin mit dem Er