„Nero – ein verrückter Kaiser?“ [2016] (original) (raw)
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Nero und das römische Volk. In: Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann (Darmstadt 2016) 124-131
Es gibt keinen anderen römischen Kaiser, der mit so vielen Schmähungen und negativen Gerüchten überzogen wurde wie Nero. Der Biograph Sueton warf Nero fünf tyrannische Eigenschaften vor, nämlich Frechheit (petulantia), Wollust (libido), Verschwendungssucht (luxuria), Habgier (avaritia) und Grausamkeit (crudelitas) 1 . Spätere Quellen bezeichnen ihn als wilden beziehungsweise gewissenlosen Gewaltherrscher (ferus tyrannus beziehungsweise impius tyrannus), grausam (crudelis), wütend (saevus), verrucht (nefandus), frevelhaft (sceleratus), ja sogar als die personifizierte Seuche (pestis) und Feind der Götter und Menschen (hostis deum hominumque). In Anspielung auf seinen Vater, der zu Gewalt geneigt haben soll, wurde er verächtlich Ahenobarbus (Rotbart) genannt, um den Adoptivsohn des Claudius vom ehrwürdigen julisch-claudischen Kaiserhaus zu distanzieren 2 . Der Name Nero selbst wurde schließlich zum Schimpfwort für üppigen Lebensstil 3 . In ironischer Anspielung auf Neros Künstlerambitionen als citharoedus und Sänger ist die Rede von der "wilden Darmseite [einer Kithara] eines wütenden Tyrannen" (fera saevi corda tyranni) 4 .
Es gilt als unstrittig, dass Kaiser Nero eine besondere Vorliebe für clas l)rrseirr r.irrts Künstlers, Wagenlenkers und Schauspielers besaß. Immer mehr soll cs clcrr l(;rist r im Verlaufe seiner Herrschaft mit seiner Leidenschaft in clie Öffentlichkcil rt'zo1,.t.n haben. Gerade Neros'fodesgeschichte wurde bislang in cler Resel jecloch niclrl irrr Einklang mit den vom letzten Herrscher der iulisch-clauclischen f)ynaslic pnrlcr.it r ten Rollen betrachtet. Dieser interpretatorische Zugang versprichl allcrclinrs, cirr lrt. sonderes Licht auf die literarische Gestaltung der letzten Episocle in Nctrs l-clrt.rr zu werfen' Es soll gezeigt werden. dass die antiken Autoren das kaiscr-lichc Scllrstvt r ständnis als Künstler und Wettkämpfer geschickt nutzten. um die Toclcsgcsch iclrtt. tlt.s letzten Angehörigen der iulisch-claudischen Dynastie in Anatogic ntit clclt Scl5sllriltl des Herrschers zu inszenieren. Ein Kaiser. der zeitlebens Künstlcr sein wolltc. cllt'lrt,. somit just bei seinern Tode sozusagen seinen letztcn Auftrilt. Mit den worten qualis artit'ex pereo sc)ll Ncro. Sucton zulirlgc, lrul sei ner Flucht aus der Hauptstadt Rom, in clcrcn Ve rlaul'cr.allrrlihliclr zrrr Einsicht in die Unausweichlichkcit clcs Sclbstntortls qclungtc. wictlcrlrolt sein Schicksal beklagt haben (Suet. Ncro 211). l). Irr clicscr nru'lilrrrtcrr Arrs sage dokumentiert sich das Selbstvcrstiinclrris clcs I(iriscr.s lls tllrs uirrt.s Künstlers, mithin als einer Persönlichkoil. clic ihrc llolle rriclrt so st'lrl irr den traclitionellen Aufgabengebieten oincs riinrischcn I(rriscls srrlr. sorr dernfürdieAusübungderHerrschriftzr-rwt:ilerr cirlcrre. rrrrrl zwrrr ri;irrzlrt lr andere Akzente setzte. Neros Todesgeschichtc ist irtrsliilrrlit'lr lrt.i Srrr.lorr überliefert. Die entsprechende Passage aus clcn Arrrlrlt'rr rlr..s 'llrr.ilrrs rsl hingegen nicht erhalten. AulSerdem finclet sich rronr lclzte rr I lt.r rst.lrt.r tlt r iulisch-clar-rdischen Dynastie eine Todesbesch re ibrr rrr he i (';rssirrs I) io. t lit. indenbetreffendenPassagenindenAuszügenclcsXiphilirrost,rlr:rlrt.rrisl
Quo vadis Kaiser Nero? : Die Rehabilitation des Nero Caesar und der stoischen Philosophie
2020
Nero war in Wirklichkeit das genaue Gegenteil von dem, was wir bisher über ihn zu wissen glaubten. Seine Biographie wurde aus mindestens einem ganz gravierenden Grund von antiken Propagandisten ins Abscheuliche verfälscht. Das Urteil des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus über seine römischen Kollegen ist geradezu vernichtend. In seinem Werk >Jüdische Altertümer< 2 schrieb er: "Neros Geschichte haben viele geschrieben, von denen die einen aus Dankbarkeit für seine Gunstbezeugungen die Wahrheit absichtlich verschleierten, die anderen aber aus Hass und Feindseligkeit ihn derart mit Lügen verfolgten, dass sie dafür volle Verachtung verdienen. Freilich zu verwundern braucht man sich über diesen Mangel an Wahrheitsliebe nicht, da die betreffenden Geschichtsschreiber nicht einmal bei der Schilderung der Taten seiner [Neros] Vorgänger der Wahrheit die Ehre gaben, obwohl sie doch gegen diese keine persönliche Abneigung haben konnten, weil sie so lange Zeit nach ihnen lebten. Mögen indes die Geschichtsschreiber, denen an der Wahrheit nichts liegt, schreiben, wie es ihnen beliebt, da sie nun einmal an willkürlichen Berichten Freude zu haben scheinen. Ich [Flavius Josephus] dagegen, der ich es mit der Wahrheit genau nehme, habe mich entschlossen, alles, was zu meinem Hauptgegenstande nicht gehört, nur kurz zu berühren und lediglich das, was meine Landsleute-die Judenbetrifft, ausführlicher zu erzählen, weil ich mich nicht scheue, auch unser Unglück und unsere Schuld offenkundig zu machen ..." Der römische Philosoph und Stoiker L. Annaeus Seneca urteilte über den römischen Geschichtsschreiber Ephoros nicht weniger abfällig: [>Naturwissenschaftliche Untersuchungen<, XVI.(1)] 3 "Ephoros 4 [...] ist ein Historiker. Manche von diesen wollen sich durch die Erzählung unglaublicher Geschichten empfehlen und locken die Leser, die nicht aufmerken, wenn man ihnen nur Alltägliches vorsetzt, durch