Weder Norden Noch Süden: Lateinamerika, Entwicklungsdebatten und die „Dekolonisierungskluft“, 1948-1973 (original) (raw)

2020, Jürgen Dinkel, Steffen Fiebrig, Frank Reichherzer (Hrsg). Nord/Süd: Perspektiven auf eine globale Konstellation

Ich bin mir sicher, dass sie uns in Harvard nicht ernst nehmen. Für sie sind wir zweitklassig oder drittklassig. Wir sind nicht mehr als unterentwickelte Wirtschaftswissenschaftler." 1 So beklagte sich Raúl Prebisch im Rückblick über seine Arbeit für die Wirtschaftskommission für Lateinamerika der Vereinten Nationen (CEPAL/ECLA). Prebisch wies damit auf eine doppelte Marginalisierung hin, die lateinamerikanische Wirtschaftswissenschaftler in den USA und Europa erlebten. Zum einen galten sie-als aus der Dritten Welt stammend-nicht als gleichwertige Partner oder Wissenschaftler. Zum anderen wurden sie als Wirtschaftswissenschaftler, die sich mit Fragen der Unterentwicklung befassten, nicht ernst genommen zu einem Zeitpunkt als Entwicklungsökonomie noch kein eigenständiges Forschungsfeld war. 2 Sie gehörten damit nicht zur epistemischen Gemeinschaft der Wirtschaftsexperten in den USA und Europa. 3 Nichtsdestotrotz sollten lateinamerikanische Wirtschaftswissenschaftler eine zentrale Rolle in den Entwicklungsdebatten des 20. Jahrhunderts spielen und grundlegend zu Debatten eines aufkommenden Globalen Südens beitragen. Dies ist auf den ersten Blick nicht selbsterklärend. Traditionell rechneten sich Lateinamerikaner geopolitisch und kulturell dem Westen zu. Aber sie galten eben auch als unterentwickelt und erfüllten damit ein zentrales Identitätsmerkmal für das Konstrukt, welches bald als Dritte Welt bekannt werden würde. Diese Diskrepanz, weder einem Westen/Norden noch einem Süden zuzugehören, zog sich wie ein roter Faden durch die Debatten in Lateinamerika in den 1950er und 1960er Jahren. Eine Schlüsselrolle in der Produktion und Verbreitung von Entwicklungswissen spielte die Wirtschaftskommission für Lateinamerika, die in Santiago de

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1974-2004: 30 Jahre Lateinamerika im Suhrkamp/Insel Verlag

Lateinamerikanische Literatur im …, 2007

Was ich hier möglichst kurz erzählen werde, ist zum einen die persönliche Bilanz meiner Arbeit, denn seit 1974 bin ich im Suhrkamp Verlag verantwortlich tätig im Bereich der spanischen, portugiesischen und lateinamerikanischen Literatur, d.h. seit 30 Jahren. Ich bitte also um Entschuldigung für die Beschreibung der eigenen Tätigkeit. Zum anderen ist es aber auch der Versuch, eine möglichst objektive Bestandsaufnahme vorzulegen, was der Verlag in dieser Zeit geleistet hat. Schließlich möchte ich noch die Lücken aufzeigen, die unverändert in der Rezeption der lateinamerikanischen Literatur bestehen, und auf einige größere Verlagsprojekte, die zur Zeit in Arbeit sind, hinweisen. Als ich im Sommer 1973 dank der Vermittlung eines Suhrkamp-Autors in Kontakt mit Siegfried Unseld trat, bat er mich um eine kleine Auflistung der wichtigsten Bücher des Kontinents. Ich schickte ihm am 28. August-Goethes Geburtstag, für den Verleger ein Datum von besonderer Bedeutung, was ich damals natürlich nicht wusste-einen Brief mit etwa einem Dutzend Titel und Autoren, die unübersetzt oder vergriffen, aber alle unverzichtbar waren. Die Liste umfasste Erstübersetzungen wie Rayuela von Julio Cortázar, Das kurze Leben von Juan Carlos Onetti, Paradiso von José Lezama Lima, Tres tristes tigres von Guillermo Cabrera Infante oder ein Buch des jungen Manuel Puig sowie Neuauflagen vergriffener Titel (Juan Rulfo, Augusto Roa Bastos, Octavio Paz, Alejo Carpentier) und Neuübersetzungen von gekürzten oder fehlerhaften "Versionen" bedeutender Romane (Carpentiers Die verlorenen Spuren existierte z.B. nur als grob gekürzte Flucht nach Manoa). Nach einem ersten Treffen mit dem Verleger während der Buchmesse 1973 wurde die Zusammenarbeit beschlossen, die am 1. Januar 1974 begann. Siegfried Unseld wollte sechs oder sieben große Romane aus Lateinamerika publizieren.

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