Zu den sozialphilosophischen Perspektiven des Daodejing (2021) (original) (raw)
Related papers
Literaturauszug aus: Ulrich Dehn: Der Daoismus – Chinesische Philosophie und Zeitgeistmode
2001
Einführung Das dao, der zentrale Begriff der „einundachtzig Sprüche“ des Tao te king, ist bis hin zum Titel einer deutschen esoterischen Zeitschrift (Dao, bis Ende 2000) zum Grundbestand westlicher Esoterik geworden. Yin und yang (im Tao te king nicht ausdrücklich ausgeführt) sind schon fast in das neudeutsche Vokabular eingegangen, Oft jedoch liegt die Präsenz des Daoismus im öffentlichen Diskurs zwischen populärwissenschaftlichem Halbwissen und handfesten Fehlinformationen. Den wenigsten ist die Geschichte dieser Weltanschauung im chinesischen Kontext bekannt: die Anfänge der daoistischen Philosophie lange vor Laotse und seinem berühmten Tao te king durch den „Himmelsmeister“ Chang Tao-ling. In der chinesisch beeinflussten esoterischen Szene ist es in erster Linie die frühe daoistische Philosophie, wie sie in den auch im Westen allgemein zugäng-lichen Werken I Ging, dem Tao te king und dem Wahren Buch vom südlichen Blütenland des Dschuang Dsi greifbar ist und wie sie sich auch in den Gesprächen (lun-yü) des Konfuzius spiegelt und im Neokonfuzianismus niederschlägt. Daoismus, wenn über die Philosophie hinaus alle seine Aspekte berücksichtigt werden sollen, vereinigt in sich die schamanistischen Rituale des alten China, die Kunst des Heilens und der Verlängerung des Lebens, die Alchimie und die zahlreichen zeremoniellen Rituale der volksreligiösen Kultur.
Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2021
Die vier Essays des Schwerpunkts zum Thema "Tun und Lassen-Daoistische Perspektiven" erörtern die beiden wichtigsten daoistischen Texte des alten China im Horizont der Gegenwartsphilosophie: Lǎozǐ (Laotse) 老子 und Zhuāngzǐ 莊子. Aufgrund der geforderten Kürze der Texte haben sie programmatischen Charakter. Mein Ziel war es, Texte zu versammeln, die Einblicke in die aktuelle philosophische Diskussion zu einem Leitmotiv daoistischen Denkens geben: "Tun ohne Tun" (wéi wú wéi 為無為). Was für eine Art des Tuns ist dieses "Ohne-Tun" oder "Untun" (wúwéi 無為), das im Deutschen auch als Nichttun, Nichtstun oder Nichthandeln übersetzt wird? Auf dem Wege der Beantwortung dieser Frage begeben sich die vier Beiträge auf je eigene Weise auf die Suche nach einem Tun, das kein zweckgeleitetes Handeln ist.
Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2021
The term Dao originally means a Way or Course or Guide, something very close to purposive action as such-a prescribed course to attain a prescribed goal. It is precisely something that is selected out, valued, desired, kept to rather than discarded. The Daoist usage of the term "Dao" is thus an ironic usage: it is used deliberately in the opposite of its literal sense to make a point-the real way to attain value is through what we do not value, the real way is an anti-way, the real fulfilment of purpose lies in letting go of purpose. Purpose by definition excludes the purposeless. But this relationship is not symmetrical; purposelessness does not exclude purpose. On the contrary, it includes, allows, and even generates purpose. Not one purpose, however, but infinite purposes, all of which remain embedded in a larger purposelessness, but not contradicted or undermined by it. The structure of purpose is such as to either exclude or to subordinate the purposeless. But even if merely subordinated rather than excluded, purposelessness ceases to be genuinely purposeless. It becomes instead instrumental to purpose, pervaded completely by purpose. So a monotheist cosmos is one that ultimately forecloses entirely purposelessness, and thereby also undermines all forms of inclusiveness, non-duality, and the non-personal. The relation of purpose to purposelessness is more tricky than it appears. This essay attempts a direct reconfiguring of this relation through the concept of wu-wei as effortless and purposeless action.
Macht Unbrauchbarkeit frei? Vorläufige Gedanken über Daoismus im digitalen Zeitalter Im Gespräch mit chinesischen Freunden habe ich wiederholt die Frage nach den kulturellen und geistigen Bedingungen der Möglichkeit für die rasante Entwicklung von Digitalisierung und Virtualisierung des Lebens in China gestellt. Dabei bin ich auf mit großer Selbstverständlichkeit vorgetragene Verknüpfung vor allem zu daoistischen Gedankengut gestoßen, die mir zunächst weit hergeholt, um nicht zu sagen phantastisch erschienen. Gleichwohl haben mich die Gespräche dazu angeregt, die Bedeutung der Philosophie von Laozi und Zhuangzi im digitalen Zeitalter zu erkunden. In China werden zunehmend westliche Modelle der Modernisierung hinterfragt und alternative Wege gesucht und getestet. Inzwischen sind geschichtliche und kulturelle Quellen Chinas nicht länger Verachtung und Verfolgung ausgesetzt, werden vielmehr zunehmend wiederbelebt und unter veränderten Umständen neu interpretiert. Dabei zeigen sich allenthalben verblüffende Verflechtungen von Altem und Neuem, Wesentlichem und Östlichem. Naturgemäß ist es schwierig für solche Entwicklungstendenzen, die leicht durch die Raster vertrauter Modernisierungsdiskurse fallen, eine geeignete Sprache zu finden - denn die digitale Revolution ist nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle und damit eine philosophische Revolution. Ist es denkbar, dass die Entwicklung von virtueller Ökonomie und künstlicher Intelligenz - paradoxerweise - für überholt gehaltene Weisheits-, Kultivierungs- und Naturlehren erstaunliche Möglichkeiten bereithält? Ich möchte diese Frage nachgehen, indem ich mich dem vor allem im klassischen Buch Zhuangzi vorgebrachten Motiv vom Gebrauch des Unbrauchbaren zuwende. Dabei werde ich auf die ontologische und die ästhetische Dimension diese Motivs zu sprechen kommen. Beim Gebrauch des Unbrauchbaren geht es weniger um ein Lob des Unnützen, der Faulheit oder des Nichtstuns als um die Bestimmung darauf, dass aller Gebrauch das Unbrauchbare braucht, mehr noch; der Gebrauch des Unbrauchbaren verweist auf die Kunst, vom Ohne- vom Leersein, vom Virtuellen - Gebrauch zu machen, also von etwas Gebrauch zu machen, was sich dem Streben nach Nützlichkeit widersetzt. Um den Gebrauch des Unbrauchbaren verständlicher zu machen, werde ich sodann ein Beispiel aus der klassischen chinesischen Berg-Wasser-Malerei heranziehen und zu zeigen versuchen, wie sich darin Ohne und Etwas, Leere und Fülle, virtuelle und aktuelle Welt wechselseitig hervorbringen.
1919 reiste John Dewey für gut zwei Jahre nach China, um dort Vorlesungen zu verschiedenen Themen im ganzen Land zu halten. An der Universität Peking spricht er u. a. über Sozialphilosophie, erläutert, worin deren Aufgabe besteht, nämlich in der reflexiven Bewältigung von Konflikten, und wendet sich in dieser Perspektive dann klassischen Problemen der Politik, Wirtschaft und Kultur zu. Die Vorlesungen gelten als einziger systematischer Beitrag Deweys zur Sozialphilosophie und werden nun zum ersten Mal auf Deutsch publiziert. Eine Entdeckung!
Dorschel/Allmendinger (2019): Über die sozialen Fesseln unserer Sprache
Dorschel, Robert/Allmendinger, Jutta (2019): Über die sozialen Fesseln unserer Sprache. In: Eichinger, Ludwig / Plewnia, Albrecht (Hrsg.): Neues vom heutigen Deutsch. Empirisch – methodisch – theoretisch. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2018. Berlin / Boston: de Gruyter, S. 313-23.
Der Sprachwissenschaft und der Soziologie eröffnen sich angesichts der Digitalisierung vielversprechende Räume zur produktiven Zusammenarbeit. In unserem Beitrag zeigen wir, dass eine sozialstrukturelle Perspektive auf die Online-Kommunikation neue Erkenntnisse über das Verhältnis von sprachlichem Kapital und sozialer Ungleichheit generieren kann. In Teilen der Sozialtheorie dominiert die Auffassung, dass die sprachliche Praxis ein überwiegend eigendynamisches, von sozialstrukturellen Determinanten weitestgehend unabhängiges System sei. Für ein umfassendes Verständnis der neuen digitalen Interaktionssphären erscheint jedoch eine systematische Berücksichtigung lagebedingter sprachlicher Fähigkeiten notwendig. Der Beitrag wird dies am Beispiel sozialer Medien veranschaulichen.
How is a transcultural discussion of the Zhuāngzǐ possible that consistently connects the sinological study of this work with questions derived from contemporary philosophy? This paper suggests that the publication of Jean François Billeter’s Leçons sur Tchouang-Tseu and the discussions its Chinese translation stimulated in Chinese academia is an important step in this direction. The first part of my paper introduces the idea of a new paradigm of subjectivity proposed by Billeter through his thought-provoking interpretation of the classical text. The second part discusses his critique of readings that combine the notion of the body with conceptions of ener-getic transformation, which Billeter holds responsible for the elimination of social and political criticism from the dominating image of Zhuāngzǐ as an apolitical work. My analysis focuses on the question whether there is a necessary contradiction between a critical attitude on the one hand and the philosophy of Qì energy on the other? The third part further explores this question by relating Billeter’s interpretation of the Zhuāngzǐ with Christoph Menke’s interpretation of Nietzsche and the modern aes-thetics of force. The fourth part continues this discussion by shifting the focus onto the relation between self-cultivation (exercise), energy (force) and plurality. The last part raises the question whether the political significance of Zhuāngzǐ’s paradigm of subjectivity can be understood by paying attention to a tendency towards the de-dramatization of subjectivity, which may allow us to rethink the relationship between subjectivity and democracy.