Wie lässt sich die Vergeschlechtlichung informatischer Artefakte theoretisch fassen? Vom Genderskript zur posthumanistischen Performativität (original) (raw)
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De-Gendering informatischer Artefakte: Grundlagen einer kritisch-feministischen Technikgestaltung
2009
Degendering besteht darin, sich klar zu machen, dass die beiden Geschlechter alles andere als homogene Kategorien sind, da in den meisten westlichen Gesellschaften alle möglichen anderen Formen des sozialen Status-rassisch-ethnische Gruppe, soziale Klasse, Familienstand, Status der Eltern, nationale Identität, Religionszugehörigkeit-sowie individuelle Varianten wie Alter, sexuelle Orientierung und körperliche Verfassung quer durch sie hindurchgehen. […] Zusätzlich zu dieser bewussten Wahrnehmung der Komplexität der Geschlechter besteht ein anderer wichtiger Prozess des Degendering darin, sich klar zu machen, dass Frauen und Männer in ihrem Verhalten, ihrem Denken und ihren Gefühlen ähnlich sind, und bei diesen Ähnlichkeiten anzusetzen-also die Geschlechtergrenzen zu verwischen" (Lorber 2004, 10). Geschlecht träte demnach zurück, wenn der Blick auf die Subjekte und sozialen Interaktionen gerichtet wird. Jedoch würde die Kategorie wieder hervortreten, wenn sozial strukturierende Praktiken fokussiert werden. Lorber zufolge hätte ein De-Gendering, das einen tief greifenden Wandel einleiten soll, an den vergeschlechtlichten sozialen Strukturen anzusetzen, die über grundlegende gesellschaftliche Institutionen wie Erwerbszusammenhänge, Familien, Bildungseinrichtungen, Religionen und kulturelle Institutionen vermittelt sind,. Ihr Ansatz könnte im Hinblick auf die Mitwirkung von Technologie an der Herstellung vergeschlechtlichter sozialer Strukturen weiter gedacht werden. Jedoch ist ihr Konzept bislang noch nicht dafür genutzt worden, ein Konzept des De-Gendering informatischer Artefakte zu entwickeln. Ein weiteres mögliches Verständnis des De-Gendering liefert die Philosophin Judith Butler mit ihrem Konzept des "Undoing Gender" (2004), das an ihrem performativen Verständnisses von Geschlecht 47 ansetzt. Sie teilt Lorbers Plädoyer, binäre und heterosexuelle Konzeptionen zu verlassen, fokussiert jedoch nicht auf gesellschaftliche Institutionen, sondern auf die diskursiven Konstruktionen von Subjekten, Sexualität und Geschlechteridentitäten. Auf dieser Grundlage lässt sich ihr Konzept als ein "undo[ing] restrictively normative conceptions of sexual and gendered life" (Butler 2004, 1) begreifen. Butler betont, dass es jedoch gute wie schlechte Seiten der Erfahrung des "becoming undone" gäbe: "Sometimes a normative conception of gender can undo one's personhood, undermining the capacity to persevere in a livable life. Other times, the experience of a normative restriction becoming undone can undo a prior conception of who one is only to inaugurate a relatively newer one that has greater livability as its aim" (ebd.). Nach Butler sei damit auch immer verbunden, Menschenrechte und Gerechtigkeit zu wahren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sei die Veränderung restriktiver Geschlechternormen, deren Effekt inhuman sei, da sie den Individuen-wie sie am Beispiel von Intersexualität und Transsexualität aufzeigt-ein binäres Geschlechtersystem aufzwängen und deshalb Interventionen erforderlich machen. "To intervene in the name of transformation means precisely to disrupt what has become settled knowledge and knowable reality and to use […] one's unreality to make an otherwise impossible or illegible claim" (Butler 2004, 27). Die von ihr vorgeschlagenen Eingriffe zielen somit auf Wissenskonzeptionen und symbolische Dimensionen von Geschlecht. So betrachtet, eröffnet Butler die Möglichkeit, ein De-Gendering derjenigen informatischen Artefakte zu denken, die geschlechtliche Subjekte und vergeschlechtlichte Wissensformationen hervorbringen. Es bleibt jedoch offen, wie ihr Konzept oder 47 Vgl. hierzu die Bemerkungen in der Einleitung sowie die Ausführungen in Kapitel 3.8. 18 auch das Lorbers für die Technikgestaltung in der Informatik genutzt und konkret umgesetzt werden könnte. 2.2. Gendering und De-Gendering informatischer Artefakte: Forschungsdesiderate im aktuellen Diskurs
"Gender is a practice of improvisation within a scene of constraints. Moreover, one does not 'do' one's gender alone. One is always 'doing' with or for another, even if the other is only imaginary" (Butler, 2004, S.1). Und so bietet Technik eine gute Möglichkeit, um Doing Gender zu praktizieren. Nicht nur nach Wacjman (1991, S.37) ist Technik ein Bereich, in dem besonders Männern Kompetenzen zugeschrieben werden. Diese Zuschreibungen sind aber von ideologischen Kontexten und sozialen Konstruktionen abhängig und nicht von den tatsächlichen technischen Kompetenzen von Männern und Frauen. Und beide Dimensionen, die der Technik und die des Geschlechts und ihre Beziehung zueinander, sind ebenfalls kulturell bestimmt und somit wandelbar. Wie beispielsweise aus dem Geschlechterverhältnis in Ingenieurstudiengängen zu erkennen ist, denn dieses Verhältnis ist in den osteuropäischen Ländern wesentlich ausgeglichener als in Deutschland. Die Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht (Faulkner, 2001; Wajcman, 2004) ist sogar dynamisch, da sie auf die veränderbare Beziehung dieser Dimensionen basiert (vgl. Gildemeister, 2004; Lie, 2003; Schinzel, 1999). Doing Gender (West & Zimmerman, 1987) ist folglich ein fortlaufender Prozess, der auf Ressourcen basiert, die in einem bestimmten sozialen Kontext gelten und vor allem auch dort gefunden werden. Als Konsequenz kann diese Ko-Konstruktion neue Formen entwickeln, während andere (überkommene) Formen sogar verschwinden. Wenn eine bestimmte Technik respektive technische Anwendung Teil der täglichen Routine wird und nicht mehr technisch versierte herausragende Merkmale besitzt oder über komplizierte Bedienungsbedingungen verfügt, ist sie ungeeignet als Ressource für die Differenzierung der Geschlechter. Die Verwendung dieser Technik scheint nicht ein spezifisches Know-how in der Bedienung zu verlangen, über welches eben ‚erfahrene echte Männer' ihrer Argumentationen zufolge verfügen, wie sie gerne von sich behaupten. Und die somit resistent ist gegen die Benutzung von ‚Technikamateuren', welche Frauen ‚in der Regel' wiederum sind, wie viele Frauen sogar selber über und von sich denken. So ist unter anderem das geschlechtsspezifische Potenzial einer bestimmten Technik abhängig von seiner Veralltäglichung respektive allgemeine tägliche Verwendung (vgl. Pasero, 1999, S.13). Doing Gender mit der Ressource Technik bedeutet also, das (symbolische) Feld Technik zu nutzen, um die eigene Identität darzustellen, von denen das Geschlecht ein wesentlicher Teil ist und die durch den Umgang mit der Technik dargestellt werden kann. E-Learning ist (oder besser war) eine Art der Technik, durch die Doing Gender praktiziert werden konnte. E-Learning (auch auf der Ebene der Hochschulbildung, also der Bereich, den wir untersuchten) ist eine Technik, über die es einschlägige Diskussionen über den Umgang mit dieser Technik vor dem Hintergrund des Geschlechts oder feministischer Perspektiven (beispielsweise Brunner, 1992; Blum, 1998) gab. Doch viele E-Learning-Funktionen, wie andere IKT-Nutzungen, die als ‚geschlechtsgeladen' galten, sind immer mehr alltäglicher Bestandteil unseres Lebens geworden, sodass der technische Habitus durch die Veralltäglichung verschwand. Dementsprechend hört E-Learning auf eine spezifische Technik zu sein, die geeignet ist für die Geschlechtsexpression. Und so ist die Diskussion über Gender und E-Learning mittlerweile im Allgemeinen in Regionen oder Kulturen verschoben, in denen die Umsetzung E-Learning noch nicht zur alltäglichen Routine (beispielsweise Ong & Lai, 2006) geworden ist.
2022
Based on a posthumanist theory framework and laid out as a queer-posthumanist reading this article explores Barbara Frischmuth's novel Die Mystifikationen der Sophie Silber along various figures of thought and concepts by Karen Barad* and other posthumanist theoreticians whose decisive approaches lay in the questioning of anthropocentric humanist categories and dichotomous, hierarchically structured models of world order. Frischmuth's novel provides multiple points of application for a posthumanist reading strategy since non-human beings, such as fairies and mythical creatures, occupy privileged positions, hierarchies and ontologies are flattened or turned upside down, anthropocentric orders of thought are overcome, and alternative world designs are tested, thus subverting the supposed superiority of human cognitive power and morality. Genealogy+Critique is a peer-reviewed, open-access journal published by the Open Library of Humanities. https://www.genealogy-critique.net/article/id/9175/
Auftritt der KI. Zur Darstellung 'posthumaner Arbeitswelten' in Sibylle Bergs Roman GRM Brainfuck
Genealogy+Critique, 2024
The article deals with Sibylle Berg's novel GRM Brainfuck (2019), which focuses on a 'working world' that is being transformed by digitization processes. It is argued that this world is anchored in a 'post-human system' in which non-human objects as AI emerge as 'active' whereas humans recede into the background. The text is, thus, examined against the background of critical post-humanist theory and Timothy Morton's concept of the Hyperobject. It is then to be shown how an interplay of proximity and distance becomes legible in the encounter with AI. Moreover, the literarization of the various processes initiated by technological developments allows statements to be made about the design of a new working world in which gender attributions shift insofar as the mechanisms of oppression are also 'updated' in the age of AI.
Hiermit erkläre ich Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit eigenständig und ohne fremde Hilfe verfasst und entsprechend der Richtlinien redlichen wissenschaftlichen Arbeitens der Universität Wien sorgfältig überprüft habe. Ich habe andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt sowie die entnommenen Stellen als solche gekennzeichnet. Diese Arbeit wurde nicht bereits in anderen Lehrveranstaltungen von mir oder anderen zur Erlangung eines Leistungsnachweises vorgelegt.
Die Leiblichkeit über den Transhumanismus hinaus. Beitrag zu einer Genealogie der Technik
2017
Die in diesem Aufsatz dargestellte Genealogie der Technik setzt eine bereits begonnene und noch offene genealogische Arbeit voraus, d.h. eine Genealogie des Leibes. Wir benötigen eine Genealogie des Leibes und der Technik, um eine neue Auffassung des Verhältnisses zwischen Natürlichem und Künstlichem zu erschließen. Kernpunkt dieser neuen Auffassung ist die Überwindung des Gegensatzes von Natur und Technik: Die Technik tritt in die Welt nicht erst mit und durch den Menschen und die menschliche Kultur ein, sondern gehört zum Wesen des Lebens und des Lebendigen an. Wo es leibliches Leben gibt, dort erscheint die Technik, denn diese beschreibt ursprünglich nichts anderes als die zweckmäßige Struktur der Tätigkeit des Leibes, der sich zum Körper bzw. Körperding herabsetzt, sich somit in der Welt exponiert und seinen Eigenkörper als sein Urmittel und Urmedium der Beziehung zur Welt benutzt. (2017)