Wider dem Tod der feministischen Utopie – Zum utopischen Potential feministischer Ansätze in Zeiten des autoritären Backlash im Kontext des Neoliberalismus (original) (raw)

Radikalfeministische Utopiebesinnung. Zum Dilemma feministischer Defensiven angesichts des europäischen Anti-Genderismus

This paper is written against the background of the European right-wing "anti-gender" mobilization and the recent turn of German public opinion against immigrants. It problematizes two feminist counter-strategies which I deem one-sidedly defensive. The first is the attempt to correct the misunderstandings that anti-genderism projects. Using a psychoanalytical interpretation of Arendt's critique of "images", I argue that phobic ideas of gender are a defence mechanism which has to be understood not as a representation of its alleged reference but in its ideological function. The second "defensive" feminist strategy is language-political intervention in discriminatory speech. Though confrontational and almost always entirely warranted, this position lacks a transformative perspective. Even if we could end all hate speech, how would we actually want to shape our social relations otherwise? On the ground of this diagnosis, I eventually argue for a re-evaluation of certain radical feminist utopias of abundance and need-orientation (Cixous, Lorde, Irigaray) which also link to the agenda of anti-capitalist social struggles and radical pro-immigrant politics of "world-sharing".

Einleitung. Wider dem Utopieverdruss. Queer*feministische Überlegungen zum Stand der Debatte

FEMINA POLITICA - Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 2019

Einleitung: Von (angeblichem) Utopieverdruss und Ich-Utopien Die Zeit scheint reif, wieder über Utopien nachzudenken. Globalisierte Welt, Krisen und Gerechtigkeit sind die Stichworte, die unser Denken und Handeln herausfordern. Viele Theorien und Handlungsweisen sind in Frage gestellt. Demokratie und Sozialstaat sehen sich mit der Agenda einer gerechten Zukunftsgestaltung konfrontiert. Ähnliches gilt für die Ordnung der Wirtschafts-und Finanzsysteme (Kufeld 2011, 7).

Vom Ringen mit der Utopie. Gewalt(freiheit), Feminismus und Wissenspolitik

Dauerkämpfe. Feministische Zeitdiagnosen und Strategien, 2017

Kritische Friedensforschung und feministische Forschung haben vieles gemeinsam. Neben ihrer genuinen Transdisziplinarität, ihrer jungen Geschichte und ihrer vergleichsweise marginalisierten Position im Wissenschaftsbetrieb teilen sie einen normativen Anspruch von Analyse und Kritik. Das macht beide aus hegemonialer Perspektive verdächtig. Ihr geteiltes Erkenntnisinteresse an Gewaltverhältnissen und deren Eindämmung macht sie auch unbequem: für die, die von ihren Analysen adressiert werden, aber auch für die, die darauf aufbauende Kritik artikulieren und dabei ihr eigenes Verhältnis zu Gewalt reflektieren müssen. Eine Begleiterin dieser Unbequemlichkeit ist nämlich die Utopie von Gewaltlosigkeit (in den eigenen Handlungen) und Gewaltfreiheit (als gesellschaftliches Ziel), die mit dem Aufruf zu umfassendem Gewaltverzicht einhergeht. Das gleichzeitige Bestehen auf einem weiten Verständnis von Gewalt macht dies jedoch zu einer ambivalenten Herausforderung, denn dann geht es nicht mehr nur um einen wohlmeinenden Pazifismus von Privilegierten, deren Lebensrealität eine Distanzierung von direkter physischer Gewalt vergleichsweise einfach macht. Ein dezidiert weiter Gewaltbegriff, der auch strukturelle, symbolische, kulturelle, normative, ethische und epistemische Gewalt inkludiert, verkompliziert die ohnehin schon anspruchsvolle Utopie. Doch das Bestehen sowohl auf weite Begriffe von Gewalt als auch auf einer Eindämmung ihrer Phänomene zeichnet feministische Theoriebildung ebenso wie kritische Friedensforschung aus. Daran orientierte Politik und Wissenschaft darf in antifeministischen und gewalteskalierenden Zeiten weder auf das eine noch auf das andere verzichten.

Kritische Theorie und feministisches Urteilen heute

Zeitschrift für kritische Theorie, 2023

Kritische Theorie tröstet nicht, und doch setzt sie an der Trauer an, im Kleinen wie im Großen – Trauer über den Tod geliebter Menschen ebenso wie Trauer um verlorene Freiheit und um verpasste Möglichkeiten der Emanzipation. Diese Formen von Trauer sind universell. Deshalb stellt kritische Theorie das Subjekt ins Zentrum, an dessen Erfahrung des Leids, der Endlichkeit und des Schmerzes die kritische Reflexions- und Denkbewegung ihren Ausgang nimmt. Das leidende Subjekt bekommt den ganzen Raum, den es zum Ausdruck seines Schmerzes braucht, ohne dass der Schmerz, die Trauer und die Untröstlichkeit begrifflich zurückgenommen würden. Kritische Theorie hebt am alltäglichen Erleben von Leid und Zorn an und fragt, wo die Verbindungen liegen, die Gemeinsamkeit in den subjektiven Erfahrungen, durch welche die Vereinzelung Lügen gestraft wird und die zum Ausgangspunkt von Solidarität werden kann. Trauer ist eine Praxis der Verbundenheit, in der sich Protest und Widerstand äußern können. Das wurde in der jüngsten feministischen Revolte im Iran deutlich, die nach dem gewaltsamen Tod Jina Mahsa Aminis durch iranische Repressionsorgane entbrannte.

Ökonomische Visionen feministischer Utopie

2005

He must not dismiss as ridiculous what was, after all, of tremendous importance here. He tried to read an elementary economics text; it bored him past endurance, it was like listening to somebody interminably recounting a long and stupid dream. He could not force himself to understand how banks functioned and so forth, because all operations of capitalism were as meaningless to him as the rites of a primitive religion, as barbaric, as elaborate, and as unnecessary. In a human sacrifice to deity there might be at least a mistaken and terrible beauty; in the rites of the moneychanger, where greed, laziness, and envy were assumed to move all men's acts, even the terrible became banal.« (Die Gedanken eines Außerirdischen, der zu einem Besuch auf die Erde kommt. Aus: »The Dispossessed«, Le Guin 2001 (1974) S. 109) Als feministische Ökonomin beschäftigt mich die Frage, inwieweit eine feministische Ökonomie imstande wäre, Alternativen zu bestehenden ökonomischen Systeme anzudenken, praktische Umsetzungsvorschläge für diese Alternativen zu entwickeln und auch wie weit die Radikalität dieser feministischen Modelle gehen könnte. In meiner Dissertation (Schönpflug 2004) habe ich diese Fragen mit dem Utopiebegriff verknüpft, der für mich ein radikales, Ziel setzendes Veränderungspotential darstellt. In » Utopian Visions of Feminist Economics« beschäftige ich mich einerseits mit den diesbezüglichen Grundlagen der feministischen Theorie und andererseits mit der International Association for Feminist Economics (IAFFE) 1 und ihrem »utopischen Potential«. Die Fragestellung meiner Dissertation ist in Folge, ob feministische Ökonomie utopisch wäre und ob sie es sein sollte, und wenn ja, inwiefern und mit welchen Zielen. Zur Ergründung der Fragestellung wählte ich einen multidisziplinären Ansatz: Meinen mehrdimensionalen persönlichen Zugang zur Thematik nutzend 2 , entschied ich mich, Sandra Hardings Idee der Regenbogenkoalition zu nutzen und die Thematik von mehreren Denkperspektiven anzugehen 3 , was eine in der Mainstream Ökonomie eher unkonventionelle Strategie ergibt: Der erste Schritt und Ansatzpunkt ist eine chronologische Analyse der bestehenden, von Männern verfassten, Utopien aus feministischer Perspektive. Der zweite Schritt führt zu einer Sammlung feministischer Utopien, mit einer Systematisierung und Analyse aus feministischökonomischer Sicht. Der dritte Schritt ist eine Analyse feministischer Ökonomie aus feministisch-utopischer Sicht. Ein Zurückkehren an den Ausgangspunkt nach diesem Ausflug in die tripolare multiple Persönlichkeit soll die Antwort auf die Fragestellung der These ergeben. Als unterstützendes empirisches Element habe ich weiters Fragebögen entwickelt, die ich an die Mitglieder von !AFFE verschickt und ausgewertet habe. Die Antworten auf die Fragen und auch andere, die während der Beschäftigung mit dem Thema auftauchten, aber auch den Prozess selbst, der mich zu den Antworten führte, will ich auf den folgenden Seiten kurz nachskizzieren.

„We should all be feminists“ – Kapitalismuskritik als sozial-emanzipatorisches Projekt

Springer eBooks, 2023

… spätestens seit der Modeschöpfer Dior T-Shirts mit dem Schriftzug dieses Aufrufs der Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie kreierte, die dann von Luxusmodels über die Laufstege der Haute Couture getragen und im Internet für 650 € zum Kauf angeboten wurden, wissen wir: Feminismus ist en vogue. Dass es sich dabei um einen eher oberflächlichen Hype handeln könnte, hatten wir 2008/9 schon vorausgeahnt angesichts der Tendenzen zur Bewältigung der weltweiten Wirtschafts-und Finanzkrise "auf Kosten von Frauen". Diesen Tendenzen folgte und folgt das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie in noch ausgeprägterer Weise. Seit dem 24. Februar 2022, also seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine, sind wir nicht nur mit dem furchtbaren Leid, das der Krieg über die ukrainische und die russische Bevölkerung gebracht hat, konfrontiert. Wir erleben auch eine-dieses neuerliche Scheitern der Zivilisation "nebenbei" begleitende-Inszenierung tradierter Geschlechterstereotypen mit der darin enthaltenen hegemonialen Männlichkeit in ihrer archaischen Form des Kriegers und der damit korrespondierenden "subalternen Weiblichkeit" in der Form des Opfers. Dennoch: Vielleicht ist der gender code dieses Krieges und seiner medialen Vermittlung wirklich nur ein "Nebenwiderspruch" des furchtbaren Geschehens, denn wir wissen spätestens seit der Studie von Margarete Mitscherlich aus 1985 über "die friedfertige Frau", dass es sich dabei um einen Mythos handelt. Andererseits zeugt die Prominenz des Slogans von Chimamanda Ngozi Adichie tatsächlich auch von einem seit Jahren zu beobachtenden weltweiten

Von der „Neuen Frau“ zur Neuen Frauenbewegung: Emanzipationskonzepte auf Zeitreise

• English: In 1913 Alexandra Kollontai wrote a piece entitled «The new woman». The title indicates that the revolutionary programme of the Bolsheviks was not limited to the transformation of State power. For women it promised a new life and an escape from domestic confinement through paid work and access to public life. But Kollontai and others went further and demanded the sexual liberation of women – ideas that also resonated with international communism. Even if the social reality and male comrades proved resistant to a real equality of men and women. As this contribution shows, such emancipatory concepts circulated transnationally and worked their way through the 20th Century. • German: 1913 hat Kollontaj eine Schrift mit dem Titel «Die neue Frau» verfasst. Der Titel verweist darauf, dass sich das Revolutionsprogramm der Bolschewiki nicht auf die Transformation der Staatsmacht beschränkte. Den Frauen versprach es ein neues Leben («novyj byt») durch den Schritt aus der häuslichen Enge in die Erwerbsarbeit und ins Öffentliche. Kollontaj und andere gingen noch weiter und forderten die sexuelle Befreiung der Frauen – Ideen, die auch im internationalen Kommunismus Resonanz fanden. Die soziale Wirklichkeit und die Genossen erwiesen sich gegenüber der Geschlechtergleichstellung zwar als weitgehend resistent. Wie dieser Beitrag zeigt, zirkulierten solche Emanzipationskonzepte gleichwohl transnational und wirkten über das 20. Jahrhundert nach.