Dionysos, der Gott der Masken. Ein Essay mit Hinblick auf Nietzsche (original) (raw)
Masken sind vertraute Gegenstände. Ihr Auftreten und ihr Gebrauch sind durch keine Zahl und keine Zeit beschränkt als die der Gesichter, die sie enthüllen oder verbergen. Keiner Kultur sind Masken überhaupt fremd. Ihr Anblick ist hoffähig und angenehm, aber auch anstößig und grausam. Wir sind ihren Umgang, in dem sie gezähmt sind, gewöhnt, tragen sogar-als Personen-ihre Namen. Darüber hinaus umgibt sie etwas Geheimnisvolles: Sie führen auf eine Spur, die uns gleichermaßen, wie viele Erzählungen belegen, geläufig ist, und folgt man ihr über die Grenze hinaus, die den Blick vom Gewohnten scheidet, so ist das, was entdeckt oder enthüllt wird, bedrohlich und vielfach auch tödlich. Der Kreis, der die Masken umgibt und dessen Darstellung sie eröffnen, ist Umkreis dieses kleinen Essays. Nicht ihre Bedeutung, Funktion oder Geschichte, die sich jeder Betrachter nach seinem Standpunkt wählt, sondern das, was sie belebt, ihr Sinn, ist gefragt, und auf diesen allein soll angespielt werden. Ihre Grenze ist durch den Augenblick gegeben, in dem die Maske erscheint und den sie verwandelt. Ihr Begriff ist das, was in den unzähligen Bedeutungen, in denen sie jeweils auftritt, gleichsam weitergereicht und bloßgestellt wird. Er führte zu den Anfängen zurück, wo das, was vor Augen liegt, verwandelt werden musste, um so-verdeckt und enthüllt zugleich-erst wahrgenommen zu werden. Die Strenge der vorliegenden Untersuchung wird von vorn herein dadurch gemildert, dass die unzähligen Ereignisse, denen wir Masken ansehen, sich der Anschauung fügen, um sich sogleich wieder in das, was gegen sie eintritt, aufzulösen, oder in dem, was geschieht, unterzugehen. Die Maske repräsentiert den vollkommenen Augenblick wie auch das Chaos, und ihr eine Regel zu geben oder eine Systematik ist sinnlos. Entweder haftet sie ihr schon immer an oder sie hebt diese erst auf. Masken sind ihrem Auftritt genug und in der Sprache, die sie reflektiert, bereits verwandelt und fragwürdig. Verwendet als Gleichnis, Parabel, Metapher oder Symbol, erzählt als Mythos, Sage, Märchen oder Geschichte umspielen die Worte, die sie bezeichnen, den Ort, an dem sie Umgang mit Maskierten hatten, deren Absichten in einer Andeutung verstanden und weitertrugen. Für uns, die wir das Schauspiel lieben, soll im Zentrum der Maskengott Dionysos stehen, sein Auftritt im Theater, das ihn schuf, sein Mythos und seine Bakchen. Dionysos betritt das Pantheon der olympischen Götter erst spät, und sein Einzug in Griechenland scheint sich nicht ohne Schwierigkeiten vollzogen zu haben. Er war eine volkstümliche Gottheit, lehrte den Anbau von Wein und