7. Gründe für Klosterflucht (original) (raw)

2015, Klosterflucht und Bittgang

Befasst man sich mit Klosterflucht, so stellt sich unweiger lich die Frage nach möglichen Gründen, die dazu führten, dass Ordensleute ihre Gelübde brachen und sich über das Gebot der stabilitas loci hinwegsetzten. Fündig wird man schnell, denn Konfliktpotential gab es einiges. Wenn sich auch die Mentalität der mittelalterlichen Gesellschaft in vielem von der heutigen, modernen unterscheidet und dem Konzept von ‚Individuum', ‚Individualität' oder ‚individuellen Bedürfnissen' weit weniger Beachtung eingeräumt wurde 1 (vor allem bei Ordensleuten), so gestaltete sich das Zusammenleben von Gruppen auf engem Raum auch im 15. Jahrhundert nicht immer konfliktfrei und ein Teil der Probleme kommen auch dem heutigen Leser nicht unbekannt vor. Sucht man jedoch in den betreffenden Bittschriften der kurialen Register nach Gründen für eine Klosterflucht, so lassen sich diese Gründe nur lückenhaft oder in vielen Fällen auch gar nicht eruieren. Rund 41 % der untersuchten Suppliken enthalten keine Angaben über die Flucht, die Mehrheit, immerhin 59 % der Eingaben, ermög lichen einen genaueren Einblick in die Begleitumstände der Tat. Meist erlaubte die vorgeschriebene Formelhaftigkeit, der stilus curiae, keine ausufernden oder individuellen Beschreibungen, jedenfalls nicht für die Suppliken der Rubrik De diversis formis. Etwas anders sieht es bei den Bittschriften der Rubrik De declaratoriis aus: Wenn das Vergehen den Rahmen des Formulars sprengte, konnte die Narratio freier gestaltet werden und die Umstände einer Flucht erhalten so meist mehr Kontur. Die Marginalisierung der auslösenden Faktoren oder der Begleitumstände einer Flucht entspricht aber auch der Praxis des kurialen Busswesens im Mittelalter. Während im heutigen, zivilrecht lichen Verfahren die Umstände einer Tat sowie psycholo gische und soziale Auslöser für ein Delikt bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden und das Strafmass beeinflussen können, so interessierte sich die Pönitentiarie als oberstes Buss-, Beicht-und Gnadenamt weit mehr für die Tat als solche und nicht für deren Begründung. Als mildernder Umstand wurde in der Regel einzig die Verführung der Petenten durch den Teufel, den Erzfeind des Menschen, geltend gemacht. Dieses ‚Desinteresse' war wohl vor allem pragmatisch motiviert: Wie sonst hätte die römische Behörde die einfacheren Fälle ohne eine Untersuchung vor Ort derart zügig bearbeiten können? Komplexere Fälle, die deklaratorischen Suppliken, wurden hingegen in partibus einer genauen und gericht lichen Untersuchung unterzogen, dabei rückten auch die Begleitumstände der Tat vermehrt in den Blickpunkt.