Exekutive Funktionen im Wochenplanunterricht (original) (raw)

2013, CERN European Organization for Nuclear Research - Zenodo

Diese Forschungsarbeit widmet sich der Frage, wie exekutive Funktionen von Schüler/innen in der Arbeit mit Wochenplan gefördert werden können, so dass insbesondere auch Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf in diesem Bereich davon profitieren. Sie zeigt auf, wie die Ziele und Anforderungen des Wochenplanunterrichts mit exekutiven Funktionen wie Planen, Organisation (innere und äussere), Selbstregulation der Aufmerksamkeit, Selbstregulation des Affekts, Metakognition u.a. zusammenhängen. Sie erläutert Kriterien für einen Wochenplanunterricht, welcher exekutive Funktionen tatsächlich fördert und zeigt insbesondere Wichtigkeit und Prinzipien effektiver Strategievermittlung auf. Vor diesem theoretischen Hintergrund wurde mittels Interviews und einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht, was Lehrpersonen in ihrem Wochenplanunterricht zur Förderung exekutiver Funktionen tun. Ideen aus der Praxis wurden mit Handlungskonzepten aus der Literatur verknüpft und in einer Ideensammlung (s. Beilage) zusammengestellt. Ergebnisse aus den Befragungen deuten darauf hin, dass das Thema der exekutiven Funktionen und deren gezielte Förderung insbesondere im Bereich der Selbstregulation in der Praxis noch wenig Fuss gefasst haben. Die Ideensammlung zur Förderung exekutiver Funktionen im Wochenplanunterricht zeigt daher praxisnah und konkret auf, wie exekutive Funktionen im Rahmen der Wochenplanarbeit gefördert werden können. Masterthese Exekutive Funktionen in der Wochenplanarbeit Barbara Marra-Junker 1. Ziele und Fragestellung 1.1. Darstellung und Begründung der Ziele Jeden Montag, wenn Daniel* (9 J.) seinen neuen Wochenplan nach Hause bringt, geht es los: "Es ist viel zu viel, das schaffe ich nie!" Der Berg scheint unüberwindlich und die Versuche der Eltern, den Jungen dazu zu bringen, einen Auftrag als Hausaufgabe auszuwählen und anzupacken, arten immer wieder in Machtkämpfe, Streit, Tränen und Ohnmachtsgefühle aus. Carina* (10 J.) beginnt anfangs Woche mit Wochenplanaufträgen, die sie mag. Sie gestaltet wunderschöne Titelblätter, schreibt lange Texte und macht engagiert in Gruppenarbeiten mit. Für die ungeliebten Aufträge wird Ende Woche die Zeit knapp und oft muss sie auch übers Wochenende noch Aufträge fertig machen. Wenn Liam* (10 J.) zu Beginn der Wochenplanlektion seinen Plan und die Materialien bereitlegen soll, dauert es jeweils eine ganze Weile, bis er alles gefunden hat. Die Blätter kommen lose im Schulsack, zwischen den Seiten eines Buches oder gar nicht zum Vorschein. Öfter beteuert L. verzweifelt, er habe den Auftrag schon gelöst, nur finde er das Blatt nicht mehr. Matteo* (9 J.) trägt sein ganzes Schulmaterial jeden Tag nach Hause und wieder in die Schule. Seine Mutter will das so, damit sie mit ihm zu Hause arbeiten kann. Denn in der Schule kommt S. mit seiner Arbeit nicht vom Fleck. Er nutzt jede Gelegenheit aufzustehen und herumzugehen. Er spitzt Stifte, geht Wasser trinken, sucht Partner/innen, ordnet ein und wartet darauf, dass die Lehrerin Zeit hat, um seine Frage zu klären. Tobias* (11 J.) gibt die Aufträge seines Wochenplans oft schon alle bis Mittwoch ab. Die restliche Wochenplanzeit ist er dann mit Verbessern beschäftigt. Er hat die Aufträge nicht vollständig erledigt, sie nicht wie vorgegeben gelöst, in der Selbstkontrolle viele Fehler übersehen und wandert nun mit seinen Sachen viele Male zur Lehrerin und wieder zurück, bis alles in Ordnung ist. *Alle Namen geändert Dies sind nur einige Beispiele von Schüler/innen, welche mit der Wochenplanarbeit Mühe bekunden. Diese Kinder haben oft nicht nur da Schwierigkeiten damit, sich von ihren Emotionen nicht überschwemmen zu lassen, zu planen, Prioritäten zu setzen, Ordnung zu halten, Aufgaben anzupacken, dranzubleiben und zu kontrollieren, aber die grösseren Frei-und Entscheidungsspielräume in offeneren Unterrichtsformen, lassen diese Schwierigkeiten um einiges deutlicher zum Vorschein treten. Schüler/innen wie Daniel*, Carina*, Liam*, Matteo* und Tobias* werden durch diese Schwierigkeiten in ihrem Lernen und Arbeiten, in ihren Aktivitäten und in ihrer Partizipation und letztendlich in ihrer Entwicklung behindert. Sie lernen im Wochenplanunterricht zu wenig. Wochenplanunterricht im Besonderen, aber auch Schule im Allgemeinen setzt sich zum Ziel, den Schüler/innen Gelegenheit zu geben, Selbstständigkeit zu proben und sie so zur Selbstständigkeit zu führen. Solche Gelegenheiten ergeben sich nur in Frei-und Entscheidungsspielräumen. Das Masterthese Exekutive Funktionen in der Wochenplanarbeit Barbara Marra-Junker "Der Bildungsbegriff … versteht sich eingebettet in historisch-gesellschaftliche Zusammenhänge, als geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der Menschheit in der Gegenwart und Zukunft mit der Konsequenz, an deren Bewältigung mitzuwirken" (ebd.). Es geht also nicht nur um die Aneignung von enzyklopädisch angehäuftem Wissen (materiale Bildung), sondern auch darum, Werkzeuge des Lernens und Denkens und letztendlich des Entscheidens auszubilden (formale Bildung) (vgl. ebd). Klafki entwickelte Mitte der 70er Jahren das Konzept einer kritisch-konstruktiven Didaktik. Dieses geht von einem kategorialen Bildungsbegriff aus, welcher materiale und formale Bildung vereint und betont die Beachtung der Bildungsinhalte und deren Bildungsgehalt und der Methoden und deren Tauglichkeit zur Förderung von Lernprozessen gleichermassen (vgl. ebd.). Dieses Konzept hat auch heute in unseren Schulen und Lehrplänen noch Gültigkeit. Es geht nicht nur darum, wertvolle und sinnvolle Inhalte zu vermitteln, sondern auch darum, dies auf eine Art und Weise zu tun, welche die Persönlichkeit des Schülers/der Schülerin weiter (aus)bildet im Hinblick auf die Erweiterung seiner Selbstständigkeit. Oder, wie Klippert schreibt: "'Bildung als Selbst-Bildung', so umreisst Rainer das Grundkonzept dieses auf Mündigkeit zielenden Unterrichts" (2010, S.18). Dazu sagt Drieschner: "Unbestritten kann Selbstständigkeit jedoch nicht "pädagogisch" geschaffen oder "erzeugt" werden. Insofern wird Selbstständigkeit im Sinne von Selbsttätigkeit zugleich als konstitutive Bedingung von Erziehung betrachtet. Erziehung ist demzufolge nicht nur fremdbestimmt als pädagogische Einwirkung von Erziehern zu verstehen, sondern zugleich als reflexive und eigenbestimmte Selbsterziehung des Heranwachsenden" (2007, S. 12) Um an Selbstständigkeit zu gewinnen, müssen Schüler/innen also selbst tätig werden. Selbstständigkeit zeigt sich auch nur in der Selbsttätigkeit, im eigenen Verhalten, in Denken, Handeln aber auch Fühlen der Schüler/innen. Dabei ist der Grad der Selbstständigkeit eines Menschen nicht absolut messbar, sondern nur im Verhältnis zu den, an ihn gestellten Anforderungen abzuschätzen, welche von seiner Umgebung und den Situationen, in denen er sich befindet, ausgehen. Ein Kleinkind kann gewisse Tätigkeiten durchaus selbstständig durchführen und in bestimmten Situationen durchaus Selbstständigkeit an den Tag legen, so wie andererseits eine erwachsene Person gewisse Probleme nicht wird ganz alleine und unabhängig von der Hilfe anderer lösen können. In dem Sinne geht es bei der Selbstständigkeit als Erziehungsziel in erster Linie um ein Ermöglichen von Selbstbestimmung, die Entwicklung von Eigenverantwortung und das Hinführen zu Eigenständigkeit. Inwiefern ein Menschen sein Leben selbstbestimmt, eigenverantwortlich und eigenständig, also selbstständig, führt, zeigt sich an den Kompetenzen, welche er an den Tag legt. Masterthese Exekutive Funktionen in der Wochenplanarbeit Barbara Marra-Junker 2.2. Wochenplanunterricht "Die Wochenplanarbeit ist ein eigenständiger Weg zur Selbstständigkeit und Eigenverantwortung" (Hagmann, 2003, S. 10) 2.2.1. Die Arbeit mit Wochenplan als Form des Offenen Unterrichts Die Wochenplanarbeit gilt als eine Form des Offenen Unterrichts. Die Idee einer Öffnung des Unterrichts als Gegenstück zu geschlossenen, lehrerzentrierten und lernzielorientierten, d.h. auf wissenschaftliche, im Sinne von Wissen anhäufende Curricula ausgerichtete Unterrichtsformen, entwickelte sich im Zuge der Reformpädagogik (vgl. Moosecker, 2008). "Das methodische Grundprinzip des Offenen Unterrichts ist das entdeckende, problemlöse-, handlungsorientierte und selbst