Sexualität und Macht (original) (raw)
2013, kids+media : Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedienforschung
Die Adoleszenz ist geprägt vom Hinterfragen und Zurückweisen einengender Regeln, von den Veränderungen des eigenen Körpers und, damit einhergehend, der Entdeckung der eigenen sexuellen Gefühle, dem so genannten sexuellen Erwachen. 1 Entsprechend geht es auch in der Literatur für Jugendliche häufig um Themen des erwachenden sexuellen Interesses: erste Verliebtheiten und sich anbahnende oder tatsächlich stattfindende Romanzen, Schwärmereien für Klassenkameraden, Stars oder Lehrpersonen, und-gerade in den letzten Jahrzehnten-immer häufiger: erste sexuelle Erfahrungen vom Kuss bis zum Geschlechtsverkehr. Die Art und Weise der Behandlung dieser Themen in der Jugendliteratur-die Frage danach, wie explizit mit sexueller Lust umgegangen wird, wie detailreich und ob überhaupt erste tatsächliche sexuelle Erfahrungen thematisiert und dargestellt werden-ist dabei stark vom Zeitgeist abhängig. Zurzeit scheinen wir eine Phase der immer expliziter werdenden Auseinandersetzung mit dem Thema in der Jugendliteratur zu erleben, wie im deutschsprachigen Raum unter anderem die Erfolge von Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszewskis sowohl textlich als auch visuell sehr expliziten Aufklärungsbuch Make Love oder der Romans Doktorspiele von Jaromir Konecny, international aber auch Melvin Burgess' Doing It oder Lady: My Life as a Bitch zeigen. Diese Sexualisierung der Jugendliteratur passt dabei dahingehend in den Zeitgeist, als dass sie die Sexualisierung der Gesellschaft-der Kultur allgemein und der Popkultur im Besonderen-widerspiegelt. Auf der einen Seite werden wir dabei immer mehr mit sexualisierten Bildern konfrontiert, auf der anderen Seite wird gleichzeitig die Gefahr sexueller Handlungen betont und es breitet sich eine Purifizierung von Sexualität aus: Wir sind umgeben von schönen, fotografisch nachbearbeiteten, klinisch reinen Kunstmenschen in erotischen Posen, gleichzeitig aber meilenweit entfernt von der derben Sexualmoral und dem sexuellen, frivolen Witz z.B. des Mittelalters oder der sexuellen Freizügigkeit der 1960er und frühen 1970er Jahre. 2 Obwohl wir uns gesellschaftlich als sexuell aufgeklärt und befreit empfinden, ist insbesondere die eigene Sexualität (und die ist ja durchaus auch bei Jugendbuchautorinnen und-autoren immer berührt, wenn sie über Sex schreiben) 3 , noch immer ein Tabuthema, sowohl im öffentlichen Diskurs als auch im Austausch mit der eigenen Partnerin bzw. dem eigenen Partner und mit sich selbst: "Jetzt reden alle über den Sex der Anderen. Das war vorher nicht erlaubt. Aber noch immer redet niemand über den 1 Vgl. Sichtermann 2007, 70-75. 2 Lydia Kokkola untersucht dieses Phänomen am Beispiel der Jugendliteratur in Fictions of Adolescent Carnality. 3 Dieses Phänomen erklärt Lydia Kokkola in ihrem Interview mit interjuli zu einem der Hauptgründe für das von ihr postulierte Unbehagen vieler für Jugendliche Schreibender: "One of the more amusingly obvious problems is how difficult it is to describe something physical without revealing personal experience. Even the more imaginative books in which the sexual act takes place while the character is in a metamorphosed state reveal at least the author's sexual imagination" (Rana 2013b, 106-107).