Wissenschaftliche Analyse Beiträge der Mitglieder des Landesbeirats für Armutsbekämpfung und Prävention Baden-Württemberg Maßnahmen und Handlungsempfehlungen der Landesregierung Impressum Erster Armuts-und Reichtumsbericht Baden-Württemberg Endredaktion, Layout (original) (raw)

Beitrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum Ersten Armuts- und Reichtumsbericht des Landes Baden-Württemberg 2015

Steigende atypische Beschäftigung bewirkt auch in Baden-Württemberg die Ausbreitung von Armut und Altersarmut. Atypisch Beschäftigte erreichen nur etwa zwei Drittel der Höhe der Bruttostundenlöhne der Normalbeschäftigten. Etwa jeder zweite atypisch Beschäftigte ist von Niedriglohn betroffen, aber nur jeder zehnte Normalbeschäftigte. Die Armutsgefährdungsquoten der Normalbeschäftigten sind mit 3,2 % sehr gering, sie liegen bei den atypisch Beschäftigten aber bei 14,3 %. 1 Wolf kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass "in Westdeutschland Teilzeitbeschäftigte im Durchschnitt geringere Bruttostundenlöhne erhalten als Vollzeitbeschäftigte". 2 Auch Brehmer/Seifert belegen diesen Zusammenhang, wonach "atypisch Beschäftigte höheren Prekaritätsrisiken ausgesetzt sind als vergleichbare Beschäftigte im Normalarbeitsverhältnis". 3 Die "deutlichste Benachteiligung", urteilen Brehmer/Seifert, bestehe "beim Lohn". Insofern besteht ein enger Zusammenhang von atypischer Beschäftigung und Prekarisierung. Der prozentuale Anteil der Teilzeitarbeit an allen Beschäftigungsverhältnissen in Baden-Württemberg ist zwischen den Jahren und 2014 von 13,4 % auf 20,3 % stark gestiegen -in absoluten Zahlen bei den Frauen von 507 224 auf 856 916 Personen und bei den Männern von 82 814 auf 162 024 Personen. Teilzeitarbeit wird überwiegend von Frauen geleistet. 4 Der Tabelle V.3.3 zufolge betrug die Armutsgefährdungsquote von Teilzeitbeschäftigten in Baden-Württemberg im Jahr 2012 15,2 %, während sie unter Vollzeitbeschäftigten nur bei 4,3 % lag. Teilzeitarbeit ist in Baden-Württemberg ein Armutsrisiko. Der prozentuale Anteil der Leiharbeitsverhältnisse an allen Beschäftigungsverhältnissen verdoppelte sich in Baden-Württemberg in etwas mehr als einer Dekade von 0,8 % auf 1,9 %. Waren im Jahr 2003 nur 36 881 Menschen in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigt, sind es im Jahr 2014 96 124 gewesen. Der Anteil der Minijobs stieg im selben Zeitraum von 14,2 % auf 15,4 %. Hatten im Jahr 2003 624 902 Personen ausschließlich einen Minijob, waren es 11 Jahre später schon 776 553. Unter ihnen ist ausweislich der Tabelle V.3.4 die Armutsgefährdungsquote mit 23,2 % "gut fünfmal so hoch wie jene der Vollzeiterwerbstätigen" 5 . Weil Leiharbeitnehmer etwa nur die Hälfte dessen verdienen, was Normalbeschäftigte erhalten, wird "Leiharbeit in Baden-Württemberg von den Arbeitgebern im großen Stil und flächendeckend als Instrument zur Lohnsenkung missbraucht" 6 . Die wachsende Leiharbeit trägt daher erheblich zur Ausbreitung des Niedriglohnsektors und Armutsgefährdung in Baden-Württemberg bei. Die Bundesagentur für Arbeit belegt diese Interpretation mit Zahlen: "Das Median-Bruttoentgelt von * Abteilungsleiter Arbeits-und Sozialpolitik beim DGB-Bezirk Baden-Württemberg. 1 Vgl. Wagner, Alexandra (2010): Atypische Beschäftigung -Eine wissenschaftliche Bilanzierung, Berlin, S. 93-94. 2 Wolf, Elke (2010): Lohndifferenziale zwischen Vollzeit-und Teilzeitbeschäftigten in Ost-und Westdeutschland, Düsseldorf, S. 25. 3 Brehmer, Wolfram / Seifert, Hartmut (2008): Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse prekär? in: ZAF 4/2008, S. 516. 4 Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (2015): Datenbank ‚Atypische Beschäftigung in Baden-Württemberg', Daten nach Statistisches Bundesamt und Bundesagentur für Arbeit. 5 Kapitel V.3.3. 6 Kistler, Ernst / Scholz, Jendrik / Ruth, Joachim (2013): Baden-Württemberg -Musterland guter Arbeit?

Handbuch Staat - Artikel "Armut"

2018

Zusammenfassung Der Armutsbegriff ist komplex und sorgt aufgrund seiner normativen Aufladung und Offenheit häufig für Irritationen. Gerade seine Unverbindlichkeit prädestiniert ihn da-für, politisch instrumentalisiert zu werden. Zahlreiche öffentlich geführte politische Diskussionen belegen dies eindrücklich-und zwar in Geschichte und Gegenwart. In diesem Beitrag wird zunächst ein Überblick über gebräuchliche definitorische Annä-herungen gegeben, ehe der Wandel der Begriffsverwendung in historischer Perspektive nachgezeichnet wird. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Bewertungsebene von Armut bzw. Armen. Schlüsselbegriffe Soziale Ungleichheit, Sozialstruktur, Existenzminimum 1 Einleitung In den Sozial-, Politik-und Wirtschaftswissenschaften ist Armut ebenso wie im All-tagsgebrauch ein vieldeutig nutzbarer und mehrdeutig interpretierbarerer Begriff. Aufgrund seiner offenkundigen Vielgestaltigkeit und Offenheit ist Armut-wie sein Antipode Reichtum im Übrigen auch-ein ebenso umstrittener wie missverständ-licher Begriff, der moralisch, emotional und ideologisch aufgeladen ist. Allgemein beschreibt er einen Zustand am unteren Ende der sozialen Hierarchie und ist stets abhängig vom sozialen, politischen, ökonomischen, religiösen, ideologischen oder kulturellen Standort des jeweiligen Betrachters. Somit beschreibt Armut ein kom-plexes und polydimensionales Phänomen, das wirtschaftliche, materielle, soziale und kulturelle Aspekte umfasst und nicht eindeutig bestimmbar ist. Die Vielfalt an de-finitorischen Herangehensweisen macht es nötig, verschiedene Ansätze vorzustellen.

Armutsbekämpfung – eine vernachlässigte Aufgabe der Bundesregierung

Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2014

Armutsbekämpfung-eine vernachlässigte Aufgabe der Bundesregierung Jahrzehntelang weigerte sich die Bundesregierung, Armut als gesellschaftliche Wirklichkeit und als Problem zu betrachten, das einer Lösung harrt. Aufgrund der "Vielschichtigkeit" des Armutsbegriffs entziehe sich dieser einer allgemeingültigen Definition, argumentierte sie, und fügte hinzu, wegen des Rechtsanspruchs auf Leistungen der Sozialhilfe werde Armut hierzulande am Entstehen gehindert bzw. staatlicherseits wirksam bekämpft. 1 Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen suchten das Kardinalproblem der sozialen Ungleichheit im vereinten Deutschland daher "inoffiziell" zu dokumentieren. Hiervon zeugen entsprechende Berichte der Caritas sowie des DGB, der Hans-Böckler-Stiftung und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (ausführlicher dazu: Butterwegge 2012: 59 ff.). Auch manche Kommunen und einzelne Länder bauten früher als der Bund eine regelmäßige Berichterstattung zum Thema "Armut" auf, wiewohl es den meisten schwer fiel, das Phänomen als solches offen zu benennen, weshalb die einschlägigen Materialsammlungen häufig verschämt "Sozialberichte" genannt wurden. Auf zentralstaatlicher Ebene lehnte die damalige CDU/CSU/FDP-Koalition wiederholt Anträge der Oppositionsfraktionen ab, denselben Versuch zu unternehmen. Erst die rot-grüne Koalition legte im April 2001, zweieinhalb Jahre nach dem mit sehr bald enttäuschten Hoffnungen verbundenen Regierungswechsel, einen Armuts-und Reichtumsbericht vor. Seither wird in unregelmäßigen Abständen, das heißt nicht unbedingt zur Mitte jeder Legislaturperiode-wie vom Bundestag seinerzeit beschlossen-regierungsoffiziell dokumentiert, welches Ausmaß die soziale Ungleichheit hierzulande erreicht hat (Butterwegge 2014: 322 ff.). Verharmlosung bzw. Verdrängung der sozialen Ungleichheit in den Armutsund Reichtumsberichten Die bislang vier Armuts-und Reichtumsberichte der Bundesregierung weisen methodische Schwachstellen sowie inhaltliche Brüche und Widersprüche auf. Konzeptionell versuchte man zwar in Anknüpfung an den erreichten Forschungsstand,

Operationalisierung der Armuts- und Reichtumsmessung: Schlussbericht an das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung

2003

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Volkert, J., Klee, G., Kleimann, R., Scheurle, U., & Schneider, F. (2003). Operationalisierung der Armutsund Reichtumsmessung: Schlussbericht an das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Forschungsbericht / Bundesministerium für Arbeit und Soziales, A322). Tübingen: Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (IAW); Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-332677

Deutscher Bundestag Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) Öffentliche Anhörung am 9. März 2005: ?Armutsbekämpfung durch nachhaltiges Finanzwesen und Mikrofinanzierung?

Die Entwicklung eines tragfähigen Mikrofinanzwesens als integraler Bestandteil des Finanzsystems stellt eine besondere Aufgabe für die deutsche öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit und für die Koordinierung der Entwicklungspolitik dar. Diese Meinung vertritt Professor Hans Dieter Seibel von der Universität zu Köln in seiner schriftlichen Stellungnahme zur heutigen Anhörung des Ausschusses für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Thema "Armutsbekämpfung durch nachhaltiges Finanzwesen und Mikrofinanzierung". Die ärmeren Bevölkerungsschichten, so Seibel weiter, fragten vorrangig die Einsammlung und sichere Aufbewahrung von Ersparnissen nach. Für eine nachhaltige Armutsbekämpfung und Kleinunternehmensförderung sei der Zugang zu Krediten unabdingbar. Er dürfe ordnungspolitisch nicht durch Zins-und Kreditobergrenzen beschränkt oder durch Zinssubventionen untergraben werden. Florian Grohs von Oikocredit (einer internationa-len Genossenschaft mit Sitz ...

Der Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung im Ungleichheitsdiskurs

Hans-Böckler-Stiftung: Working Paper Forschungsförderung , 2019

Die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung sind immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen über die soziale Lage in Deutschland. Die vorliegende Publikation analysiert die Entstehungsgeschichte, den Prozesses seiner Abfassung und die begleitenden Debatten. Es zeigt sich, dass der Bericht zwar eine wichtige Rolle in der Institutionalisierung eines erfahrungsbasierten Ungleichheitsdiskurses spielt. Das zentrale Problem besteht aber darin, dass ihm ein statistischer Erfahrungsbegriff zugrunde liegt und so die subjektive Seite der Ungleichheitsproblematik bislang noch zu wenig Beachtung findet.

Krause, Peter; Bäcker, Gerhard; Hanesch, Walter (Eds.) (2003): Combating Poverty in Europe - The German Welfare Regime in Practice, Ashgate. Hanesch, Walter / Krause, Peter / Baecker, Gerhard / Maschke, Michael / Otto, Birgit (2000): Armut und Ungleichheit in Deutschland. Der neue Armutsbericht d...

2000

2005): Einkommensverteilung und Einkommensmobilität -Auswertungen auf der Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Beitrag zum Forschungsauftrag "Verteilung der Einkommen 1999 -2003", Irene Becker / Richard Hauser (Universität Frankfurt a.M.), für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) -Förderkennzeichen VKZ 030551, im Rahmen der Armutsund Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. DIW Berlin. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.) (