Das Prinzip der Konsumentensouveränität aus ethischer Sicht (original) (raw)

Kollektivierungspflichten und ethischer Konsum

In diesem Aufsatz geht es mir darum, einen verantwortungsethischen Ansatz in der Konsumentenethik zu entwickeln, der jüngste Debatten zu Kollektivierungs und Institutionalisierungspflichten zusammenführt. Erstens werde ich dafür argumentieren, dass die Zuschreibungskriterien für individuelle Kollektivierungspflichten, die am Beispiel kleinformatiger unstrukturierter Gruppen entwickelt werden, auch von großräumigen Gruppen (hier: Konsument*innen) erfüllt werden. Daher vertrete ich zweitens die These, dass jeder Einzelperson qua Mitwirkende in der 'Gruppe' aller Konsumierenden eine je individuelle Pflicht zugeschrieben werden kann, gemeinsame Handlungen gegen ausbeuterische Marktstrukturen zu organisieren. Drittens und ausblickend werde ich zeigen, dass ethischer Konsum bereits als eine politische Handlung verstanden und gerechtfertigt werden kann, die darauf abzielt, Compliance mit politischen Reformen zu signalisieren und andere dazu aufzufordern. In Beiträgen zu globaler Gerechtigkeit wird häufig von einer Pflicht zur Institutionalisierung ausgegangen. Unter nichtidealen Bedingungen, so die vorherrschende Überzeugung, bestehe die Pflicht von Staaten und einzelnen Akteuren darin, legitime und funktionstüchtige supranationale Institutionen aufzubauen. Gleiches gilt für den noch jungen Zweig der globalen Ethik, deren theoretische Herausforderung in der besonderen Komplexität der von ihr behandelten Probleme liegt. Typische Herausforderungen wie die Mitigation des Klimawandels, die Bekämpfung von Weltarmut und Armutsmigration oder die Beendigung internationaler Ausbeutungsverhältnisse lassen sich nicht einfach im konventionellen Rahmen einer auf Individualpflichten basierenden Ethik beantworten. Notwendig sind vielmehr großräumig und robust koordinierte, sprich institutionalisierte Verantwortungsverhältnisse. Entsprechend wird auch hier geradezu reflexartig eine Kollektivierungspflicht ins Spiel gebracht, globale Institutionen -oder funktionale Äquivalente auf internationaler Ebene -zu gründen. Daneben wird in der handlungstheoretischen Debatte zur persönlichen Verantwortung in unstrukturierten Gruppen ebenfalls von einer Pflicht zur Kollektivierung gesprochen. Wenn zufällig Umherstehende mit einem Missstand (wie einem Unfall) konfrontiert werden, der sich nur in gemeinsamen Handlungen (joint actions) beseitigen ließe, hätte jede der Anwesenden für sich eine Pflicht, ein konzertiertes Vorgehen zu initiieren -also ein gemeinsames Vorgehen und gegebenenfalls die Bildung eines kollektiven Akteurs zu organisieren. 2 Schwenkenbecher erhalten, wofür ich mich herzlich bedanken möchte. Mein Dank gilt auch den beiden Gutachter*innen der Zeitschrift für Praktische Philosophie, die mir beispielhaft gründliche und produktive Vorschläge zur Überarbeitung an die Hand gegeben haben. 2 Ich verwende die Ausdrücke 'strukturierte Gruppen', 'Kollektive' und 'Institutionen' weitgehend bedeutungsgleich: Sie verweisen auf eine Gruppe mit einer klaren Entscheidungsprozedur und Kommunikationsstruktur, die die Fähigkeit hat, kollektive Absichten zu bilden und kollektive Handlungen effektiv umzusetzen. In der sozialontologischen Frage, ob Kollektive Pluralsubjekte bilden oder ob es sich um Gruppen von Einzelpersonen mit überschneidender Intentionalität (oder WirIntentionen) handelt, werde ich mich weitgehend agnostisch verhalten. Vgl. zum anspruchsvollen Begriff eines Plural bzw. KollektivSubjekts Insgesamt geht es mir in diesem Aufsatz darum, einen verantwortungsethischen Ansatz in der Konsumentenethik zu entwickeln. 3 Dazu werde ich Debatten zu Kollektivierungspflichten, Konsumentenethik und politischer Verantwortung zusammenführen. 4 Erstens werde ich dafür argumentieren, dass die Zuschreibungskriterien für individuelle Kollektivierungspflichten, die am Beispiel kleinformatiger unstrukturierter Gruppen entwickelt wurden, auch von großräumigen Gruppen (hier: Konsument*innen) erfüllt werden. Daher vertrete ich zweitens die These, dass jeder Einzelperson qua Mitwirkende in der 'Gruppe' aller Konsumierenden eine je individuelle Pflicht zugeschrieben werden kann, sich an gemeinsamen Handlungen gegen ausbeuterische Marktstrukturen zu beteiligen. Drittens und ausblickend werde ich zeigen, dass ethischer Konsum vornehmlich als eine politische Handlung zu rechtfertigen ist, die darauf abzielt, faire Kooperationsstrukturen zu kreieren. Dies ist ein weit reichendes und in diesem Aufsatz keinesfalls abschließend durchzuführendes Programm. Mein Beitrag zur Konsumentenethik wird vor allem in einer konzeptionellen Klärung individueller Kollektivierungspflichten bestehen (12). Nachdem ich mögliche Einwände gegen meine Konzeption entkräftet habe (3), werde ich sie auf den Gegenstandsbereich ethischen Konsums übertragen (4) und im Ergebnis für die politische Verantwortung von Konsument*innen argumentieren, globale Ausbeutungsstrukturen durch ihre aktive Compliance mit supranationalen Reforminitiativen zu beseitigen (5). die Beiträge von Bratman, Gilbert, Miller/Tuomela, Searle (allesamt in Schmid/Schweikard 2009); sowie die hilfreichen Unterscheidungen in Gerber (2010). 3 Allgemein macht ein verantwortungsethischer Ansatz eine positive und zukunftsbezogene Verpflichtung zur wechselseitigen Sorge explizit, die sich aus besonderen Beziehungsverhältnissen ergibt. 4 Für eine ähnliche Zusammenführung vgl. Lawford-Smith (2015). 5 Vgl. dazu die Voraussetzungen für geteiltes kollektives Handeln in Bratman (2009). 6 Wenn ich hier und im Folgenden von gemeinsamen Handlungen (joint actions) spreche, folge ich der meines Erachtens plausibelsten Version von Pettit/Schweikard (2009, 562). Demnach handeln mehrere Individuen gemeinsam, genau dann, wenn a) sie jeweils für sich beabsichtigen, dass sie die Handlung ausführen; b) sie jeweils für sich beabsichtigen, ihren Teil zu dieser Handlung beizutragen; c) sie jeweils für sich glauben, dass die anderen beabsichtigen, ihren Teil beizutragen; d) sie jeweils für sich beabsichtigen, ihren Teil beizutragen, weil sie dies glauben. Die Autoren verzichten dabei gezielt auf die sehr viel anspruchsvollere und daher auch strittigere Annahme einer kollektiven Intentionalität.

Einleitung: der verantwortungsvolle Verbraucher: Aspekte des ethischen, nachhaltigen und politischen Konsums

2015

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Bala, Christian ; Schuldzinski, Wolfgang: Einleitung: der verantwortungsvolle Verbraucher: Aspekte des ethischen, nachhaltigen und politischen Konsums. In: Bala, Christian (Ed.) ; Schuldzinski, Wolfgang (Ed.) ; Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Ed.): Der verantwortungsvolle Verbraucher: Aspekte des ethischen, nachhaltigen und politischen Konsums. Düsseldorf, 2015 (Beiträge zur Verbraucherforschung 3). ISBN 978-3-86336-906-4, 7-18.. https://doi.org/10.15501/978-3-86336-907-1\_1

Macht, Verantwortung und Information: Der Konsument als Souverän?

Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 2000

The article discusses and extends the idea of consumer souvereignty as well as the concept of power on which it is based. It points out the relevance of information concerning social, societal and ecological aspects for responsible purchase decisions. The authors criticize the existing information asymmetry between consumer and producers and they explore practical possibilities of eliminating this barrier to responsible consumer behavior. 1. Einleitung Der Verantwortungsbegriff gewinnt in der Marketingethikdebatte seit geraumer Zeit an Bedeutung. Lange Zeit beschränkte sich dabei die Diskussion über die Verantwortung im Marketing-in der Wissenschaft wie auch in der Praxis-auf die Anbieterseite. Es wurde und wird versucht, die Verantwortung des Managements von Unternehmen zu definieren und diese mit den ökonomischen Anforderungen, mit denen sich der einzelne Manager bzw. das Unternehmen insgesamt konfrontiert sieht, in Einklang zu bringen. Das kritische Interesse an unternehmensbezogenen Ethikkonzepten gründet dabei nicht zuletzt in der zunehmenden Kritik am unternehmensseitigen Marketing (Hansen 1988: 711). Nun ist aber der Anbieter nur einer von zwei Partnern im Austauschprozess, den Marketing darstellt. Versteht man Marketing im Sinne Kotlers (2000: 8) als "sozialen Prozess, durch den Personen bzw. Gruppen das erhalten, was sie brauchen und wollen, indem sie [Leistungen von Wert] ... frei miteinander austauschen", so bedarf es neben dem Anbieter immer auch eines Abnehmers, damit "Marketing stattfinden" kann. Ein Marketingaustausch setzt also voraus, dass es einen Nachfrager gibt, für den ein Produkt bzw. eine Dienstleistung von subjektivem Wert ist, welchen er bereit ist, in Geld oder anderer Form als Gegenleistung dafür zu erbringen. Ausgehend davon stellt sich, bezogen auf das Konsumgütermarketing, die Frage, inwieweit der Konsument als Nachfrager von Gütern Verantwortung trägt.

Mehr Verantwortung für den Konsumenten

Ökologisches Wirtschaften - Fachzeitschrift, 2011

Die Rolle des Konsumenten bei der Mitgestaltung einer nachhaltigen Marktwirtschaft wird noch immer unterschätzt. Der Beitrag erläutert die besondere Verantwortung der Konsumenten für die Folgen ihrer Kauf- und Nutzenentscheidungen und zeigt, welchen aktiven Einfluss sie auf marktwirtschaftliche Prozesse nehmen können.