Adornos „Ästhetische Theorie“ und die Frage der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst (original) (raw)

Adornos 'Ästhetische Theorie' ist ein eigensinniges Gebilde. Dies artikuliert bereits ihr Titel. Er lässt uns zwar im Unklaren darüber, was genau wir bei einer Ästhetischen Theorie zu erwarten haben, er eröffnet allerdings eine ganze Reihe an möglichen Auslegungen – und Fragen. So könnte es sich bei der Ästhetischen Theorie um eine Theorie über Ästhetisches, also schlicht eine Ästhetik handeln. Mindestens genauso naheliegend wäre es jedoch anzunehmen, dass der Titel ‚Ästhetische Theorie‘ eine Theorie anzeigt, die ästhetisch ist, eine ästhetische Theorie also. Gesetzt dem wäre so: Ist sie nun das eine oder (nur) das andere? Ist sie gar beides? Und wenn ja, ist sie beides gleichermaßen? Oder eher bzw. mehr das eine und weniger das andere? Es scheint, als deutete der Titel eine recht innige, verschränkte Beziehung an. Sollten wir daher davon ausgehen, dass die 'Ästhetische Theorie' das eine ist, indem sie das andere ist? Oder sollten wir, mehr noch, darauf abheben, dass sie das eine nur sein kann, indem sie auch das andere ist? Müssten wir gar davon sprechen, dass sie das eine sein muss, um auch das andere sein zu können? Je nachdem wäre diskussionswürdig, ob die 'Ästhetische Theorie' ästhetische Theorie sein muss, um Theorie über Ästhetisches sein zu können; oder ob sie, anders gewendet, Theorie über Ästhetisches sein muss, um als Theorie überhaupt ästhetisch zu sein bzw. werden zu können. Dies wiederum evozierte die Frage, ob Theorie (nur) ästhetisch sein kann (oder muss), wenn der Gegenstand, auf den sie sich bezieht, ästhetisch ist – und sonst nicht. Ist also die Theorie in der Ästhetischen Theorie ästhetisch um des Ästhetischen willen oder ist die Ästhetische Theorie Theorie über Ästhetisches um des Ästhetisch-Seins (oder: -Werdens) von Theorie willen? Ist mit dem ästhetisch-Sein von Theorie, bzw. dem ‚ästhetische Theorie‘-Sein etwas bezeichnet, das jenseits des ‚Theorie über Ästhetisches‘-Seins Bestand, Bedeutung und Geltung hat? Und was soll es überhaupt heißen, dass Theorie ästhetisch ist? Ist damit eine Theorie gemeint, die in bestimmter Weise, nämlich ästhetisch verfasst ist? Worin aber bestünde eine solche ästhetische Verfasstheit von Theorie? Was bedeutete ästhetisch verfasste Theorie zu sein für den Status des Theorie-Seins? Haben wir mit der 'Ästhetischen Theorie' etwa eine Theorie vor uns, die unser Verständnis von Theorie verändern, gar grundsätzlich in Frage stellen will? Diese Überlegungen berühren freilich die Frage, wie wir den Status der 'Ästhetischen Theorie' einzuschätzen hätten. Stellt die 'Ästhetische Theorie' also ästhetische Theorie vor, dar oder eher bereit? Sprich: Ist die 'Ästhetische Theorie' ästhetische Theorie, insofern dass ästhetische Theorie sich genau einmal, eben als 'Ästhetische Theorie' realisierte? Das bedeutete, dass es ästhetische Theorie jenseits (bzw. nach) der 'Ästhetischen Theorie' nicht gibt und geben kann. Oder: Ist die 'Ästhetische Theorie' ästhetische Theorie gewissermaßen nur am Beispiel einer Theorie über Ästhetisches, so dass sie eine exemplarische oder gar eine paradigmatische Funktion hätte? Obwohl Adorno mit dem Titel ‚Ästhetische Theorie‘ in geradezu provokanter Weise die komplexe, offenbar vieldeutige Eigensinnigkeit der Ästhetischen Theorie artikuliert, blieb es bisher aus, ebendieser gründlich, gewissermaßen Schritt für Schritt, nachzugehen, mögliche Lesarten auszudifferenzieren und darauf zu verzichten, die 'Ästhetische Theorie' vorschnell auf eine festzulegen. Just dies nehme ich mir mit diesem Beitrag vor. Ich widme mich der Schwierigkeit, die Behauptung, die Adorno uns mit der 'Ästhetischen Theorie' zumutet, überhaupt zu verstehen. Ich frage also: Was und wozu ist die 'Ästhetische Theorie'? Und antworte darauf, indem ich mögliche Lesarten vorstelle, als was (und wie) sie gelesen werden kann.