Schriftträger - Textträger. Zur materialien Präsenz des Geschriebenen in frühen Gesellschaften, Materiale Textkulturen 6. Berlin/München/Boston 2015: de Gruyter (edited by Annette Kehnel and Diamantis Panagiotopoulos) (original) (raw)
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Zur Poetologie, Ökonomie und Ökologie der Ressource »Schriftträger«. Einleitung
Martin Bartelmus, Yashar Mohagheghi, Sergej Rickenbacher: Ressource "Schriftträger". Materielle Praktiken der Literatur zwischen Verschwendung und Nachhaltigkeit. Bielefeld: Transcript, 2023
EineAuswahlausderMassevonMonographienundSammelbändenzutreffen,wärealeatorisch, im besten Fall nicht repräsentativ und im schlechtesten Fall redundant. Für die Institutionalisierung dieses Forschungsfelds mögen daher zwei Handbücher stehen, die in den letzten Jahren erschienen sind:
Schrift-Träger. Mobile Inschriften in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters
Schriftträger – Textträger. Zur materialen Präsenz des Geschriebenen in frühen Gesellschaften. Hg. von Annette Kehnel und Diamantis Panagiotopoulos. Berlin/München/Boston: de Gruyter 2015 (Materiale Textkulturen 6), S. 17–38., 2015
Viele Artefakte, mit denen Menschen interagieren, können von der Stelle bewegt, mitgenommen oder dauerhaft am Körper getragen werden. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welche besonderen Konstellationen und Szenarien entstehen, wenn solche transportablen oder portablen Gegenstände beschriftet sind, also Text mit sich führen. Die Herausgeber dieses Bandes haben vorgeschlagen, im Hinblick auf schrifttragende Artefakte den Begriff des ‚Tragens' versuchsweise so ernst zu nehmen, dass das ‚Schrift-Tragen' als Aktivität der Artefakte beschreibbar wird. Wir haben uns von diesem Vorschlag inspirieren lassen und verstehen den vorliegenden Aufsatz als Experiment, das wir an einigen Artefakten aus unserem SFB-Teilprojekt durchführen wollen.1 Die Schriftträger, um die es im Folgenden gehen soll, sind keine heute noch materiell vorhandenen Gegenstände. Sie werden nicht im Museum oder im Archiv aufbewahrt und könnten auch nicht zur experimentellen Untersuchung ins Labor gebracht werden. Vielmehr geht es um Schriftträger, von denen in mittelalterlichen Texten lediglich erzählt wird. Sie existieren also nur in Erzählungen (diese Erzählungen nennen wir ‚Metatexte', weil sie von Texten erzählen, die auf Artefakten geschrieben stehen). Daher wissen wir über diese Schriftträger auch nur das, was erzählend von ihnen berichtet wird. Das ist manchmal wenig oder fast gar nichts, wenn beispielsweise einfach nur erzählt wird, dass auf dem Grabstein einer gestorbenen Figur eine Inschrift zu lesen war. Doch einige Metatexte sind ausführlicher: Man erfährt etwa von der Herstellung, dem Material oder der Verwendung der Inschriften. Diese Fälle eignen sich, um auch nach dem Tragen zu fragen, also nach dem, was die Artefakte tun, wenn sie Schrift tragen, und wie sie und ihr Tun in ein Netzwerk von Handlungen und Akteuren eingebunden sind.
Die von Anne Kolb veranstaltete internationale Tagung "Literacy in ancient everyday life -Schriftlichkeit im antiken Alltag" vom 10. bis 12. November 2016 am Historischen Seminar der Universität Zürich ging der epochenund kulturübergreifenden Bedeutung von Literalität im antiken Alltag nach. Konkret wurde nach dem Zweck und der Verbreitung von Schrift, sowie nach verschiedenen Literalitätsgraden gefragt. Der weite geographische und chronologische Rahmen der Tagungsbeiträge reichte von Schriftzeugnissen unterschiedlichster Materialen aus dem Alten China, Indien, dem pharaonischen und griechischrömischen Ägypten über thrakische, keltischgermanische Gebiete, Rom und Britannien im römischen Reich bis in die Spätantike. Den Auftakt machte FENG LI (New York) mit einer Untersuchung zur Schriftlichkeit im Alten China, angefangen bei "Orakelknocheninschriften" der Shang Dynastie (1554-1046 v.Chr.), welche im Kontext königlicher Divination zu verstehen sind. Bronzeinschriften der westlichen Zhou-Dynastie (1045-771 v.Chr.) zeugen von einer Ausbreitung der Literalität auf weite Teile der Elite. Ein Boom der Schriftlichkeit lässt sich anhand zahlreicher Schriftdokumente auf Bambus und Holz im Zuge der imperialen Bürokratie der Qin und Han Dynastie (221 v.Chr.-220 n.Chr.) fassen, die nicht mehr auf die Elite beschränkt war. Im Gegensatz zu den Kulturen Mesopotamiens und des Mittelmeerraums seien die Expansionswellen der Schriftlichkeit im Alten China nicht im Kontext des Handels, sondern im Zuge der Ausbreitung des politischen Systems erfolgt. HARRY FALK (Berlin) zeichnete die Entwicklung der Schriftlichkeit im antiken Indien nach, welche in der Regierungszeit Ashokas (273-232 v.Chr.) einsetzte. Die Herausbildung der Schrift Karoshti aus dem Aramäischen stellt nach Falk eine notwendige Entwicklung aufgrund der Rechtssicherheit dar, da nach dem Untergang des achämenidischen Reiches aramäisch geschriebene Urkunden nicht mehr verstanden wurden. Grund für die Neuentwicklung der Brahmi-Schrift aus Elementen der Karoshti und der griechischen Schrift unter Ashoka sei unter anderem der Versuch, kulturell mit der hellenistischen Welt gleichzuziehen, sodass öffentlich sichtbare Texte und steinerne Kunstwerke auch als Signal an Besucher aus dem Westen zu interpretieren seien. KATHARINA ZINN (Wales) argumentierte für eine enge Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im pharaonischen Ägypten, die sie in Briefen, narrativen Texten und architektonischen Befunden festmachte. Insbesondere im rituellen Kontext habe das ausgesprochene Wort dem Bezeichneten unmittelbare Präsenz verschafft. Ebenso fließend seien die Grenzen zwischen Schriftlichkeit und Kunst zu sehen, indem ikonographische Zeichen wie Buchstaben gelesen worden seien. Sie unterschied diverse Literalitätsgrade von der grundsätzlichen Lese-und Schreibkompetenz, der Fähigkeit eines Steinmetzes, Zeichen oder Reliefs herzustellen, bis zur Fähigkeit, komplexe Texte zu verfassen. Zinn thematisierte außerdem die hohe soziale Stellung der Schreiber sowie die Terminologie und Funktion von Bibliotheken und Archiven als Speicher von Schriftlichkeit.
Die CD-ROM 'Schrift im Wandel – Wandel durch Schrift' will die Arbeiten des Münsteraner Sonderforschungsbereichs 231 'Träger, Felder und Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter' an ausgewählten Beispielen multimedial zugänglich machen. Das hierfür entwi-ckelte Konzept nutzt die Möglichkeiten des Mediums für eine innovative Präsentation der Ergebnisse geisteswissenschaftlicher Forschung. Die Verknüpfung von Lesetext, Bild, Sprechtext sowie animierten Bildsequenzen macht es möglich, in ganz anderer Weise als bisher üblich komplexe Forschungsergebnisse in konzentrierter und pointierter Form darzu-stellen. Seit dem 11. Jahrhundert werden unterschiedliche Texte zu einem neuen, zunehmend wichtigeren Bezugspunkt in der alltäglichen Kommunikation. Ursachen und Folgen dieser ersten europäischen Medienrevolution werden auf der CD-ROM an exemplarischen Beispielen erörtert. Dabei gilt es, die von der Forschung postulierte Unfestigkeit und Offenheit der Texte mittelalterlicher Manuskriptkultur ('mouvance') unter Mobilisierung der Möglichkeiten des neuen Mediums aufzuzeigen und zu interpretieren. Angesprochen werden Fachwissenschaftler, Studierende sowie interessierte Laien, für die mit dem Leitbegriff 'Medienwandel' eine Brücke von der aktuellen Mediendiskussion der Gegenwart zu den untersuchten Phänomenen des 11. bis 15. Jahrhunderts geschlagen wird. In elf Beiträgen aus den Fachgebieten Theologie, Mittellateinische Philologie, Geschichtswis-senschaft, Kunstgeschichte und Germanistik können sich die Nutzer über Themen wie Buchmalerei, Weltchroniken oder die ersten gedruckten Einladungen zu Schützenfesten in-formieren. Neben den multimedial konzipierten Beiträgen wird zudem eine Anthologie wichtiger Aufsätze des SFB zur Verfügung gestellt, die als weiterführende Lektüre die Multimediabeiträge ergänzen und z.T. direkt mit diesen in Verbindung stehen. Die CD enthält ferner eine Gesamtbibliographie aller im Rahmen des SFB entstandenen Arbeiten. Sämtliche Texte sind ausdruckbar und können über eine Suchfunktion erschlossen werden. Konzeption 1: 'Mouvance' mittelalterlicher Manuskriptkultur und neue Medien Im deutschsprachigen Raum ist bereits seit den 1970er Jahren verschiedentlich auf die Über-lieferungsvarianz mittelalterlicher Texte hingewiesen worden. Namentlich die so genannte 'Überlieferungsgeschichte' hat autorzentrierten Herangehensweisen eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Stufen von Texten zur Seite gestellt, wie sie im Mittelalter tatsächlich auch gelesen und kopiert wurden. 1 Im Rahmen neuerer Theoriediskussionen, die gemeinhin
Rezensionen 367 Materialsammlung ein schönes Angebot an weiterführenden Lektürevorschlägen dar. Wenn auch das Werk schwer lesbar ist und manche Frage offen lässt, wird FnonrB Vadians Scholienkommerrtar zu Pomponius Mela sicher zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen. in südgermanischen Runeninschriften. Studien zur Schriftkultur des kontinentalgermanischen Runenhorizonts (Medienwandel -Medienwechsel -Medienwissen 12), Znrich 2010. Chronos Verlag, 190 S. mit Abb., ISBN 978-3-0340-1012-2, EUR 24,50 Manrw He.xups Grar widmet sich in seinem Buch einem durchaus bekannten Phänomen, das in der bisherigen Runenforschung zwar häufig konstatiert und vereinzelt bereits mit weiterführenden Überlegungen sowie einzelnen Deutungsansätzen bedacht wurde, jedoch nie Gegenstand einer umfangreicheren Untersuchung und eingehenderen