Veränderungen in anhaltenden Extremsituationen (original) (raw)

Jenseits des Ausnahmezustands

In populären wie auch in wissenschaftlichen Debatten werden Kriege in der Regel als Ausnahmezustand vorgestellt, als gewaltsame Abweichung vom »normalen« Gang der Dinge. Dabei stellt sich insbesondere in innerstaatlichen Konflikten, die das Konfliktgeschehen der Gegenwart dominieren, in besonderem Maße die Frage nach dem Verhältnis von Krieg und Normalität. Denn hier verschwimmen Unterscheidungen, die in zwischenstaatlichen Kriegen als »einhegende« Organisationsprinzipien wirken, insbesondere die zwischen KombattantInnen und Nicht-KombattantInnen, zwischen Schlachtfeld und Hinterland, zwischen Kriegs- und Friedenszeiten. Der Beitrag diskutiert, wie sich Bürgerkriege jenseits des Topos des Ausnahmezustand theoretisch fassen und empirisch untersuchen lassen. Konzeptueller Ankerpunkt der Überlegungen sind phänomenologische und pragmatistische Theorien von Alltäglichkeit, deren Fruchtbarkeit im zweiten Teil anhand einer Fallstudie zum Bürgerkrieg in Angola (1975-2002) aufgezeigt wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Unterschieden zwischen der Transformation von Alltäglichkeit in bewaffneten Gruppen einerseits und im Milieu der Nicht-Kombattanten andererseits. Darüber hinaus findet die Frage nach den Grenzen der Veralltäglichung Beachtung. Der Beitrag macht deutlich, wie eine alltagstheoretische Perspektive auf bewaffnete Konflikte nicht nur Einsichten zur sozialen Dynamik von Bürgerkriegen ermöglicht, sondern auch ein neues Licht auf typische Probleme in Nachkriegsgesellschaften wirft.

Kontinuitäten im Umbruch

Von der Dämonologie zum Unbewussten

Thema dieses Textes sind Paradigmenwechsel in der Zeit um 1800, die den Diskurs um Hexerei veränderten. Die Beendigung der Hexenverfolgungen und die Zurückdrängung des Hexenglaubens werden gern als frühe Triumphe der sogenannten Aufklärung präsentiert. Das Ende der Hexenverfolgung konnte als Basis der Moderne angesprochen werden. 1 Die Abkehr von der dämonologischen Hexendoktrin, die Einstellung der Hexenprozesse und der mit den Mitteln der Volkserziehung und des Strafrechts geführte Kampf gegen den volkstümlichen Magieglauben könnten als Idealfall eines nicht nur wissenschaftlichen, sondern gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsels angesehen werden. Dieser Text versucht, die Veränderungen in der Auffassung von Hexerei näher zu untersuchen. Ein Paradigmenwechsel im authentischen Verständnis Kuhns wäre ein umbruchsähnlicher, rascher und radikaler Wandel von Erkenntnis-und Deutungsmustern. Es soll kritisch gefragt werden, bis zu welchem Grad der Wandel im Hexereidiskurs um 1800 tatsächlich einen Bruch darstellte. Inwieweit wurden vormoderne Basisargumente der Hexendoktrin übernommen? Wie ähnlich war das neue Herrschaftswissen des ‚aufgeklärten' Staates und seiner Wissenschaften dem alten Herrschaftswissen der Dämonologie? Zunächst soll kurz die neue Konstruktion historischer Verantwortung durch Thomasius skizziert werden, die im 18. Jahrhundert die Hexenprozesse zurückdrängte und zugleich das Arsenal einer zu dieser Zeit aktuellen politischen Auseinandersetzung bereicherte. Auf Thomasius einzugehen ist notwendig, obwohl sich dieser Text auf das 19. Jahrhundert konzentriert, einmal weil er die folgenden Diskussionen ermöglichte, zum anderen weil bereits an seinem Beispiel gezeigt werden kann, dass die Debatte um Hexerei stets viele Implikationen hatten, die sich auf einen Kampf gegen ‚Aberglauben' oder ungerechte Gerichtsverfahren nicht reduzieren lassen. Danach werden vier auf den ersten Blick neue Deutungen von Hexerei und Magie untersucht, die sich im 19. Jahrhundert etablierten. Der Inhalt der Debatten des 19. Jahrhunderts bringt es dabei mit sich, dass trotz der Konzentration auf Hexerei der Fokus doch immer wieder auf Magie erweitert werden muss. Jede der neuen Deutungen wird daraufhin befragt, inwieweit sie das Erbe vormoderner Argumentationen aus

Der Ausnahmezustand und die Metrik des Alltäglichen

Paragrana, 2017

Der Beitrag widmet sich dem Tagebuch einer Krebserkrankung: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! von 2009 des ein Jahr später verstorbenen Künstlers Christoph Schlingensief und untersucht dessen hiesige Alltagsdarstellung in der Ausnahmesituation der schweren Krankheit und der Konfrontation mit dem Tod. Die alltäglichen Notate oszillieren, so möchte ich zeigen, zwischen einer Emphase des Alltäglichen und den permanenten Einbrüchen der kleineren und größeren erlebten und empfundenen Katastrophen. Aus den Wechseln und Schwankungen zwischen Alltäglichkeit, Routine und deren Unterbrechungen durch das ‚Katastrophische‘ eröffnet sich eine Metaebene des Alltäglichen, die sich gerade in jenen Schwankungen und Unterbrechungen des Alltäglichen, in dessen Störung entfacht.

Der „Ausnahmezustand” als Entwicklungsstrategie

Raumforschung und Raumordnung, 2003

Kurzfassung Altindustrialisierte, von Klein- und Mittelstädten geprägte Regionen zählen zu den größten Problemgebieten in Ostdeutschland. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, inwieweit große umweltorientierte Kooperationsprojekte diesen Regionen einen Entwicklungsimpuls geben können. Die durchgeführten Fallstudienanalysen zeigen, dass die untersuchten Projekte tatsächlich einen erkennbar positiven Einfluss auf die regionale Entwicklung gehabt haben und dass die erzielten Effekte weit über die einzelnen Projekte hinausreichen. Dieser Erfolg ist insbesondere darauf zurückzufühlea, dass durch die umweltorientierten Kooperationsprojekte eine außergewöhnliche Situation, quasi ein „Ausnahmezustand”, in den betrachteten Regionen hergestellt und als Motor für Gas regionale Handeln wirksam wurde. Basierend auf den Erkenntnissen aus den Fallstudien, werden Empfehlungen für die regionale entwicklung und Politik gegeben.

Überlegungen zu Veränderungen des Staates in der Krise

treffen zwei Prozesse aufeinander. Dies ist erstens der seit den neunziger Jahren forciert betriebene Umbau des Staates und seine Anpassung an die neuen Machtkonstellationen, die mit Begriffen, wie neoliberale Offensive, Entstaatlichung, Staatsaufgabenkritik oder Globalisierung beschrieben werden. Dieser Umbau des Staates war verbunden mit ideologischen Erwägungen zur sinkenden Bedeutung des Staates auf der einen und einer starken Betonung bürgerschaftlichen Engagements als Korrektiv und Ergänzung staatlichen Handelns auf der anderen Seite.

Akute Ammonshornveränderungen bei Tod im Status epilepticus

Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 1920

Gegenstand der Untersuchung, fiber die im folgenden berichtet werden soil, is~ .der Pat. G. K., 41 Jahre alL, verheiratet, Hilfsarbeiter, der am 3. Februar 1919 in die psychiatrische Klinik in Wien eingeliefert wurde. Nach dem polizei-/~rztlichen Parere war er schon einige Wochen nachts unruhig, schlaflos, halluzinierte M/inner und weiBgekleidete Frauen, die ihn bedrohten, /iuBerte die Absicht, sich, seine Frau und sein Kind umzubringen. Nach Angabe seiner Frau lift Pat. seit Jahren an epileptischen Anf/illen (der Zeitpunkt des ersten Anfalles lieB sich nicht genau ermitteln); die Anf~lle setzten nach einer vor 2 Jahren iiberstandenen Lungenentzfindung aus. Im Dezember 1918 erkrankte er an Grippe, delirierte lebhaft, war vollst/indig desorientiert, konnte sich in seiner e~genen Wohnung nicht zurechtfinden. ~ber friihere Erkrankungen war der Frau niehts bekannt. S~e war nur einmal gravid, das Kind ist gesund. Bei der Einlieferung in die Klinik ist Pat. ruhig und gibt seine Personalien richtig an. Als Datum nennt er den 5. I. 1918, als Ort das allgemeine Krankenhaus, die Abteilung kann er nicht n/~her bezeichnen, weil er nicht lesen und schreiben kSnne. Er beschwert sich, da$ man ihn unbegriindet ins Spital gebraeht habe, er sei ganz gesund, es fehle ihm nichts als gute Nahrung und Bewegung im Freien. Seit der Grippe sei er etwas schwach. Als Ursaehe seiner Aufregungszust/~nde gibt er Hunger an und leugnet, Selbstmolxlabsichten ge/iul~ert zu haben. Aueh die Sinnest/~uschungen stellt er in Abrede, gibt aber zu, bei Nacht getr/~umt zu haben; daml spricht er fiber seine allgemeine schlechte Lage, klagt fiber Teuerung, Arbeitsmangel usw. und wiederholt in geschw/~tziger Weise immer dieselben J~uBerungen. Geistige Getr/inke trinke er jetzt nicht, in friiherer Zeit hie und da (,in Kriigel Bier oder ein Viertel Wein. Geschlechtskrankheiten negiert er. KSrperlich: Gro$, mittelkr/iftig, stark abgemagert. Pupillen eng, die linke etwas entrundet, rehgieren auf Konvergenz deut]ieh, auf Lieht unvollkommen. Dysarthrische SprachstSrung. Tiefe Reflexe der oberen Extremit/~ten auslSsbar. P.S.R. rechts schwach, links kaum auslSsbar. A.S.R. beiderseits kaum ausl6sbar. Kein Babinski. Sensibilit/it bei grober Prtifung ohne StSrungen. Herzd/~mpfung nach beiden Seiten etwas verbreitert, TSne dumpf, an der Spitze der erste Ton etwas unrein, an der Aorta der zweite Ton verst~rkt. Lungen o. B. ~) Nach einer am 24. Februar 1920 im Verein fiir Psyehiatrie und Neurologie in Wien gehaltenen Demonstration.

Folter im Ausnahmezustand?

transcript Verlag eBooks, 2007

Der Ausnahmezustand bezeichnet keinen anarchischen Naturzustand vor jeder Ordnung, in der politischen Philosophie wird er vielmehr als ein integraler Bestandteil des Rechts aufgefasst. Bei Carl Schmitt (1996) ist es der Souverän, der über den Ausnahmezustand entscheidet-und sich darüber als Souverän konstituiert. Als solcher ist er eine dem Gesetz äußerliche Instanz und zugleich Teil der Rechtsordnung. Wesentlich ist demnach nicht, ob ein entsprechendes Ereignis die Ausrufung des Ausnahmezustandes rechtfertigt, vielmehr tritt dieser erst in dem Moment ein, in dem der Souverän darüber entscheidet. Dabei entzieht sich der Ausnahmefall der Ordnung, unter die er nicht subsumierbar ist, er geht ihr insofern nicht voraus, sondern markiert sich in Relation zu ihr. Der Ausnahmezustand resultiert aus der Aufhebung des Rechts, er bleibt daher mit dem Recht verbunden (vgl. Ortmann 2003: 94). Zugleich ist er, indem eine neue Ordnung geschaffen wird, ein Akt der Rechtsetzung. Der Ausnahmefall, den Schmitt als eine »reale Möglichkeit« konzipiert (1963: 32), zeigt permanent die Notwendigkeit und die Potenz souveräner Intervention an (Neal 2005). Dieses Prinzip der Rechtsetzung vor jedem Recht und die alltägliche Rechtspraxis sind, wie Walter Benjamin gezeigt hat, keineswegs klar von-1 einander zu trennen. Nicht nur das Militär, sondern auch die Polizei 2 verkörpere diese »Kontamination« (Derrida 1991). Wenn sie in Momenten rechtlicher Uneindeutigkeit eingreife, um Sicherheit oder Ordnung herzustellen (vgl. Benjamin 1965: 44), erobere sie sich zugleich Verfügungsgewalt, einen Zugriff aufs »nackte Leben« (Agamben 2002). Giorgio Agamben zufolge ist jene strukturelle Beziehung zwischen Recht und Ausnahme, empirisch gesehen, heute zur Regel geworden. Die permanente Suspension des Rechts bringe scheinbar rechtsfreie Räume hervor. Da

Ausnahmezustände

PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft

A state of exception seems to be ubiquitous in our days. However, a distinction should be made between the legal form (state of exception in the first order) and the exceptionality of everyday control techniques (state of exception in the second order). An awareness of these varieties of states of exception allows for an analysis of mutual influences and their respective p

Versorgungsstrategien bei Schussverletzungen der Extremität

Der Unfallchirurg, 2008

Chirurgen an städtischen Kliniken werden auch in Europa zunehmend mit Schussverletzungen konfrontiert. Schussfrakturen mit geringer Weichteildestruktion können gemäß geschlossener Frakturlehre versorgt werden. Stabile Frakturen sind durch funktionelle Schienung, instabile durch primär definitive Stabilisierung behandelbar. Die prophylaktische Antibiotikatherapie bei geringem Weichteilschaden wird kontrovers diskutiert. Schussfrakturen mit schwerer Weichteilschädigung werden gemäß offener Frakturlehre behandelt. Ein adäquates Wunddébridement und eine Stabilisierung durch Fixateur externe werden empfohlen. Eine i.v. Antibiotikaprophylaxe ist obligat, die Durchführung einer prophylaktischen Fasziotomie häufig indiziert. Im Rahmen der definitiven osteosynthetischen Versorgung muss die Notwendigkeit von autologem Knochenersatz bedacht werden. Schussverletzungen des Gelenks werden als offene Gelenkverletzungen behandelt und bedürfen einer ausführlichen Spülung, eines Débridements mit Projektilentfernung sowie einer antibiotischen Therapie.