9 Freiheit, Paternalismus und die Unterwerfung der Frauen (original) (raw)

John Stuart Mills leidenschaftliche Verteidigung persönlicher Freiheit in Über die Freiheit schien seit jeher und trotz seiner anderslautenden Beteuerungen in einem klaren Widerspruch, zumindest aber in einer gewissen Spannung, zu seiner Neufassung der ihm schon als Kind aufgezwungenen utilitaristischen Lehre in Utilitarismus zu stehen. Dies wird gerade in solchen Fällen deutlich, in denen Menschen im Begriff sind, sich selbst einen Schaden zuzufügen. Da nur zur Abwehr von Fremdschädigung gesellschaftlicher Zwang ausgeübt werden darf, so Mills Schadensprinzip in Über die Freiheit, ist selbstschädigendes Verhalten ausdrücklich gestattet. Selbstschädigungen werden damit natürlich weder be fürwortet noch als moralisch neutral dargestellt, als unzulässig befunden wird dennoch nur, tatsächliche oder-in der Praxis aufgrund differierender Vorstellungen darüber, was die Komponenten eines guten Lebens sind, ungleich wichtiger-vermeintliche Selbstschädigungen durch Zwang zu unterbinden. Aber bereits dieser liberale Anti-Paternalismus erscheint für sehr viele Fälle problematisch. Schließlich möchte Mill in Utilitarismus das Wohlergehen der Menschen befördert sehen, und dieses Anliegen, so sagt er, sei auch die wesentliche Grundlage des Schadensprinzips. Zwar kann man der Meinung sein, dass es tatsächlich häufig oder sogar meistens wohlergehensförderlich ist, den Menschen viele persönliche Freiheiten zuzugestehen, statt sie zwangszubeglücken-Utilitarismus und Liberalismus sind also nicht klarerweise widersprüchlichaber ein konsequenter Utilitarist kann doch Selbstschädigungen nicht zulassen wollen, insofern sie denn effizient, also wohlergehensbefördernd nach Berücksichtigung aller Vor-und Nachteile, verhindert werden können. In einigen Ausnahmefällen erscheint dies möglich. Mill scheint diese Spannung auch bemerkt zu haben, ohne sie jedoch theoretisch sauber auflösen zu können.1 So schränkt er in seinem ‚Sklavenbeispiel' im fünften Kapitel von Über die Freiheit seinen Liberalismus durch ein explizites Verbot der Selbstversklavung ein, das, um die Lage noch verzwickter zu machen,