Annales school Research Papers - Academia.edu (original) (raw)

Dr. Rainer Land (Thünen-Institut, Potsdam) hat eine Debatte zur gesellschaftlichen Entwicklungstheorie initiiert, dazu Vortragsveranstaltungen organisiert und relevante Texte auf seiner Internetseite veröffentlicht... more

Dr. Rainer Land (Thünen-Institut, Potsdam) hat eine Debatte zur gesellschaftlichen Entwicklungstheorie initiiert, dazu Vortragsveranstaltungen organisiert und relevante Texte auf seiner Internetseite veröffentlicht (http://www.rla-texte.de/?page_id=535 und http://www.rla-texte.de/?page_id=635). Zwei Artikel sind in diesem Zusammenhang in der Zeitschrift "Berliner Debatte Initial" (Heft 2/2016) erschienen.
Der hier veröffentliche Beitrag knüpft an die Diskussion in der Geschichtswissenschaft an, daß nicht hinreichend klar sei, was historischen Tatsachen zu solchen macht, daß und wie historische Wahrheiten durch die Forschung erzeugt werden. Es wurde eine „quantentheoretische Wende“ der Geschichtswissenschaft gefordert. Die gleiche Forderung sei an eine Theorie gesellschaftlicher Entwicklung zu stellen. Funktionalität wird als Tatsache stattgehabter Entwicklung festgestellt, Entwicklung und Fortschritt wird anhand der Änderung der Gegenstände, Resultate und Mittel des Verhaltens, als Tatsache von einem gegebenen Entwicklungsresultat ausgehend festgestellt. Der Autor verwirft den allgemeinen Begriff des gesellschaftlichen Fortschritts. Fortschritt könne nur quantitativ nach stattgehabter Entwicklung festgestellt werden. Wie Entwicklung nicht prognostiziert werden könne, sei auch vorausschauend eine Vorstellung von Fortschritt verfehlt und letztlich teleologisch.
Der Autor macht geltend, daß gesellschaftliche Entwicklungen immer als eine Gesamtheit vielfältiger Momente und Entwicklungslinien, als Kulturentwicklung zu fassen sei. Die Forderung, gesellschaftliche Entwicklung nicht vom Resultat ausgehend, sondern von ihrem Einsatz her, in der Richtung ihres tatsächlichen Verlaufes zu denken – eben die „quantentheoretische Wende“, könnte erfüllt werden, indem ausgehend von grundlegenden Basisinnovationen verfolgt wird, wie durch solche Basisinnovationen unterschiedlichste bereits vorhandene Inventionen zu einem neuen Ganzen durch die Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften zusammengeführt werden, wie neue Kulturen entstehen und durch die menschliche Tätigkeit entwickelt werden. Die Erklärung der industriellen Revolution durch Fernand Braudel aus der Basisinnovation in Gestalt des Import billiger Textilien (indiennes) nach England wird vom Autor als eine ideelle Modellbildung aufgefaßt, die bestimmte Momente der Wirklichkeit herausgreift und natürlich nie die Realität vollständig erfassen kann, wie jede andere Erklärung historischer Ereignisse auch. Dieses Modell, grundlegende historisch-kulturelle Entwicklungen aus einer Basisinnovation zu erklären, wird als Handlungsmuster für das Verständnis der Renaissance, der agrarisch-urbanen Revolution des europäischen Mittelalters und der neolithischen Revolution geprüft. Dazu werden als Hypothesen vorgeschlagen: Die Basisinnovation der Renaissance sei die Wiederentdeckung der Melioration in Mittelitalien, die des wirtschaftlichen Aufschwungs im europäischen Mittelalter das genagelte Hufeisen, die der neolithischen Revolution der ortsfeste Speicher.
Gesellschaftliche Entwicklungstheorie werde damit zu einer theoriegeleiteten Geschichtserzählung. einer Historiographie, die mit einer allgemeinen Entwicklungstheorie fundiert ist. Der Autor knüpft dabei an die französische Annales-Schule und an die Leistungen der deutschen Renaissanceforschung bis 1933 an. Eine allgemeine Entwicjlungstehorie, die für die biologische wie historische Entwicklung, für Wirtschafrs-, Kultur-, Wissenmschaftsgeschichte gleichermaßen gilt, bleibt allerdings noch auszuarbeiten.