Film Criticism Research Papers - Academia.edu (original) (raw)

(zumal in seinen "Kleinen Schriften zum Film") in: kolik.film, Sonderheft 2, 2004 (Dossier Filmvermittlung -Filmpublizistik) Die unlängst erschienene dreibändige Sammlung 1 von Rezensionen, Reportagen und Essays, die Siegfried Kracauer in... more

(zumal in seinen "Kleinen Schriften zum Film") in: kolik.film, Sonderheft 2, 2004 (Dossier Filmvermittlung -Filmpublizistik) Die unlängst erschienene dreibändige Sammlung 1 von Rezensionen, Reportagen und Essays, die Siegfried Kracauer in seiner Eigenschaft als Filmkritiker zwischen 1921 und 1961 geschrieben hat, enthält auch einige Exposés zu Spiel-und Dokumentarfilmen. Ein 1933, kurz nach seiner Flucht vor dem NS-Regime und der Kündigung durch die Frankfurter Zeitung im Pariser Exil verfasster (niemals realisierter) Kurzfilmentwurf Kracauers beschreibt einen Familienausflug aus der Sicht eines dreijährigen Buben. Die Ausmalung der Verzerrungen und Verwirrungen im kleinkindlich erkrabbelten Blick auf Hosenbeine, einen Hund, einen Käfer oder ein Ringelspiel, dieser vielleicht nicht rasend originelle Gehversuch eines Filmkritikers als Filmemacher, lässt charakteristische Züge von Kracauers Denken fokusiert hervortreten. Was hervortritt, ist ein Schreiben, das sich an ein Bild, eben den Kleinkindblick, anschmiegt; dieses Bild ist Subjektivität aus dem Affiziert-Sein heraus, ist Wahrnehmung, die sich die Welt gerade nicht mittels Aktion und Kontrolle erschließt, sondern ein Modus "minoritärer", in jedem Sinn "kleiner" Erfahrung-als-Empfindung, exponiert in unsicherer Nähe zu den Qualitäten und Veränderungen der Welt. Kracauer sei "ein Mensch ohne Haut", schrieb Adorno ein Jahr vor dem Tod seines Jugendfreundes, und der "Vorrang des Optischen" in seinem Denken, als Form einer radikalen "Nähe zur Dingwelt", resultiere aus einer "Fixierung an die Kindheit". 2 Wenn es im folgenden darum geht, wie Kracauer zur -in jedem Sinn gemeinten -Vermittlung des Films steht (und sich dabei einigemale umstellt), dann kommt zunächst seine Rolle als Film-Vermittler in Betracht. Weit mehr als Filme zu "kritisieren" -im schlechten Sinn von "beurteilen" auf Basis von Autoritäten (Besserwissen, Geschmack, Moral) -vermittelt Kracauer Filme, in dem Maß, wie Filme vermitteln, nichts weniger als die Welt vermitteln. Letzteres gilt bereits in Hinblick auf jenen Weltbezug des Kino, der Weltweitheit ist, Kosmopolitismus, wie ihn die Internationalität von Industrie und Markt ermöglicht (ohne ihn zu garantieren). "Überhaupt: Warum sieht man so viele ausländische Filme jetzt bei uns?" ereifert sich Kracauer 1923 in einer seiner ersten Kritiken (sie trägt die Nummer 11 unter den fortlaufend bis 807 nummerierten Texten der Edition). Später jedoch kultiviert er ein Verstehen von Filmen -auch der jeweiligen "unsrigen", d.h. bis 1933 der deutschen, ab 1941 der Filme seines dauerhaften Exillandes USA -vermittels des internationalen Vergleichs: Als Frankfurter bzw. Berliner Filmkritiker etwa schaut er auf sowjetische und amerikanische Filme nicht aus indentitär-nationaler Distanz, sondern im Modus einer Öffnung auf Bilder, die andere Optionen von Wahrnehmen und Leben bekunden. Kracauer vermittelt Film: Renoirs "La Chienne", der in Deutschland nicht läuft und dessen konsequenter Realismus in der deutschen Kinolandschaft kurz vor Hitler fremd anmutet, hat Kracauer 1932 in einem Pariser Vorstadtkino gesehen; im Rückblick aufs abgelaufene Kinojahr würdigt er ihn in der Frankfurter Zeitung vom 1. Jänner 1933 (Text Nr. 704) unter dem Titel "Der schönste Film". Kracauer geht es um Film-Vermittlung. Das heißt auch, dass er den Kontext mit bedenkt und beschreibt, der Filme als sinnträchtige vermittelt -den medialen Horizont von Kino als Rezeptionspraxis, Institution, "Kultur". Was Kracauer für heutige cultural und audience studies attraktiv macht, sind nicht zuletzt seine Weimarer Texte zur Performativität und Öffentlichkeit des Kinos: kanonisierte Essays zum rationalisierten Massenkulturbetrieb, aber auch kleine, nun erstmals wiederveröffentlichte Kommentare zu Wochenschauen, Kultur-und Industriefilmen, berichtet über die kassenträchtige "Ausgrabung" zehn Jahre alter Valentino-Filme und ein paar Zeilen darunter über die Gründung der FIAF, der "Féderation internationale des archives du film" (Nr. 744). Das ist 1938: Während Kracauer Wiedersehen mit alten Filmen erlebt -was ihm oft komisch vorkommt; für uns heute ist es ja im Zeichen des "Zitierens" von Filmen via Patschenkino, Retrospektive und DVD ganz normal, was ebenfalls komisch ist -, flüchtet er immer weiter vor den Nazis. Und er entwirft seine Theorie vom Film als Errettung der äußeren Wirklichkeit, zumal dessen, was an dieser so maßlos, machtlos oder unbestimmt ist, dass die Norm-Wahrnehmung es übersieht. Film als Sammlung und Neuerschließung ungenutzter Möglichkeiten des Wahrnehmens, Denkens, Welt-und Selbstbezugs: Die kleinen Schriften zum Film -nicht zuletzt die erstmals wiederveröffentlichten und die überhaupt erstmals gedruckten, die wie das Typoskript zu Rossellinis "Paisà" von 1948 (Nr. 791) bislang reine Möglichkeit waren -machen neue Angebote, seine