Realism (Philosophy) Research Papers - Academia.edu (original) (raw)
Bewusstsein, Aussenwelt, Wirklichkeit: Hegels Konzept der Philosophie und die Realismusdebatte In der zeitgenössischen philosophischen Debatte definieren viele einflussreiche Interpreten Hegels seine Philosophie als eine besondere Form... more
Bewusstsein, Aussenwelt, Wirklichkeit: Hegels Konzept der Philosophie und die Realismusdebatte In der zeitgenössischen philosophischen Debatte definieren viele einflussreiche Interpreten Hegels seine Philosophie als eine besondere Form von Realismus (holistic realism; conceptual realism; common-sense realism; metaphysischer Begriffsrealismus, direkter Realismus u. a.) 1 . Innerhalb der engen Grenzen dieses kurzen Beitrags werde ich versuchen zu zeigen: Erstens, wie diese Interpretationen wichtige Affinitäten der Hegelschen Philosophie zu einigen zeitgenössischen nicht internalistischen und nicht repräsentationalen Perspektiven erkennen lassen; und zweitens, dass wir Hegels Philosophie weder als Realismus noch als Anti-Realismus konsistent auffassen können. Insbesondere wird hier im Gegensatz zu den realistischen Interpretationen der Hegelschen Philosophie Folgendes hervorgehoben: Die Hegelsche Philosophie ist eine radikale Widerlegung der Annahme, auf der eine realistische Perspektive basiert. Der Hauptgrund zur Unterstützung 1 Zur Debatte vgl. Brandom R.B., From Empiricism to Epressivism. dieser These besteht darin, dass es aus der Hegelschen Konzeption der Philosophie heraus nicht möglich ist, die Wirklichkeit als solche darzustellen, als ob sie eine an sich-Textur hätte, die unabhängig von seinem Erfasstwerden beschaffen wäre. 3 GW, Bd. 9, 64. 3 präsentiert viele andere, komplexere Formen, die die Unabhängigkeit vom Realen (als geistunabhängig oder mind-independent vorgestellt) nicht nur von der unmittelbaren Gewissheit, sondern auch von der kognitiven Aktivität schlechthin behaupten. 3. Das vielfache Problem der ‚Unabhängigkeit' der Wirklichkeit Damit haben wir ein breiteres Problem zu betrachten, das die realistische Aussicht ständig stellt: die Annahme einer ursprünglichen Wirklichkeit, die unabhängig von der Art und Weise sei, in der sie wahrgenommen, vorgestellt, gedacht wird 4 . Es scheint schwieriger, diese Annahme mit der Hegelschen Philosophie in Einklang zu bringen. Das Problem betrifft vor allem die folgende Frage: Wie ist es möglich, eine Sphäre der Existenz zu umreißen, die nicht nur "unabhängig" von den kontingenten Aspekten von meinem Empfinden, Vorstellen, Denken sei, sondern die geistunabhängig überhaupt wäre? Zur Lösung dieses Problems müssen wir mindestens drei lexikalische Unterscheidungen behandeln. Die erste betrifft die Unterscheidung zwischen geistunabhängig und objektiv: In den Diskussionen über Hegels Realismus scheint diese Unterscheidung oft nicht so klar, aber in Hegel ist sie durchaus relevant 5 . Das Wort objektiv wird von Hegel einerseits auf allgemeine Weise bei der Prüfung der phänomenologischen Erfahrung oder auch bei der Kritik der subjektivistischen Perspektiven verwendet: In diesen Kontexten hat das Wort ein semantisches Feld, das als im äußerlichen Gegensatz mit dem Feld des Wortes subjektiv (in Bezug auf Gedanken oder Geist) bestimmt wird; das Objektive ist damit "das Äußerliche, Selbstlose, Endliche, so die objektive Welt, das Objekt gegen das freie Selbstbewußtsein" 6 . Dies ist nicht wirklich das Spektrum der Bedeutungen, die Hegel dem Begriff der "Objektivität" in der konkreten wissenschaftlichen Ausarbeitung der Philosophie zuschreibt. In der Hegelschen "Wissenschaft der Logik" wird Objektivität "ohne Beschränkung und Gegensatz" 7 gedacht: Sie wird als immanenter Moment der Wirklichkeit in all ihren Aspekten begriffen. In der "Begriffslehre" drückt die Objektivität vor allem die nicht-formale Dimension des Begriffs aus 8 . Im gesamten Kreis der philosophischen Wissenschaften erweist sich die Objektivität 4 Darüber vgl. Willashek M., Der mentale Zugang zur Welt. Realismus, Skeptizismus, Intentionalität, Klostermann, Frankfurt am Main 2003. 5 Vgl. bes. Brinkmann K., Idealismus Without Limits: Hegel and the Problem of Objectivity, Springer, Dordrecht et. A. 2011. 6 GW, Bd. 23/1, 131, § 141. 7 GW, Bd. 12, 131. 8 Vgl. Livieri P., Il pensiero dell'oggetto. Il problema dell'oggettività nella Scienza della logica di Hegel, Verifiche, Trento 2012. 4 als systemische und selbstorganisierte Struktur und als objektive Realität (in einer nichtinternalistischen und nicht-subjektivistischen Bedeutung) des Lebens der Natur und des Geistes. Der zweite lexikalische Aspekt ist mit dem ersten verbunden: Er betrifft den semantischen Bereich des Wortes Geist. Die weit verbreitete Überlappung in der Debatte über Hegels Realismus von geistunabhängig und mind independent (und damit von Geist und mind) trägt oft dazu bei, die Termini des Problems zu verwechseln. Hegel schlägt eine erweiterte Konzeption des Geistes vor, welche über die Grenzen dessen verstanden wird, was mit mind als Kraft (facultas) oder subjektiver Aktivität überhaupt gemeint wird. Er zeigt, wie die Begriffe Seele, Bewusstsein, Psyche, Ich und Intelligenz alle mit dem Umfang der Tätigkeit des einzelnen Subjekts verknüpft sind und als subjektiver Geist begriffen werden sollen. Sie können aber wissenschaftlich nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der geistigen Aktivitäten verstanden werden, und zwar in ihren intersubjektiven, objektiven und institutionellen Prozessen und Kontexten, sowie als Momente höherer und komplexer Tätigkeiten, die ihre freieste und rationelle Ausführung in der wissenschaftlichen Form der Philosophie haben. In einem solchen Kontext kann die realistische Annahme, dass es eine geistunabhängige Wirklichkeit gibt, nur auf die Existenz von natürlichen -oder physischen Objekten hinweisen. In der Naturphilosophie aber wird der Begriff der Wirklichkeit nicht der Existenz der scheinenden externen Objekte assimiliert. Das wird paradigmatisch in Bezug auf das natürliche Leben gezeigt: In der Tat wird der Ernährungsakt von Hegel -schon in der "Phänomenologie des Geistes" -als eine Art von physischem Beweis für die illusorische Natur einer wahren, selbständigen Wirklichkeit der äußeren Objekte betrachtet. Im Bereich der astronomischen Beobachtung von Himmelsobjekten erschwert sich die Diskussion über die Struktur der Beziehung zwischen Erscheinung und Existenz, deren einheitliche Konzeption logisch die Wirklichkeit definiert 9 . In der Tat ist das physikalische Prinzip des "Manifestierens" (oder die "materielle Idealität" 10 ), d.h. das Licht, an die Zeit gebunden: Hegel hat in der Tat dem Licht als solchem eine "unmittelbare Expansion" zugeschrieben, aber das Durchleuchten eines Lichtkörpers verhält "sich zu einem andern Körper" und muss damit durch ein Medium durchgehen: Dafür braucht es Zeit. Die problematische Beziehung zwischen Zeit und Erkenntnis auf der Ebene der astronomischen Entfernungen beeindruckt Hegel. Er bemerkt, dass wir die vergangenen Veränderungen von Sternen 9 Dazu bes.: Heidemann D., Gibt es bei Hegel das Problem des Realismus?, Vortrag auf dem International Hegel Conference, Padua 3-5.06.2015, und Id., Hegels Wissenschaft der Logik -Kommentar. Die Lehre vom Wesen: Die Erscheinung, Meiner, Hamburg 2016. 10 GW, Bd. 19, § 276. In der Anmerkung fügt Hegel hinzu: "Wenn die Vorstellung, welche man realistisch genannt hat, leugnet, daß in der Natur die Idealität vorhanden sey, so ist sie unter anderem auch an das Licht, an dieses reine Manifestiren, welches nichts als Manifestiren ist, zu verweisen". 5 und Nebeln in der Gegenwart beobachten, so dass wir wahrscheinlich Himmelskörper anschauen, die nicht mehr da sind. Solche Überlegungen, bemerkt Hegel, bringen "etwas ganz Gespensterhaftes" 11 in die Forschung. Für die Prüfung der realistischen Definition von Wirklichkeit als geistunabhängig muss noch eine dritte, wichtige lexikalische Unterscheidung in Betracht gezogen werden. Die Debatte über den Realismus entsteht in der Regel aus dem Gegensatz zwischen Denken und Welt, oder zwischen Geist und Außenwelt. Man sollte jedoch feststellen, dass Hegel die Begriffe Außenwelt oder Äußere Welt nicht verwendet, um eine geistunabhängige Wirklichkeit zu bezeichnen. Eins seiner wichtigsten Ziele (seit den Jenaer Systementwürfen) ist dagegen zu zeigen, wie man ein kohärentes Wissen der Wirklichkeit entwickeln kann, das nicht von einer dualistischen Perspektive zwischen Geist und Welt und nicht von äußerlich-pragmatischen oder repräsentationalen Unterschieden (hierdort, innen-außen) gebildet wird. 4. Selbstständigkeit des Geistes und eigentliche Wirklichkeit Die gesamte Entwicklung der philosophischen Wissenschaften des Geistes (von der Anthropologie zu jener Art von Philosophie der Philosophie, oder Wissenschaft der Wissenschaft, die der "absolute Geist" ist) lässt sich als die philosophisch-wissenschaftliche Entwicklung der Selbsterkenntnis des Geistigen darstellen: Sie vervollständigt sich mit der allmählichen Befreiung des Begriffs des Geistes als von Naturbestimmungen bedingt und mit dem Selbstwissen des geistigen Lebens im begreifenden Erkennen als die vollkommene Wirklichkeit. Was sich als wahrhaft wirklich beweist, ist damit nicht die unabhängige Natürlichkeit, die als äußere Bedingung des Geistigen handeln würde 12 . Als wirklich ergibt sich dagegen die eigentliche Selbstständigkeit, die der Geist aus seiner eigenen logischen und physikalischen Natur heraus entwickeln kann: "Der Schein, als ob der Geist durch ein Anderes vermittelt sei, wird vom Geiste selber aufgehoben, da dieser sozusagen die souveräne Undankbarkeit hat, dasjenige, durch welches er vermittelt scheint, aufzuheben, zu mediatisieren" 13 . Die philosophisch begriffene Wirklichkeit tritt nicht in erster Linie in der Art und Weise der Unabhängigkeit einer ungeistigen Natur auf. Die wahrhafte Wirklichkeit ist laut Hegel vor allem die geistige Selbsttätigkeit, durch die das Geistige "von allem Äußerlichen und seiner eigenen 11 GW, Bd. 20, § 276 An. und GW, Bd. 24/3, § 276 Zusatz. Bode und Schubert berichteten, dass das Licht in der Beobachtung von Sternhaufen nach Herschel mehrere tausend Jahre dauern würde, um uns zu erreichen (vgl. GW 19, 523, Anmerkung der Herausgeber). 12 Vgl. GW, Bd. 20, § 381. 13 GW, Bd. 25/2, § 381 Z....