Youth Language Research Papers - Academia.edu (original) (raw)
Der Beitrag beschreibt neue Varianten von Majoritätssprachen, wie sie sich heute im mehrsprachigen urbanen Europa entwickeln, als neue urbane Dialekte. Diese Perspektive erlaubt es uns, systematische Charakteristika auf... more
Der Beitrag beschreibt neue Varianten von Majoritätssprachen, wie sie sich heute im mehrsprachigen urbanen Europa entwickeln, als neue urbane Dialekte. Diese Perspektive erlaubt es uns, systematische Charakteristika auf sprachstruktureller Ebene ebenso zu berücksichtigen wie ihre Variation in unterschiedlichen sprachlichen und sozialen Kontexten, ähnlich wie wir dies für traditionelle, stärker regional gebundene Dialekte kennen. Gegenüber letzteren werden neue urbane Dialekte durch eine sprachlich besonders vielfältige Sprechergemeinschaft gestützt, die unterschiedliche ein- und mehrsprachige Repertoires einbringt.
Die Metapher des Feature Pool, die für die vielfältigen sprachlichen Ressourcen vorgeschlagen wurde, auf die diese Sprechergemeinschaft zugreifen kann, wird hier ergänzt durch eine Metapher des Feature Pond, die das Ergebnis dieses Zugriffs nicht als beliebige, unstrukturierte Zusammenstellung beschreibt, sondern als System ineinandergreifender Elemente: Neue urbane Dialekte basieren nach dieser Auffassung auf einer reichen sprachlichen Ökologie, die interagierende Muster auf verschiedenen sprachlichen Ebenen hervorbringt. Sprecher/innen wählen aus diesem Netzwerk systematisch je nach Gesprächssituation aus. Dies stützt eine integrative Sichtweise, die uns erlaubt, Charakteristika dieser Sprechweisen als Stil vs. Varietät gleichermaßen zu erfassen. Wir können so die Systematik auf sprachlicher Ebene anerkennen, ohne die gezielte Wahl, die Sprecher/innen jeweils treffen, zu vernachlässigen.
Neue Dialekte im mehrsprachigen urbanen Europa stellten sich vor diesem Hintergrund dar als Neuzugänge zum sprachlichen Spektrum der jeweiligen Majoritätssprachen, die durch eine besondere sprachliche Dynamik charakterisiert sind. Der sprachlich heterogene, durch vielfältige Sprachkontaktsituationen gekennzeichnete Kontext stützt eine charakteristische Offenheit gegenüber sprachlicher Variation und erlaubt es diesen neuen Dialekten, interne, binnenstrukturelle Entwicklungen der Majoritätssprachen besonders leicht aufzunehmen. Entsprechend sind sie gekennzeichnet durch ein komplexes, je unterschiedlich gewichtetes Zusammenspiel von Sprachkontakt und binnenstrukturellen Entwicklungstendenzen.
Diese Dialekte fügen der Dynamik, die urbane Sprache generell auszeichnet, damit eine neue Qualität hinzu. Eine solche Dynamik findet sich auch auf Sprecherebene: Neue urbane Dialekte entstehen in Sprechergemeinschaften, die durch vielfältige, heterogene sprachliche Repertoires gekennzeichnet sind. In diesen Repertoires stehen sie neben weiteren, informellen und formellen, Varianten der betreffenden Majoritätssprachen ebenso wie solchen aus anderen Sprachen, wobei Kenntnisse anderer Sprachen nicht an die Grenzen von Herkunftssprachen gebunden sein müssen. Sprecherrepertoires in solchen sprachlich vielfältigen Gemeinschaften überschreiten damit herkömmliche Unterscheidungen von ein- und mehrsprachigen Sprecher/inne/n ebenso wie die von „native vs. non-native speakers“ der Majoritätssprachen.