«Frauen sind verwöhnt – auch heute noch» (original) (raw)

AboInterview mit Skandalautorin Esther Vilar

«Frauen sind verwöhnt – auch heute noch»

Mit ihrem Weltbestseller «Der dressierte Mann» trieb Esther Vilar vor 50 Jahren die Feministinnen zur Weissglut. Noch immer ist sie überzeugt, dass Frauen die Männer unterdrückten, nicht umgekehrt.

Rico Bandle

Publiziert: 27.03.2021, 23:00

«Wir Frauen müssen den Männern helfen, aus der Dressur rauszukommen»: Autorin Esther Vilar.

«Wir Frauen müssen den Männern helfen, aus der Dressur rauszukommen»: Autorin Esther Vilar.

Foto: Daniel Delang

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Sie war das grösste Feindbild der Frauenbewegung, mehrmals wurde sie körperlich attackiert, ihre Lesungen fanden jahrelang nur unter Polizeischutz statt. Esther Vilar löste in den 1970er-Jahren mit ihren provokanten Thesen heftige Proteste aus – erntete aber auch viel Zustimmung. Die Frauen würden sich auf Kosten der Männer ein schönes Leben machen, meinte sie. Das weibliche Gerede von Benachteiligung und Diskriminierung sei blosse Ablenkung, eigentlich unterdrückten Frauen die Männer, nicht umgekehrt.

Vilar traf einen Nerv: Ihr Buch «Der dressierte Mann» (1971) verkaufte sich millionenfach, mit ihren Fernsehauftritten spaltete sie eine ganze Generation. Zeitweilig zog die Deutschargentinierin in die Schweiz, in Deutschland konnte sie sich nicht mehr frei bewegen.

85 Jahre alt ist die Autorin mittlerweile, spricht man sie auf ihr Lebensthema an, zeigt sie sich kampfeslustig wie eh und je.

Frau Vilar, beim Frauenstreik haben in der Schweiz Hunderttausende von Frauen gegen Diskriminierung demonstriert. Wären Sie mitmarschiert, wenn Sie hier gewesen wären?

Vielleicht, sofern man mich gelassen hätte. Ich habe mich selber immer dafür eingesetzt, dass Frau und Mann die Berufs- und Familienarbeit gleichwertig teilen. Nur habe ich jenen Feministinnen widersprochen, die ständig behaupteten, die Frauen seien die Opfer, die Männer die Täter. Es ist nämlich umgekehrt! Das hätte ich auch beim Frauenstreik deutlich gesagt.

Hat sich in den 50 Jahren, seit Sie den «Dressierten Mann» geschrieben haben, nichts verändert?

Doch, sehr viel. Heute gehen viele Frauen arbeiten und lassen sich nicht mehr nur von ihren Männern aushalten. Und die Väter haben mehr Zeit für die Kinder. Das ist sehr zu begrüssen. Aber dass sich die jungen Frauen heute als Freiheitskämpferinnen feiern lassen, das ist ein Hohn für die wenigen Frauen, die wirklich gekämpft haben.

Es waren nur wenige?

Ja, die meisten machten es sich einfach so bequem wie möglich mit dem in der Regel vom Mann verdienten Geld, schauten auf die Kinder und warteten, bis er am Abend jeweils todmüde nach Hause kam.

Freude an der Debatte: Schriftstellerin und Ärztin Esther Vilar bei einem Auftritt in Zürich, 1974. 

Freude an der Debatte: Schriftstellerin und Ärztin Esther Vilar bei einem Auftritt in Zürich, 1974.

Foto: Keystone

Die Frauen haben sich doch erkämpfen müssen, dass sie mehr arbeiten und damit eigenverantwortlicher leben können?

Nein. Das verdanken wir allein den Männern, die die Hausarbeit mit ausgeklügelten Geräten zu einem grossen Teil automatisiert haben. Die Hausfrauen hatten dadurch immer weniger zu tun, bekamen dank der von Männern entwickelten Verhütungsmittel auch immer weniger Kinder – und begannen sich zu langweilen. Also dachten sie: «Jetzt probieren wir einmal, wie das geht, wenn wir auch aus dem Haus gehen und ein bisschen mitmachen bei der Erwerbsarbeit.»

Wo stehen wir heute?

Die meisten Frauen arbeiten Teilzeit, im Gegensatz zu den Männern. Dass die Frauen zunehmend am Berufsleben teilhaben, ist eine herrliche Entwicklung, ein wahrer Fortschritt. Dies aber als Sieg der Frauenbewegung zu werten, wäre völlig verfehlt.

Es ist ein Sieg der Männer?

Ja, genau. Die Männer waren ja früher voll darauf dressiert, sich abzurackern, um Frau und Kinder zu ernähren. Ihre Kinder konnten sie gar nicht richtig kennen lernen, da sie oft erst nach Hause kamen, wenn diese schon schliefen. Es war eine weibliche Dressurmethode: Der Mann zählte nur etwas, wenn er das Geld heimbrachte. Dies hat sich erfreulicherweise aufgeweicht, man sieht zunehmend auch Väter, die Zeit für ihre Kinder haben.

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Frauen studieren vorzugsweise musische oder geisteswissenschaftliche Fächer, die nur wenig Karrieremöglichkeiten bieten. Bei den technisch-mathematischen Fächern bleibt der Zustrom an Frauen minim, trotz enormer Förderanstrengungen.

Das erstaunt mich überhaupt nicht. Noch immer gilt die Vorstellung: Männer müssen Geld verdienen, Frauen können. Darum stehen für Frauen bei der Studienwahl weniger die Berufsaussichten im Zentrum, sondern mehr das Vergnügen.

Sie fordern völlige Gleichberechtigung, sowohl im Privaten wie bei der Arbeit – ein urfeministisches Anliegen. Trotzdem wurden Sie zum Feindbild.

Das ist unglaublich, nicht? Dabei haben wir tatsächlich dieselben Ziele. Die Feministinnen hat rasend gemacht, dass ich von Männern als menschlichen Wesen gesprochen habe. Ich fand es wahnsinnig ungerecht, dass nur Männer ins Militär mussten; dass sie ein höheres Pensionsalter hatten; dass sie für alles Böse verantwortlich gemacht wurden; dass ihnen bei einer Scheidung in der Regel die Kinder und die Wohnung genommen wurden und so weiter. Aber nie, nie, nie wurde von den Feministinnen gesagt, wie schrecklich es für Männer ist, dass sie in den Krieg gehen müssen. Man hätte sich auch einmal bei den Männern bedanken können! Stattdessen haben die Frauen immer nur über ihre angebliche Unterdrückung gejammert, und die Medien haben ihnen dabei ganz schön geholfen.

Sie gingen mit den Frauen aber auch sehr hart ins Gericht. Sie schrieben zum Beispiel: «Spätestens mit zwölf Jahren – einem Alter, in dem die meisten Frauen beschlossen haben, die Laufbahn von Prostituierten einzuschlagen, das heisst, später einen Mann für sich arbeiten zu lassen und ihm als Gegenleistung ihre Vagina in bestimmten Intervallen zur Verfügung zu stellen – hört die Frau auf, ihren Geist zu entwickeln.»

Ich habe eine Streitschrift geschrieben, entsprechend ist der Ton. Heute würde ich das vielleicht friedlicher formulieren. Immer wurde nur über einzelne Sätze gesprochen, den Inhalt des Buches nahm man gar nicht wahr. Aber wäre ich nicht so drastisch gewesen, hätte man mich wohl überhaupt nicht wahrgenommen.

Noch mehr Schlagkraft hatten ihre Fernsehauftritte, bei denen Sie Ihre Thesen messerscharf vor Millionenpublikum verteidigten.

Ich hatte keine Ahnung vom Fernsehen. Doch schon mein erster Auftritt schlug ein wie eine Bombe. Mein Leben war danach nicht mehr dasselbe.

Das war 1971 in der beliebten Unterhaltungssendung «Wünsch dir was».

Ich wurde plötzlich überall erkannt. Danach hatte ich Auftritte auf der ganzen Welt. Die Konsequenzen waren nicht nur angenehm. In Spanien gingen nach einer Sendung Tausende von Leuten auf die Strasse, es kam zu wüsten Szenen. Die Menschen hatten noch nie so etwas gehört! Das ist schon verrückt. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass ich etwas bewege, etwas voranbringe.

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Heute ist die Unterdrückung missliebiger Meinungen unter dem Stichwort «cancel culture» wieder gross im Gespräch, Sie haben das vor 50 Jahren schon erlebt.

Mich hat man nicht nur mit Gewalt am Reden zu hindern versucht, sondern auch ständig bewusst verzerrt zitiert. Ich habe zum Beispiel von der «weiblichen Dummheit» gesprochen, das wurde mir immer vorgeworfen. Tatsächlich habe ich gesagt: Männer und Frauen werden mit der gleichen Intelligenz geboren – aber wenn man nicht arbeitet oder sich weiterbildet, verkümmert diese Intelligenz. Und das war bei den meisten Frauen der Fall.

Wenn man Frauen pauschal als dumm und als Prostituierte bezeichnet, so ist doch klar, dass sie sich ärgern.

Sicher. Aber das ist nun mal die Wahrheit. Frauen, die sich von ihren Männern aushalten lassen, verdienen ihr Geld durch Sex. Das heisst nicht, dass ich Prostituierte verachte, ich spreche nur von der Tätigkeit, die sehr ähnlich ist. Das wissen diese Frauen auch. Ich war einfach die Erste, die das ausgesprochen hat.

Sie haben sich schon in den 1970er-Jahren für eine Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau ausgesprochen. In der Schweiz steht das erst jetzt wieder zur Debatte – die Feministinnen wehren sich mit Händen und Füssen dagegen.

Was, das gibt es in der Schweiz noch? Das ist ja nicht möglich! Und tatsächlich wehren sich Frauen?

Im linken Spektrum sogar die Mehrheit.

Unfassbar! Frauen leben ja viel länger als Männer: Wenn schon, sollten wir Frauen länger arbeiten. Das ist dermassen absurd, mit einem solchen Kampf tut man den Frauen keinen Gefallen. Und das im Jahr 2021!

Die Frauen sagen, sie verdienten weniger, deshalb sei es gerecht, dass sie früher in Rente dürften.

Selbstverständlich bin ich auch für Lohngleichheit. Dafür soll man auch kämpfen. Das heisst aber nicht, dass man deshalb andere Ungerechtigkeiten beibehalten soll. Es gibt Gewerkschaften, Demonstrationsfreiheit, wir Frauen stellen die Mehrheit der Wählerstimmen – mit diesen Mitteln kann man heute alles erreichen.

Sie haben selber vorgelebt, wofür Sie gekämpft haben: Ihr Mann schaute auf Ihren Sohn, während Sie auf Lesungen waren und das Geld nach Hause brachten. Wie funktionierte das?

Unsere Lebensform war damals skandalös, und das wäre sie auch heute noch, wenn auch nicht mehr so stark. Ich war ganz auf mich selbst gestellt, völlig unabhängig. Für einen Mann ist diese Aufteilung viel schwieriger als für die Frau: Wenn er kein Geld verdient und zu Hause bleibt, wird er als Versager tituliert. Wir Frauen müssen den Männern helfen, aus dieser Dressur rauszukommen.

Wollen die Männer überhaupt rauskommen? Sie schreiben selbst von der «Lust an der Unfreiheit», die der Mensch tief in sich drinnen habe.

Wer glücklich ist als Arbeitssklave, der soll so weitermachen, ganz klar. Aber diese Leute sollen wissen, dass es auch eine andere, freiere Form zu leben gibt. Wenn sie sich dann trotzdem für die klassische Aufteilung entscheiden, ist das natürlich in Ordnung. Man kann niemanden zur Freiheit zwingen.

Ihr gesamtes literarisches Werk dreht sich um das Paradox, dass der Mensch im Zweifel die Unfreiheit der Freiheit vorzieht. Haben Sie herausgefunden, weshalb dem so ist?

Von Freiheit zu reden, für sie zu kämpfen, ja sogar für sie zu sterben, ist einfach. Die Freiheit tagtäglich zu leben allerdings, ist etwas vom Schwierigsten, was es gibt. Niemand lebt in totaler Freiheit, das würde man gar nicht aushalten. Familie, Religion und vieles mehr, was Geborgenheit bringt, bedeutet Unfreiheit. Wenn das selbst gewählt ist, habe ich kein Problem damit. Sehr wohl aber, wenn man unreflektiert mit der Herde mitläuft.

Sie waren immer eine Einzelkämpferin, während die andere Seite eine ganze Bewegung hinter sich hatte. Macht Freiheit einsam?

Allerdings. Die Freiheit ist das aber wert.

Ihre grosse Gegenspielerin war Alice Schwarzer, niemand hat Sie so stark attackiert wie sie. Wie haben Sie sie erlebt?

Ich habe sie nur einmal getroffen, für die berühmte Fernsehdebatte 1975. Sonst haben wir nie miteinander gesprochen. Aber ich kenne ja Feministinnen in vielen anderen Ländern, da ist keine besonders originell.

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Auch nach der Sendung sprachen Sie nicht mit Schwarzer?

Sie hatte mich vor der Kamera als «Faschistin» bezeichnet, die man vor Gericht stellen sollte. Das war so anmassend, ich hatte wirklich keine Lust mehr, mit ihr noch länger herumzusitzen.

Woher kommt diese Aggression beim Thema Feminismus?

Die Frauen sind verwöhnt von den Medien. Überall liest man feministische Interviews, auch heute noch. Das ist alles sehr einseitig. Die Frauen erhalten das ganze Mitgefühl, die Männer keines. Feministinnen sind es nicht gewohnt, dass jemand mal eine andere Sichtweise einbringt.

Feministinnen würden wohl das Umgekehrte sagen: An den Schalthebeln sitzen noch immer vorwiegend Männer.

Die Macht liegt aber bei den Frauen. Die Mehrheit der Wähler sind Frauen, Frauen treffen die meisten Kaufentscheide – laut neuester Statistik sind es zurzeit 80 Prozent –, die ganze Bildung und Erziehung ist in Frauenhand. Wenn die Frauen trotzdem mehrheitlich Männer wählen, dann deshalb, weil sie davon ausgehen, dass ein männlicher Kandidat vielleicht mehr für sie bringen wird als ein weiblicher.

Im Parlament der Stadt Bern sitzen mittlerweile 70 Prozent Frauen.

Tatsächlich? Wahrscheinlich beschweren sich die Frauen dort immer noch, oder? Aber dieses Beispiel zeigt, dass sich ganz viel verändert. Die Männer beginnen sich ja nun auch zu schminken, vielleicht ziehen sie sich in Zukunft mehr zurück, bleiben unter sich, wer weiss. Aber ist es wirklich das, was der Feminismus will?

Wechseln wir noch das Thema. Sie haben auch sehr erfolgreiche Theaterstücke geschrieben. Als Ihr Stück «Speer» 1999 mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle in London aufgeführt wurde, kam in einer Probe Queen Elizabeth zu Besuch. Wie war das?

Wir waren völlig überrascht, davon hatten wir nichts gewusst. Sie hat mit uns ein paar Worte geredet, sehr nett. Dann haben die Direktoren die Queen durch das Theater geführt – plötzlich hat sie sich verlaufen. Wir haben schon weitergeprobt, da kam sie ganz allein mit ihrem Handtäschchen eine kleine Treppe hoch und stand auf der Bühne mit den zwei Akteuren. Brandauer reagierte charmant: «Oh, Madam, ich dachte, das sei ein Zweipersonenstück.» Sie musste sehr lachen.

Wissen Sie noch, worüber Sie mit ihr gesprochen haben?

Ach, wir haben einfach ein paar Höflichkeiten ausgetauscht. Ich glaube nicht, dass sie meinetwegen gekommen ist. Sie wollte vielleicht einfach den Brandauer kennen lernen, wie wir alle.

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Rico Bandle ist Redaktor bei der SonntagsZeitung und beschäftigt sich hauptsächlich mit gesellschaftspolitischen Themen.Mehr Infos

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