Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache | Kritik (original) (raw)
DOK Leipzig 2024: In Sabine Herpichs Dokumentarfilm können wir uns in Ruhe in die Entstehung eines Popalbums einsehen und einhören. Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache fängt Kreativität sinnlich ein und ist auch das Porträt einer Freundschaft.
In medias res: In der Eröffnungssequenz von Sabine Herpichs neuem Dokumentarfilm Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache sehen wir die titelgebende Popmusikerin von schräg hinten gefilmt, wie sie konzentriert an ihrem MacBook sitzt, den ein orangefarbener Nike-Schuhkarton auf ihre Augenhöhe bringt. Auf dem Bildschirm läuft ein kleinteiliges Musikprogramm, allerlei grüne Layer sind zu sehen, die man als Laie nicht zu entziffern weiß.
Sowieso fehlt uns noch die Orientierung. Niemand spricht, der Bildkader gibt uns nur einen kleinen Ausschnitt des Arbeitszimmers preis: Links neben der Musikerin steht ein Keyboard, hinter ihr ein angenehm verkramtes, bis zur Decke reichendes Bücherregal; von rechts dringt Tageslicht in den Raum. Während die mittelalte Frau mit Brille, Pferdeschwanz und schwarzem Top so vor sich hinwerkelt, können wir den Blick über die Bücher und ihr fröhlich anmutendes Halbprofil schweifen lassen. Dann verschwindet Morgenstern aus dem Bild, spielt aus dem Off auf dem Keyboard eine Melodie ein, die noch in den Kinderschuhen steckt – sie wurschelt sich durch die elektronische Demoversion hindurch, wie sie es selbstironisch im Publikumsgespräch des DOK Leipzig beschreibt, wo der Film seine Premiere im Deutschen Wettbewerb feierte.
Teilhabende Beobachtung
Kurz darauf, wieder ins Bildfeld gerückt, dreht sich Morgenstern, bevor sie zum Mikrofon greift, mit breitem Grinsen zur Kamera um und spricht direkt die Filmemacherin an, die, wie in früheren Filmen, ihre eigene Kamerafrau ist: „Weißt du, was ich intuitiv merke?! Ich habe das Bedürfnis, mich dir zu erklären, was ich mache. Aber das mache ich jetzt einfach nicht“, worauf Herpich halb lachend erwidert: „Musst du nicht machen.“ – „Das ist total irre, ich habe immer so dieses – jetzt mache ich das und jetzt mache ich das.“
So ist gleich zu Anfang klar: Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache ist kein Fly-on-the-Wall-Film, der aus Immersionsdrang heraus die Anwesenheit der Kamera und des Tonaufnahmegeräts zu verschleiern versucht, auch keine bloße „teilnehmende Beobachtung“, die semidistanziert Bilder und Töne registriert, um sie später in neue Ordnung zu montieren. Vielmehr sehen wir einen anteilnehmenden, die Protagonistin an der Erzählweise teilhaben lassenden Dokumentarfilm.
Es ist in diesem Sinne ein dialogisches Werk, ein Dialogfilm ganz ohne Talking Heads, ein gleichberechtigter Austausch zwischen Morgenstern und Herpich als kreative Menschen, deren Arbeit für andere bis zum Endresultat in der Regel unsichtbar bleibt. Statt diese Arbeit zum Drama zu stilisieren, sehen wir lange Einstellungsfolgen in der „nackten“ Logik einer Albumentstehung. Was dabei zutage tritt, konfrontiert Herpich, wie sie im Anschluss ans Screening berichtet, nicht zuletzt mit dem eigenen Schaffen, etwa wenn Kosten in einer Exceltabelle herumgeschoben werden.
In anderem Licht
In anderem Licht heißt das klassisch instrumentierte Popalbum, das im Laufe von Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache Gestalt annimmt. Es dauert seine Zeit, bis der Track vom Anfang steht. Während eine konventionelle Reportage die Zeit, die so etwas benötigt, zusammenstutzen würde, können wir uns hier in Ruhe einsehen und einhören. Das war schon in Herpichs sehr sehenswertem Vorgängerfilm Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist (2020) so, der die Kunstwerkstatt Mosaik porträtiert, in der Künstler:innen mit geistiger Behinderung unter Anleitung einer Werkstattleiterin selbstständig ihre Fantasie aufs Papier bringen. Die sanfte Ruhe, die dort herrscht, überträgt sich unmittelbar aufs Publikum; es geht dem Film nicht um ein Verstehen im herkömmlichen Sinne, sondern darum, etwas davon, was Außenstehende nie gänzlich begreifen können, Kreativität nämlich, sinnlich einzufangen.
Von den ersten Gehversuchen eines Songs über Demotapes und kammermusikartige Proben bis hin zur straffen Organisation des Studioaufnahmebetriebs kommt in Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache alles vor. Wir kriegen mit, wie sich Coverentwürfe und Musikvideodrehs zusammenruckeln, wie Pressetermine und Orgatreffen ablaufen, die das nahende Release und die anstehende Konzerttour strategisch begleiten. Was am Anfang noch im stillen Kämmerchen, tatsächlich in der Privatwohnung Morgensterns, seinen Anfang nimmt, wird nun orchestrierter, vermittelter.
Trial & Error
Die Vermittlung, aus welchem inneren Antrieb heraus man Musik macht, wird, entgegen den Anfangssätzen, gegen Filmende doch noch „geleistet“. Aber eben nicht als etwas, das bloß für die Kamera hergestellt ist – schon gar nicht als eine Art Fanservice. Es ergibt sich schlicht aus den Gesprächen der Musiker:innen untereinander, auch aus der Vertrautheit von Morgenstern und Herpich, die in intime Momente des Hörens alter Songs und im Durchblättern von Familienfotoalben mündet. Der Film ist eben auch das Porträt einer Freundschaft. Uneitel kommt einem das alles vor. Auch lustig, wenn die Dinge einmal nicht gelingen wollen oder, begleitet von Sarkasmus, weitere Anläufe benötigen. Künstler:innen lassen sich ungern in die Karten schauen, beim Herumprobieren filmen, denkt man eigentlich. Das bedeutet schließlich eine Entzauberung – übereinander gestapelte Versuche statt des Geniestreichs.
Der Weg hin zum „Endprodukt“ hat bei Morgenstern – von deren Musik man übrigens kein Fan sein muss, um ihr gerne zu folgen – etwas Spielerisches. Ein mit der Kamera spielender Spaß, der zwischen den Zeilen zum Ernst, zum rettenden Anker in Zeiten von Einsamkeit und Unruhe wird. Und so heißt der Song vom aktuellen Album, den wir hier am ausführlichsten in seiner Entstehung begleiten, passend Der Witz: „Ich bin gern allein. Beim Alleinsein fällt mir nach und nach das Zusammensein wieder ein. Denn ich – erzähl den Witz, nicht mir selbst, sondern dir und mir. Du bist Widerstand. Das Freundschaftsband – scheint von Zeit zu Zeit, zum Riss bereit. Doch ich erzähl den Witz, nicht mir selbst, nur dir und mir, und dann sind wir hier.“