Sting, Elton John und Simon Rattle gegen Brexit-Entscheidungen (original) (raw)

Wenn Jacob Rees-Mogg sich als Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei zum Unmut der britischen Musikindustrie über den Brexit äußern müsste, würde er womöglich behaupten, der britische Kulturbetrieb sei Dank neuer Freiheiten nun besser dran. Dann könnte der Parlamentspräsident einwenden, dafür gebe es keinen Beweis, so wie vor einigen Tagen, als Rees-Mogg über die Auswirkungen des Brexits auf die Fischindustrie zu wissen meinte, die wieder unter Kontrolle des Vereinigten Königreiches stehenden Fische seien glücklicher, weil sie nun britische Fische seien.

Als was auch immer sich diese Meeresgeschöpfe fühlen mögen, leben sie ohne Grenzen, solange sie nicht im Netz landen. Dann beginnt für die Fischer das Haareraufen über den neuen Verwaltungsaufwand. Für die darstellenden Künste bedeutet das Fehlen eines Abkommens mit der EU über Arbeitsgenehmigungen, Zollbescheinigungen und Sozialabgaben bei Tourneen ebenfalls eine kosten- und zeitintensive Belastung. Statt einer einheitlichen Regelung gibt es nun für jedes einzelne europäische Land andere Bestimmungen. Die Organisatoren tappen immer noch weitgehend im Dunkeln – und die Regierung offenbar auch, Auskünfte sind spärlich.

Die Behauptung, London habe eine einheitliche Lösung ausgeschlagen, wie sie noch im vergangenen März im Entwurf für das Brexit-Abkommen enthalten war, hat die Spannungen zwischen der Regierung und dem von „Remainern“ beherrschten Kultursektor weiter angeheizt. Jetzt haben mehr als 150 Prominente aus Pop und Klassik, von Elton John und Simon Rattle bis zu Sting, Roger Waters und Bob Geldof der Regierung in einem Offenen Brief vorgeworfen, sie schändlich im Stich zu lassen. Sie fordern das wechselseitige Reisen ohne Papiere in Europa. London und Brüssel schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die britische Regierung bestreitet, das Angebot der EU abgelehnt zu haben, Künstler bei kurzfristiger Beschäftigung von Visa-Bestimmungen zu befreien. Den Vorwurf eines Abgeordneten der schottischen Nationalpartei, Musiker fielen der vom Beenden der Personenfreizügigkeit besessenen Regierung zum Opfer, schien die Kulturstaatsministerin unfreiwillig zu bestätigen mit der Aussage, das Angebot der EU sei nicht zu vereinbaren gewesen mit dem Wahlversprechen der Regierung, die Kontrolle über die Grenzen zurückzugewinnen.

Die Brexiteere haben den 1. Januar als Unabhängigkeitstag begrüßt. Refrainartig erklingt der Ruf, dass Britannien von den Fesseln der sklerotischen europäischen Bürokratie befreit worden sei. Den Kulturschaffenden, die den europäischen Austausch fortsetzen wollen, sind jedoch neue Fesseln angelegt worden. Von Freiheit kann nicht die Rede sein.