Unsere Büro-Unworte des Jahres (original) (raw)
Sozusagen
Die schlimmsten Sprachticks sind in Wahrheit nicht die der anderen, sondern die eigenen. Da schnappt man einmal ein Modewort auf, und flugs hat es sich im Frontallappen breit gemacht. Die gute Nachricht: Irgendwann, und der Tag kommt immer, nervt man sich selbst genug. Dann setzt Heilung durch Selbstzensur ein. Die schlechte Nachricht: Was für ehemalige Raucher gilt, nämlich dass sie die schlimmsten Nichtraucher seien, gilt auch für geläuterte Floskelsuchtis. Das aktuelle Konsumwörtchen des Grauens lautet „sozusagen“. Gänsehaut! Beim bloßen Eintippen! Aber nach Jahren in geisteswissenschaftlichen Seminaren war das unausweichlich. Sozusagen zu sagen gilt da nämlich als Ausweis von Reflexion. Soll allen zeigen, dass man seinem Werkzeug, der Sprache, nicht auf den Leim geht, so inadäquat, wie sie ist. Nun ist die Unizeit lange vorbei, das Bedürfnis vieler Zeitgenossen fürs Pro-Seminar-Lavieren aber nicht. Mal was raushauen, ohne zu verwässern? Scheint auch in der Arbeitswelt, und überall, richtig unbeliebt zu sein. Es könnte ja jemand Plumpheit wittern. Oder Verbindlichkeit. Oder Souveränität, die als gemeine Autorität fehlgedeutet wird. Das kann keiner wollen. Also quasi kein Mensch, gewissermaßen nicht ein Einziger, sozusagen niemand. Anna-Lena Niemann