Tristram Shandy's review of Die Tragödie eines Volkes (original) (raw)
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Tristram Shandy's Reviews > Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924
Die Tragödie eines Volkes: Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924
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Ein Triumph ansprechender Geschichtsschreibung
Der britische Historiker Orlando Figes zeigt mit seiner Monumentalmonographie Die Tragödie eines Volkes, die 1996 erschien und zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt wurde, wie Historiker aus dem angelsächsischen Sprachraum es zumeist schaffen, Geschichte auf eine fesselnde Art und Weise zu erzählen, ohne dabei den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufzugeben.
Figes ist Professor für Geschichte am Birkbeck College in London und gilt als ausgewiesene Koryphäe auf dem Gebiet der modernen russischen Geschichte. Sein erstes Werk Peasant War, Civil War von 1989 eröffnet den Reigen seiner Darstellungen über die Russische Revolution, und seine letzte Monographie The Whisperers aus dem Jahre 2007 befasst sich mit dem Terror in der Sowjetunion unter der Knute Stalins.
In Die Tragödie eines Volkes widmet sich Figes der Epoche der russischen Revolution, und er tut dies in einer dichten und dennoch flüssig geschriebenen Darstellung, die den Leser sofort in ihren Bann schlägt. Figes beginnt sein Buch mit einer Darstellung der vorrevolutionären Zustände im zaristischen Russland ab dem Jahr 1891, wobei er eingehend auf die Mechanismen der autokratischen Zarenherrschaft eingeht, deren Grundfesten schon vor der Bauernbefreiung Ende des 19. Jahrhunderts und dem Aufkommen von Anarchismus und Terrorismus zu bröckeln begannen. Auch die Instrumentalisierung panslawistischer Allmachtsphantasien und des Antisemitismus – von 1911 bis 1913 etwa zog sich in Kischinjow die sog. Bejlis-Affäre hin, in deren Verlauf ein Jude des Ritualmords beschuldigt wurde – zugunsten der Zarenherrschaft werden in diesem Zusammenhang beleuchtet. Figes wirft auch einen Blick auf die bäuerliche Gesellschaft des vorwiegend agrarisch geprägten Riesenreichs und entlarvt die Barbarei der dort herrschenden Verhältnisse.
Ausgehend von dieser umfangreichen Strukturanalyse erzählt er im folgenden die Geschichte erster Demokratisierungsbestrebungen, die allerdings recht schnell im Sande verliefen, bevor dann mit dem Ersten Weltkrieg die Weichen für die beiden Revolutionen des Jahres 1917 gelegt wurden – wobei die sogenannte Oktoberrevolution freilich nichts weiter als ein von Trotzki und Lenin orchestrierter Putsch war. Eindrucksvoll lässt Figes die dramatischen Ereignisse vor allem im Petrograd jener Tage wiederauferstehen und schafft es auch, einen sehr guten Eindruck von den Parteiungen und Richtungsstreitigkeiten innerhalb der revolutionären Bewegung zu vermitteln. Darüber hinaus zeichnet er mit gewandter Feder die Porträts sowohl maßgeblicher Handlungsträger als auch eher unbekannter Zeitgenossen. Über Lenin heißt es beispielsweise: „Er lebte und kleidete sich wie ein Provinzbeamter mittleren Alters, mit exakt festgelegten Zeiten für Mahlzeiten, Schlaf, Arbeit und Muße, hielt auf Sauberkeit und Ordnung und war pedantisch bei seinen Finanzen, notierte auf Zettel alles, was er für Essen, Bahnfahrten, Schreibmaterial usw. ausgab. Jeden Morgen räumte er seinen Schreibtisch auf. Seine Bücher standen alphabetisch geordnet. Er nähte Knöpfe an seinem Nadelstreifenanzug an, entfernte Flecken darauf mit Benzin und hielt sein Fahrrad penibel sauber.“ (S.415) Warum ist das so wenig überraschend?
Auch der stille Kampf des russischen Schriftstellers Gorkij gegen die zunehmende Unmenschlichkeit, die von der Politik ins Alltagsleben getragen wurde, erfährt durch Figes‘ Darstellung eine angemessene Würdigung.
Figes unternimmt es darüber hinaus, die Wirren des Bürgerkrieges, der von 1918 bis 1920 das Land verheerte und unzählige Menschenleben forderte, gekonnt nachzuerzählen – allein das schon eine Aufgabe, vor der nicht wenige Historiker sich in allgemeine Darstellungen flüchten würden. Der Verfasser lässt seine Geschichte im Jahre 1924, dem Todesjahr Lenins, enden, wobei er allerdings noch einen kurzen Ausblick gibt, indem er verfolgt, wie die Lebensläufe einiger der Personen, die der Leser im Laufe der Darstellung kennengelernt hat, enden.
Es gibt sicherlich einige Leser, die sich von dem Umfang des Werkes abschrecken lassen, doch meiner Meinung nach spricht nichts gegen ein fast tausendseitiges Werk, wenn es nur gut geschrieben ist – und dies ist hier eindeutig der Fall. Figes versteht es, Narrativität und den Blick auf Strukturen und Hintergründe meisterhaft miteinander zu verbinden, so dass die Darstellung nicht in Vereinfachungen oder Einseitigkeiten abgleitet, sondern durchweg wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Umfangreiches Karten- und Bildmaterial rundet die Darstellung ab, indem es dem Leser beispielsweise hilft, die Vorgänge in Petrograd topographisch nachzuvollziehen.
Die Tragödie eines Volkes kann den Leser nicht kalt lassen, denn die Schicksale und Lebensläufe, die vorgestellt werden, bewegen. Ohne hier in moralingetränkten Betrachtungen versumpfen zu wollen, wage ich die Frage zu stellen, inwieweit es wirklich sinnvoll ist, menschliche Ungerechtigkeit und menschliches Leid systematisch auf dem Weg über gesellschaftliche Umwälzungen oder eine Neudefinierung des Menschen lösen zu wollen. Die Sowjetunion jedenfalls ist ein bedeutendes Beispiel des Scheiterns solcher Bestrebungen, und all jene, die – auch heute – dafür sind, persönliche Freiheiten einzuschränken, um mehr Sicherheit, mehr Gesundheit und mehr Gemeinschaftsgefühl zu erhalten, sollten überlegen, wo sie die Grenzen von Erziehung gesetzt wissen wollen.
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February 14, 2020 – Shelved
February 14, 2020 – Shelved as:history
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