Christine Binswanger im Gespräch mit Katharina Ammann – Herzog & de Meuron (original) (raw)

Katharina Ammann (KA): Bald nach meinem Amtsantritt 2020 habe ich dich und Pierre de Meuron zu einem Rundgang ins Aargauer Kunsthaus eingeladen. Ihr seid spontan vorbeigekommen und habt das Haus mit grossem Interesse inspiziert. Woran hast du als Erstes gedacht, als du die Kunsthauserweiterung wiedergesehen hast?

Christine Binswanger (ChB): Der erste Eindruck war, dass diese Ausstellungsräume nach 20 Jahren immer noch gut funktionieren: in ihren Proportionen, ihrer Abfolge, den Böden, den Bezügen zwischen innen und aussen, Tageslicht und Kunstlicht. Die zweite Beobachtung war die Offenheit des Foyers. Exemplarisch kommt darin die radikale Offenheit des Aargauer Kunsthauses in einer Zeit zum Ausdruck, wo gefordert und diskutiert wurde, dass die Museen der Stadt und den Menschen gehören. Für die Grösse der Stadt und der Institution ist diese Geste riesig. Drittens ertappte ich mich bei der Frage, ob es eigentlich sonst ein Museum gibt, dass einem lebenden Künstler eine solche Präsenz zugesteht wie das Kunsthaus Rémy Zaugg mit seinen Textarbeiten an der Fassade.

KA: Macht man aus professioneller Sicht eine Art Bilanz und ob die Architektur erfüllt, was von ihr erwartet wurde?»

ChB: Natürlich schauen wir, wie sich Gebäude im Alltag und im Lauf der Zeit bewähren. Das ist besonders gut möglich bei Projekten, die in der Nähe sind. Es ist aber auch insofern ein spezieller Moment für Herzog & de Meuron, weil gerade einige Projekte 20 Jahre alt geworden sind: das Schaulager, die Tate Modern, das Rehab, ein Rehabilitationszentrum in Basel, das Laban Dance Centre und bald auch das Walker Art Center. Wir betrachten natürlich auch, was nicht optimal funktioniert. In Aarau hat sich der Garten, die «Stadtterrasse» mit dem Moos, nicht so richtig bewährt. Heute würden wir vermutlich eine Lösung mit Bäumen suchen, reale Feuchtigkeit, reale Schatten schaffen, ohne die Kunst darunter zu gefährden.

KA: Ihr habt damals den bestehenden Museumsbau des Architekturbüros Loepfe, Hänni und Hänggli aus den 1950er-Jahren stark in eure Erweiterung integriert und mit der neuen Wendeltreppe die alte Wendeltreppe zitiert. Zu diesen Treppen bekommen wir heute noch sehr viele begeisterte Rückmeldungen, sie sind Signature-Elemente. Vielen Leuten müssten wir eigentlich, wenn wir über die Museumsarchitektur sprechen, zeigen, wo der Neubau beginnt und der Altbau aufhört. War das für euch ein gängiges Vorgehen, so integrativ zu arbeiten?

ChB: Alt-Neu ist ein immer wiederkehrendes und durch die Verpflichtung, CO2-Emissionen zu reduzieren, ein besonders aktuelles Thema. Wir haben viele Umbauten und Erweiterungen realisiert – nicht nur von Museen. Unser Entwurf für die Tate Modern zum Beispiel war im Vergleich zu anderen Wettbewerbsbeiträgen minimal invasiv, aber maximal effektiv. Wir wollen bei Erweiterungen immer dem Ganzen ein neues Leben geben und verhindern, dass man feststellt: «Ich bin im alten Teil» oder «Ich bin im neuen Teil». Manchmal interessiert uns ein architektonischer Gegensatz, aber in diesem konkreten Fall war es tatsächlich das Aufnehmen und Weiterstricken von dem, was wir vorgefunden haben.

KA: Es ist ja ein relativ kleines Projekt, verglichen mit anderen Museumsbauten, die Herzog & de Meuron vollendet haben. Was hat euch trotzdem daran gereizt?

ChB: Wir arbeiteten zu jener Zeit an der Tate Modern. Das Lokale und das Internationale haben uns immer gleichzeitig interessiert. Das Kunsthaus war eine vergleichsweise kleine Institution mit Fokus auf Kunst aus der Schweiz. Das Haus hatte schon damals ein klares Profil und eine kompetente, an Architektur und Dialog interessierte Leitung, die etwas entscheiden konnte. Das Kleine und Feine macht auch Freude, wir arbeiten immer an Projekten unterschiedlicher Grössenordnung.

KA: Damals hat das Büro Herzog & de Meuron mit dem Künstler Rémy Zaugg zusammengearbeitet. Was war wegweisend für euch, Kunstschaffende miteinzubeziehen?

ChB: Was uns an der Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden interessiert, ist das andere, freiere Denken, das keine Verantwortung hat, den Bauherren zufriedenzustellen oder baugesetzliche Auflagen zu erfüllen. Das macht die Projekte reicher, vielschichtiger, aber auch radikaler, wie hier in Aarau.

Rémy Zaugg war im Wettbewerb für das Kunsthaus eindeutig. Er machte es quasi zur Bedingung, nicht das Erwartete zu machen: kein Museum im Untergeschoss, wie es in der Ausschreibung festgelegt worden war. Mit ihm zusammen haben wir uns getraut, gegen die Vorgaben zu verstossen. Die Jury musste abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an einem Museum und dem öffentlichen Interesse an einem Denkmal.

Mit Rémy Zaugg hatten wir vorher schon an einigen architektonischen Projekten zusammengearbeitet. An zwei Projekte erinnere ich mich sehr gut, an den Campus und das Studentenheim für die Université de Bourgogne in Dijon und später die urbanistische Studie für Basel Eine Stadt in Werden? Er war ein scharfer Kritiker, der uns gezwungen hat, die Dinge klarzustellen: im Denken, in der Sprache, aber auch in der grafischen Darstellung. So eng haben wir seither nicht mehr mit einem Künstler zusammengearbeitet.

KA: Wie ist das Foyer zu seiner offenen Gestaltung gekommen?

ChB: Im Wettbewerbsprojekt war das Foyer noch wie die anderen Ausstellungsräume gestaltet, einfach mit mehr Glas. Es wurde dann immer klarer, dass das Foyer auch der soziale Raum des Kunsthauses ist. Erst relativ spät entstand die Idee, dass es auch Teil des Gartens sein sollte, der sich darüber und dahinter befindet. Das Foyer ist doppeldeutig: In seiner lichten Weissheit nimmt es die Atmosphäre der Ausstellungsräume auf, formal ist es eine Grotte, in der auch eine Vitrine mit Kristallen von den Kunstschaffenden Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger Platz fand.

KA: Ich erinnere mich, dass du einmal gesagt hast, dass Rémy Zaugg auch stark mitverantwortlich sei für das Innere des Foyers, für diese kristalline, sehr weisse Ausgestaltung. Es ist ein etwas kühles, fast minimalistisches Foyer, mit weissen Tischen, weissen Wänden, weissen Stühlen. Jetzt gestalten wir dieses Foyer mit dir zusammen neu. Was braucht ein Museumsfoyer heute? Braucht es 20 Jahre später eine andere Atmosphäre? Was sind die zentralen Ideen der Neugestaltung?

ChB: Das Foyer war im Alltagsbetrieb bisher ein Museumscafé, wo man etwas essen und trinken kann. Heute wünscht man sich mehr Aufenthaltsqualität, mehr «Wohnzimmer»: Menschen sollen sich länger, auch ohne zu konsumieren, hier aufhalten dürfen, bleiben können, um zu arbeiten oder sich zu treffen. Die Neugestaltung ist im Wesentlichen eine neue Möblierung, ergänzt um ein, zwei neue Farben, neues Licht und Textilien. Der Raum selbst bleibt unverändert. Im Dialog mit euch haben wir auch über weitere Kunst im Foyer diskutiert. Es wurde aber klar, dass eine zu starke Identifikation des Kunsthauses mit bestimmten Kunstschaffenden entstanden wäre und dass ihr das Foyer künstlerisch lieber immer wieder neu bespielt, auch begleitend zu euren Wechselausstellungen. Es ging uns bei der Neugestaltung auch darum, in einem grossen Raum kleinere Orte zu schaffen, an denen man sich wohlfühlt, wie zum Beispiel bei der Bücherwand, wo eine Fensterbank zu einer Sitzgelegenheit umgewandelt wurde. Es interessiert uns auch immer wieder, Unerwartetes zu machen. Ein Beispiel dafür ist die Glasspitze. Durch die neue Möblierung mit Teppich, nicht ganz rundem Tisch und Leuchte darüber wurde aus einem Durchgangsraum ein Ort, an dem man gerne zusammenkommt und bleibt.

KA: Grün ist die Farbe, mit dem das Aargauer Kunsthaus assoziiert wird: Sie findet sich etwa im grünen Glas, das die Treppe hinabführt. Das Grün verwenden wir auch in unserem Corporate Design. Jetzt kommt Pink dazu und die Polster haben noch andere Farbtöne. Wie ist es dazu gekommen?

ChB: Ihr habt angemerkt, dass die Menschen nicht von sich aus erkannten, dass es ein Untergeschoss gibt, wo sich die Garderobe und die Toiletten befinden. Das Grün markierte bisher nur den nach oben führenden Teil der Wendeltreppe, den Aussenraum, die Verbindung vom Park in die Stadt. Mit der kontrastierenden neuen Farbe im Inneren wollen wir sichtbar machen, dass die Treppe auch nach unten führt, zum Freiraum, der für Veranstaltungen und Kunstprojekte genutzt werden kann.

KA: Ich habe mich ausgesprochen gefreut über unseren engen Austausch im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Foyers. Wir haben dabei sehr viel über das Haus selbst gelernt. Ich kann bestätigen, dass sich die Räume extrem gut für Ausstellungen eignen. Es ist wirklich eine Freude, darin zu arbeiten. Sie haben uns die Flexibilität ermöglicht, auch Wände abzubauen und neu zu platzieren. Ich habe eine ganz andere Frage: Was wünschst du dir für das Aargauer Kunsthaus für die nächsten 20 Jahre? Was für ein Haus soll es sein?

ChB: Ich wünsche mir weiterhin tolle Ausstellungen. Ich glaube, es gibt nichts Besseres für ein Gebäude, als dass es gut und intensiv genutzt wird. Was das Kunsthaus nach wie vor auszeichnet, ist das unglaubliche Commitment zu Ausstellungen im Vergleich zu Events, für die andere Institutionen eigene Räume fordern und haben. In Aarau muss das Foyer alles leisten können: als Raum vor, während und nach Veranstaltungen und als Ort, in dem sich Ausstellungen fortsetzen. Das ist eine grosse Leistung, so herausfordernd es im Betrieb manchmal auch sein mag. Es fühlt sich hier definitiv wie ein Kunsthaus an. Mit seinem multifunktionalen Foyer erzeugt das Aargauer Kunsthaus sehr viel Öffentlichkeit. Es teilt sein Haus durch das Foyer mit den Menschen in der Stadt und die Menschen vor Ort begreifen es als Teil ihrer Stadt.

KA: Das spricht uns wirklich aus dem Herzen. Es ist genau das, was wir uns wünschen: Lebendigkeit, Offenheit und Durchlässigkeit. Wenn Architektur, Inhalt und Programm so ineinandergreifen, dann sind wir auf dem richtigen Weg für die nächsten 20 Jahre.