GANTRISCH INTEGRAL [hikr.org] (original) (raw)
Vor genau einem Jahr sind wir nach Bern gezogen - was für eine tolle Stadt! Das gehört gefeiert mit einer Jubiläumstour durch des Berners liebsten Outdoor-Spielplatz, den Gantrisch. Halbe Sachen werden diesem Anlass nicht gerecht, also auf zur integralen Überschreitung vom Stockhorn bis zum Schafarnisch. Dazwischen werden unzählige Gipfel und Grate begangen und klar befinden sich darunter allerhand alpinistische Leckerbissen. Dank der Seilbahn aufs Stockbahn darf ab Beginn aus dem Vollen geschöpft werden. Der lange Schlussabstieg zurück ins Simmental markiert dann den einzigen Wermutstropfen dieser Monstertour. Delta hat übrigens vor einigen Jahren die fast identische Tour absolviert.
Die erste Bahn bringt mich um 8:15 rauf zum Stockhorn (2190m). Eigentlich viel zu spät für eine Tour dieser Länge, die späte Heimkehr damit unvermeidbar. Aber ein Start unten in Erlenbach hätte die Sache angesichts zusätzlicher 1600Hm bloss verschlimmert. Von der Bergstation schaue ich kurz auf dem Gipfel vorbei, Ehrensache und mein vierter Besuch in diesem Jahr. Das Tagesprogramm lässt sich von hier komplett überblicken, wobei ich das gar nicht so genau wissen will...
Ein detaillierter Tourenbericht würde den Rahmen sprengen, ich konzentriere mich auf die Highlights und einige subjektive Eindrücke. Prinzipiell, und das machte die Tour so überaus lohnend, bin ich mit zwei Ausnahmen durchwegs dem Grat gefolgt. Eine Ausnahme bildete der Gantrisch, die zweite die Nünenenflue. Von letzterer könnte man zwar über den Westgrat abseilen, doch für eine einzige Stelle das ganze Material mitschleppen schien mir wenig opportun für eine 3000Hm-Tour.
Ab Beginn erlebe ich ein Wechselspiel aus Sonne und Wolken. Das ergibt immer wieder herrliche Stimmungen und Fotos. Und die Schattenperioden nehme ich gerne, denn es wird richtig heiss heute und bei den Getränken fiel meine Kalkulation etwas gar sportlich aus.
Erster Höhepunkt bildet die Überschreitung der Chrummfadeflue (2080m): der zerrissene Felsgrat lässt sich dank einer durchgehenden Wegspur erstaunlich gutmütig begehen (T5).Wobei man die Sache auch komplizieren kann: Den Felskopf P. 2043 westlich vom Gustispitz umgeht man eigentlich auf dessen Südseite. Das wusste ich zwar, aber konnte der Versuchung nicht widerstehen und bin einfach weitergelaufen. Das verläuft zunächst ganz angenehm. Als ich es fast schon geschafft habe, stehe ich plötzlich vor der bösen Schlüsselstelle (T6+/IV), welche im Abstieg begangen werden muss. Oben steile Schrofen gefolgt von einem leicht überhängenden Riss, der in einer Schuttrinne endet. Mein Glück, im Riss kann man sich abwärts einigermassen sicher runterklemmen/-lassen. Im Aufstieg wäre ich hier klettertechnisch aufgelaufen. Die Stelle ist jedoch nicht ausgesetzt und könnte im Extremfall eventuell abgesprungen werden. Es steckt übrigens ein älterer Schlaghaken. Aus der erwähnten Schuttrinne in wenigen Metern zurück auf den Hauptgrat und runter nach Schwalmeren (1934m).
Der zweite Leckerbissen folgt sogleich: über den Ostgrat zur Nünenenflue (2101m). Die Route erachte ich als perfekte T6-Referenztour. Zunächst auf Spuren in die steile Südflanke reinqueren, um anschliessend relativ direkt zum Ostgrat aufzusteigen. Diesem folgt man, teilweise in die Nordflanke ausweichend, auf erstaunlich guter Spur. Ergo fällt die Orientierung leicht und den Gipfel kann man ohnehin kaum verfehlen... Für mich als erfahrenen T6-Gänger ist das Genuss von A bis Z. Nordseitig erspähe ich zwei weitere Berggänger unterhalb vom Nordgipfel. Ich werde sicherlich wiederkommen, um mich dann an der Nordrippe zu versuchen. Abstieg wie erwähnt über die gleiche Route zurück in den Pass.
Von hier bis rüber zur Bürgle (2165m) herrscht wie angerührt viel Verkehr. Insbesondere der Gantrisch (2176m) steht heute hoch in des Berners Wandergunst. Schnell weg hier, um auf der Gemsflue (2154m) wieder von der Einsamkeit verschluckt zu werden. Zeit für eine erste Pause nach 4:50 Marschzeit und ein leckeres Sandwich, mehr für Geist als Körper. Natürlich markiert die folgende Überschreitung des Gemsgrats ebenfalls einen Höhepunkt, den ich unbedingt weiterempfehlen kann. Aber an die Nünenenflue und später die Alpiglemäre kommt er einfach nicht ran. Zu gut ist die Wegspur, zu bescheiden der Einsatz der Hände. Die Stöcke brauche ich gar nicht weglegen, aber das soll bitte niemanden verleiten...
Auf dem Ochse (2188m) stellt sich eine kleinere Krise ein, denn ich realisiere, dass ich getränkemässig (zu) knapp kalkuliert habe. Nicht dramatisch, aber Wasser rationieren schmälert einfach den Genuss. Etwas lustlos steige ich zum Hane (2115m) hoch, wo die Überschreitung des recht langen Alpigemären-Grats ansetzt. Die gute Laune ist umgehend zurück, denn wider Erwarten erweist sich die Abfolge verschiedener Felsaufschwünge als zunehmend anspruchsvolle Angelegenheit. Ab P. 2081 bewegt man sich im T6-Bereich und der griffige Kalk erinnert mich - im besten Sinne - an meine alpine Heimat. Über die Westrippe von P. 2081 verläuft übrigens eine Kletterroute. Ich erkenne ein Routenbuch und steige einige Meter den Grat ab, lasse es zuletzt aber bleiben - warum unnötige Risiken eingehen? Abstieg von P. 2081 über die offensichtliche Grasrampe. Auch der Abstieg vom Westgipfel P. 2071 ist vor Ort offensichtlich: man folgt dem NW-Grat bis zu einem Durchgang.
Via Alpiglemären-Skigipfel runter in den Grenchegalm, wo ich ein Plätschern zu hören glaube. Und tatsächlich, etwas unterhalb vom Sattel ergiesst sich aus einem Altschneefeld ein Rinnsal. Ah, herrlich das kalte Wasser und ab sofort ist fertig rationiert. Vom Widdersgrind (2103m) verläuft ein durchwegs guter Weg über den Gratrücken in den Stand (1884m) ("Galitepass"). Das verbleibt im Bergwanderbereich. Der steile Wiederaufstieg zur Galiteflue (2113m) über Gras und Schrofen erreicht - bei idealer Linienwahl - eine T5. Aber es geht auch schwieriger, wie ich feststellen darf/muss. Im kurzen Übergang zur Schibe (2151m) sind zwei, drei luftige, aber sehr kurze Stellen zu überwinden, ansonsten harmlos. Oben mache ich es mir für eine zweite Pause gemütlich und erfreue mich ob der einsetzenden Abendstimmung, versüsst durch ein koffeinhaltiges Milchgetränk bekannter Marke und einen Nussgipfel. Irgendwie muss man sich motiviert halten. Mittlerweile haben die Wolken ihren langen Kampf gegen die Sonne verloren.
Der Schafarnisch (2110m) als letzter Gipfel des Tages rückt langsam in Griffweite, doch es verbleibt einiges an Strecke dorthin. Ab Chänelpass folge ich weiter dem Kamm und nicht etwa dem (umständlichen) Wanderweg. Das geht gut, erst zuoberst erreicht man kurz die T5, welche sogar umgangen werden könnte. Blick auf den Zähler, welcher bei gut 3100Hm steht. Ein Grinsen huscht übers Gesicht. Ein kleiner Riegel, ein paar Fotos und dann rein in die Seilbahn runter nach Oberwil im Simmental. Naja, nicht ganz... Leider gibt es vom Schafarnisch keinen effizienten Abstieg ins Tal bzw. zu einer ÖV-Haltestelle, egal in welche Richtung. Da heisst es in den sauren Apfel beissen und "Weile statt Eile". Runter in den Chüearnisch (1825m) und über den ehemaligen Wanderweg südwärts in den Kessel von Bärgli. Die Spur ist im Mittelteil nicht mehr durchgehend erkennbar, die Markierungen hingegen schon. Mit etwas Umsicht geht das gut. Einmal unten beginnt das kilometerlange Auslaufen über die Alpstrasse nach Oberwil i.S. (836m). Enge im Simmental läge zwar etwas näher, doch ich spekulierte auf ein offenes Restaurant. Sonntags um diese Uhrzeit vergebens, so gab's stattdessen einen klebrigen Proteinriegel nach den elf Stunden Marschzeit.
Zeiten (kum)
1:00 Chatz
1:45 Homad
2:10 Chrummfadeflue
3:10 Nünenenflue
4:00 Gantrisch
4:35 Bürgle
5:15 Ochse
6:15 Alpiglemären (Skigipfel)
6:55 Widdersgrind
7:50 Schibe
9:15 Schafarnisch
10:55 Oberwil