Unterwegs auf dem Strickpad [hikr.org] (original) (raw)

Es war einmal ein Wattenweg...

Vor langer, langer Zeit, konkret im 15. Jahhundert, so ist zu lesen, sei die Insel Wangerooge mit dem Pferdewagen erreichbar gewesen. Steht zumindest auf Wikipedia.
Vor nicht ganz so langer Zeit allerdings habe es eine Art Wattenweg zur Insel gegeben, den sogenannten Strickpad. Warum auch nicht? Die Nachbarinsel Spiekeroog im Westen lässt sich bekanntermaßen er-watt-wandern, ebenso die unbewohnte Minsener Oog im Osten. Was ist also mit Wangerooge?

Tatsache ist, dass keine Wattführungen nach Wangerooge angeboten werden. Ich will es trotzdem probieren und dokumentieren, schon weil es eine logische und historische Route ist. Ob historisch hier auch "zugelassen" bedeutet, weiß ich nicht...
Jedenfalls sicherheitshalber ein klarer Hinweis - wer das auch machen will, geht (wie immer!) auf

eigenes Risiko

und auf

eigene Kosten

!

Soweit mir bekannt, ist die Siedlung Tengshausen der historische Ausgangspunkt des Strickpads. Tengshausen befindet sich etwa zwei Kilometer westlich von Minsen (Wangerland) und Minsen wiederum ca. fünf Kilometer westlich des Badeorts Schillig.
Wenn man genau auf die Karten schaut (z. B. auf die openstreetmap.de), findet man einen kleinen Pfad, der am Deich nordwestlich von Minsen (bzw. nordöstlich von Tengshausen) ansetzt und bis ans Watt heranführt. Genau dort möchte ich die Tour beginnen.

Es gibt theoretisch eine Busverbindung nach Tengshausen und Minsen, doch diese ist so schlecht mit dem Endpunkt der Tour in Harlesiel kompatibel, dass ich versuche, das Auto am Startpunkt zu parken, um später mit dem Taxi dorthin zurückzukehren.
In den engen Gassen Minsens finde ich keinen "guten" Parkplatz, wo ich den ganzen Tag stehen könnte, ohne dass es vielleicht jemanden stören wird. Also fahre ich auf der K87 westwärts in Richtung Tengshausen bzw. Harlesiel und entdecke schließlich einen Abzweig zum Deich gegenüber des Abzweigs nach Bassens. Dort ist zwar kein expliziter Parkplatz, aber reichlich freier Raum (natürlich vor dem Fahrverbot). Jedenfalls habe ich keine "moralischen" Bedenken, den Wagen dort abzustellen.

Endlich kann es losgehen! Ich wandere zuerst zum Deich und laufe dann ein paar hundert Meter ostwärts bis zu der Stelle, an welcher der Pfad laut Karte beginnen soll. Und tatsächlich ist es ein explizit erlaubter Weg durch die Salzwiesen bis ans Meer haran, wo sich eine Sitzbank befindet. Ich meine sogar, schwache Trittspuren weiter ins Watt herein zu erkennen. Ist es wirklich Zufall, dass gerade hier ein Pfad durch die ansonsten sehr schlecht begehbaren Salzwiesen existiert und scheinbar im Nirgendwo endet?

Da es endlich einmal angenehm warm und nicht zu windig ist, beschließe ich, nur in der Badehose (und mit Schuhen!) ins Watt zu gehen. In der Regel nutze ich nämlich eine lange Funktionshose.
Zuerst folgt ein ziemlich langer Abschnitt von etwa zweieinhalb Kilometern, der sowohl anhand der Karte als noch nach dem Luftbild keine markanten Stellen oder Hindernisse beinhalten wird. Glleich zu Beginn gibt es - wohl zum Küstenschutz - eine Steinschüttung vor dem "eigentlichen" Watt, über die ich eben hinwegsteige.

Der Marsch nach Nordwesten beginnt recht gutmütig. Ich wandere durch zahmes Mischwatt, das schon bald mit einer dünnen Schicht Wasser bedeckt ist. Kein Wunder, denn bis zum Niedrigwasser sind es noch etwa zweieinhalb Stunden. So ein monotoner und völlig konturloser "Weg" ist eine gute Orientierungsübung.
Ich habe mir angewöhnt, zuerst mit GPS die Richtung anzupeilen und dann irgendein "Ziel" in dieser Richtung zu suchen und darauf zuzuwandern. In diesem Falle ist es ein einzelnes Dach auf Wangerooge, das bereits ohne Fernglas einigermaßen zu sehen ist. Auch markante Dünen, Leuchttürme oder sogar Windräder sind gut geeignet.

Hat man erstmal ein Ziel, kann man leicht zehn, fünfzehn Minuten darauf zulaufen, ehe es an der Zeit ist, den Kurs wieder mit GPS (oder Kompass) zu prüfen. Läuft man aber ganz ohne Ziel "geradeaus", macht man unwillkürlich irgendwann einen Bogen. Verrückt!

Nach etwa anderthalb Kilometern wird das Watt zusehends schlickiger. Sonst ist das eher umgekehrt, wenn man sich von der Küste entfernt. Naja, das strengt zwar an - zumal auch das Wasser immerhin 30 Zentimeter tief steht - ist aber noch kein sonderliches Problem. Tückische Löcher wie bei der Arngast-Tour fallen mir nicht auf.

Nach etwa einer Stunde ab der Ruhebank an der Küste erreiche ich den ersten Priel, der das küstennahe Watt von dem sogennanten Hohen Rücken trennt. Der Priel ist kein Problem. Dort ändere ich meinen Kurs mehr nach Norden und gehe weiter. Ein zweiter Priel existiert eigentlich nur auf dem Luftbild.

Quasi von einem Schritt auf den anderen lässt der Schlick nach und ich kann auf festem Sandwatt weitergehen. Schön! Außerdem ist der Hohe Rücken fast komplett trocken und ich muss nicht mehr so mühsam durchs Wasser treten.

Ein Kilometer weiter nördlich kommt dann ein Hindernis. Nein, kein Priel, sondern ein großes Austernfeld. Das erkennt man im Luftbild an der dunklen Farbe (Algen) und der gefelderten Struktur. Diese Bereiche sind durchaus ernstzunehmende Hindernisse, denn die Muscheln selbst sind sehr scharfkantig (Schuhe!) und dazwischen liegt oft tiefer Schlick.
Vor Ort sehe ich drei Möglichkeiten, um vorwärtszukommen:
(a) von Muschelbank zu Muschelbank zu hüpfen,
(b) durch den Schlick zu stapfen,
(c) den Prielen zu folgen, die den Bereich entwässern.

Da der Wasserstand inzwischen wie erhofft und vorhergesagt (Ostwind!) tief ist, geht (c) im Endeffekt am schnellsten. Auf dem Grund der Priele ist der Schlick nämlich meistens weggespült. Natürlich lohnt es sich nicht, jeden "Umweg" mitzumachen. denn auch (a) und (b) führen mit etwas Mühe zum Ziel.
Das Austernfeld zieht sich fast einen Kilometer hin, endet dann recht abrupt und macht wieder mal einer schlickigen Zone Platz.

Da der Schlick zwar mühsam, aber keineswegs unbegehbar ist, entscheide ich mich nach einer kurzen Überlegung zum direkten Weiterweg nach Norden auf das Wattfahrwasser zu. Laut Luftbild KÖNNTE es weiter östlich günstiger sein - Sandwatt? - aber dafür ist die Strecke länger und mehrere Priele müssten durchquert werden.
Ein zweiter Austernfeld - wie ich anhand des Luftbildes vermutet hätte - existiert nicht. Stattdessen sehe ich schon von Weitem ein trockengefallenes Segelboot im Wattfahrwasser. Irgendwie motiviert mich das und ich komme eher schneller als gedacht voran. Kurz vorher muss noch ein Priel gequert werden, der eigentlich keine Erwähnung verdiente, doch auf seiner Nordseite liegt ein richtig ekliger schwarzer Schlick, der mir kurzzeitig bis übers Knie geht und erbärmlich stinkt. Igitt! Zum Glück sind das nur ein paar Meter.

Das Wattfahrwasser, auch Telegraphenbalje genannt, ist ist heute und weniger als eine Stunde vor Niedrigwasser höchstens einen Meter tief. Also kein großes Hindernis.
Jenseits der Telgraphenbalje ist der Weg zur Insel frei! Leider überwiegt auch dort der Schlick, aber allmählich habe ich mich schon daran gewöhnt.

Nun wird es Zeit, einen sinnvollen Zielpunkt auf Wangerooge anzupeilen. Ich entscheide mich für den Südoststrand, ca. zwei Kilometer westlich der Ostspitze der Insel. Eine gute Wahl. Der letzte Kilometer ist dann wieder leicht zu laufen und ich kann den Strand ohne Probleme betreten. Für die Wattwanderung - etwa acht Kilometer - habe ich ca. zwei Stunden und 45 Minuten gebraucht. Das ist weniger, als ich vermutet hätte!

Der schmale Strand ist eigentlich kein Highlight, aber gemütlich genug für eine Pause. Ich putze mir den Schlick von den Beinen, ziehe eine kurze Hose an, trinke ein Bier - und fange an, herumzutelefonieren, um ein Taxi für die Rückreise auf dem Festland zu organisieren. Ich hatte schon so ein Gefühl, dass das problematisch werden könnte, denn Harlesiel - Minsen gehört sicher nicht zu den populären Routen in der Gegend. So bin ich auch nicht übermäßig verwundert, dass einige Taxibetriebe - die eine längere Anfahrt hätten - glatt ablehnen. Schließlich habe ich bei Taxi Wangerland Glück.

Wangerooge hatte früher einen Anleger nahe der Ostspitze, dessen Reste noch existieren. Das interessiert mich und so wandere ich eine halbe Stunde am Südstrand entlang nach Osten. Tatsächlich sind dort - an der sogenannten Blauen Balje - noch dutzende Pfähle ins Meer gerammt und werden nach wie vor von Freizeitbooten als Reede genutzt. Ansonsten gibt es dort Strandglas, nur leider nicht so schön glattgeschliffene Stücke wie auf Helgoland, sondern eher Zeug, das noch an Scherben erinnert. Also Vorsicht beim Barfußlaufen!

An der eigentlichen Ostspitze der Insel geht der schmale Südstrand nahtlos in den gewaltig breiten Nordstrand über. Interessant ist auch der Blick über die strömungsreiche Blaue Balje hinweg zur Minsener Oog.
Für den Rückweg wandere ich am Nordstrand entlang westwärts und beobachte die kleinen und größeren Schiffe auf der offenen Nordsee. Nach etwa drei Kilometern am Strand gibt es einen Übergang in die Dünen, der etwas undeutlich gekennzeichnet ist. Hat man ihn erstmal gefunden, sind es nur ein paar Schritte zu einem hölzernen Aussichtspunkt ("JEVER-Plattform") mit ein paar Bänken. Hier vergammele ich fast eine Stunde und beobachte ein großes Containerschiff auf seinem Weg von Antwerpen nach Wilhelmshaven. Das steht zwar nicht an dem Pott dran, aber man kommt drauf, wenn man den Schiffsnamen googelt...

Ich habe es nicht eilig, in den Ort zu kommen und mache noch einen Umweg um den Flugplatz herum. Dort ist ganz schön Betrieb. Alle paar Minuten startet oder landet ein Propellerflugzeug. Man kommt ziemlich dicht ran, am Deich sind sogar Warnschilder aufgestellt, dass man nicht direkt in der Einflugschneise herumstehen solle.

Schließlich ist es dann an der Zeit, weiter zum Eingang des Flugplatzes zu gehen, denn ich habe einen Platz in einer dieser kleinen Maschinen reserviert. Obwohl ich hier in Ostfriesland schon gelegentlich mal fliege, ist es nach wie vor ein cooleres Erlebnis, als etwa einen Linienbus oder einen Bummelzug zu benutzen.
Jetzt in der Saison wird Wangerooge halbstündlich von je zwei Islandern bedient. Die Procedure ist wie immer super entspannt (man meldet sich zwanzig Minuten vor der Zeit am Schalter und wird aufgerufen, sobald es losgeht). Durch den Ostwind bekomme ich heute ein paar Flug-Kilometer mehr zum selben Preis ;-). In Harlesiel angekommen fährt auch schon mein bestelltes Taxi vor. So muss das sein!

Diese Wattwanderung ist durch den vielen Schlick ziemlich anstrengend und auch ein bisschen monoton. Ich hatte durch den Ostwind wenig Wasser und dementsprechend kaum Schwierigkeiten mit den Prielen, was natürlich nicht immer so sein wird. Wie erwähnt wird der Strickpad nicht geführt und ein Alleingang erfolgt

vollkommen auf eigenes Risiko

- ausreichend Erfahrung und eine individuelle Planung sollten selbstverständlich sein! Generell braucht es eine adäquate Vorbereitung (Gezeiten, Wetter, Zeitmanagement) und eine angemessene Ausrüstung (Karte, Kompass, Navi, sinnvolle Kleidung, Schuhe, Wanderstock).

Fazit - "Inselverrückt" ist mehr als ein lokaler Werbeslogan...