Heute vor 150 Jahren: Brandbrief Ludwigs II. vom Herzogstand (original) (raw)
Stand: 15.08.2021, 08:00 Uhr
König Ludwig II. war oft auf dem Herzogstand. Am 15. August 1871, also vor exakt 150 Jahren,verfasste er dort einen Brief, der viel über seine Vorstellungen von einer absoluten Monarchie verriet. © MM-Archiv / Bildagentur Huber
Wer sich für König Ludwig II. und bayerische Geschichte interessiert, für den jährt sich am heutigen Sonntag ein interessantes Ereignis. Der Tölzer Historiker Dr. Christof Botzenhart hat sich damit beschäftigt.
Kochel am See – „Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein“, hat Ludwig II. einmal geäußert. Wie viel Wahrheit darin steckt, hat der Tölzer Dr. Christof Botzenhart in seiner gleichlautenden Dissertation über die politischen Ambitionen des sogenannten Märchenkönigs herausgearbeitet. Darin zu finden ist auch ein Brief, den Ludwig II. vor 150 Jahren bei einem seiner alljährlichen Besuche auf dem Herzogstand (siehe unten) geschrieben hat. Ein Schreiben, das Erstaunliches über seine Gedankenwelt und Pläne offenbart.
Kurzer Hintergrund: Am 18. Januar 1871 wurde in Versailles Kaiser Wilhelm I. – mit Zustimmung des bayerischen Königs – zum Deutschen Kaiser ausgerufen. In Bayern hatte nach 1848 ein zunehmend selbstbewusst agierendes Bürgertum das Wahlrecht durchgesetzt. Der Landtag besaß das Recht zur Gesetzgebung, es galt die Ministerverantwortlichkeit. In diesem Klima der Liberalisierung gediehen Parteien, Zeitungen, Vereine – und der Rechtsstaat. Das war nun nicht im Sinne Ludwigs II., der nicht gewillt war, seine absolutistischen Herrschaftsvorstellungen nach dem Vorbild des französischen Sonnenkönigtums aufzugeben. Im Gegenteil. Er rief einen Geheimbund ins Leben, genannt „Coalition“, dessen Aufgabe es sein sollte, in Bayern das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen und das absolute Regierungssystem wieder herzustellen. Die Verfassung sollte, so ist bei Botzenhart zu lesen, aufgehoben und die Landesvertretung abgeschafft werden. Botzenhart ist der erste Historiker, der das bislang fast unbeachtete Thema Coalition detaillierter behandelte.
Dr. Christof Botzenhart ist Historiker und lebt in Bad Tölz. © Archiv
Vor diesem Hintergrund ist der Brief zu verstehen, den Ludwig II. am 15. August 1871 in seinem Königshaus am Herzogstand an den Oberleutnant Johann Krahl schrieb. In ihm wettert der Monarch gegen die „verhasste deutsch-nationale Regierung“ und „die von Preußen aus gezahlten Redakteure und Korrespondenten“. Er fordert Krahl, den damaligen Vorsitzenden der „Coalition“, auf, „energisch zu handeln. Speisen Sie mich nicht mit leeren Versprechungen ab, was mich aufbringt und erbittert“.
Die Rede ist von einer „fürchterlichen Inquisition“
Der Tonfall des Schreibens ist forsch und mitunter alles andere als königlich. „Lassen Sie den hundsgemeinen nichtswürdigen Sigl (gemeint ist ein Journalist, Anm. d. Red.) mit einem Regen von scharfen Drohbriefen überschütten, hilft dies nicht, was ich leider annehmen muss, so muss er ohne Gnade und Barmherzigkeit in die Bastille.“ Und dann kommt die eigentliche Botschaft des – der Titel wird ihm keinesfalls gerecht – Märchenkönigs: „Wie eine eiserne strenge, fürchterliche Inquisition muss die Coalition unsichtbar, aber doppelt machtvoll das ganze Land beherrschen und jede schlechte Regung im Keim ersticken, die freiheitlich demokratische, nationale Richtung sowie die ultramontane römische bekämpfen“. Der von Botzenhart zitierte Brief liegt im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher.
Regierungschefs unter sich: Der Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber kam zur Einweihung der neuen Bahn am 27. August 1994 auf den Herzogstand und machte Station am Ludwig-Denkmal. © Haderlein / Archiv
Aus den ehrgeizigen geheimen Plänen Ludwigs wurde bekanntlich nichts. Viele der Verantwortlichen in der Coalition „gaukelten“, so ist der Eindruck des Historikers Botzenhart, „dem König lediglich etwas vor, um sich an den Geldern zu bereichern, die Ludwig II. ihnen gab“. Als „ungefährliche Spielerei“ dürften diese Pläne aber nicht abgetan werden, so Botzenhart. Wären sie bekannt geworden, „hätten sie für einen Skandal gesorgt“.
Noch zu Lebzeiten Ludwigs II. gab es Erpressungsversuche ehemaliger Coalitions-Offiziere und wurden Briefe mit brisantem Inhalt zurückgekauft. Einer der Erpresser agierte dabei aus den Vereinigten Staaten. Sogar Ludwigs Nachfolger, Prinzregent Luitpold, hatte sich noch mit diesem unliebsamen politischen Erbe und der Deutungshoheit darüber zu befassen.
Vom Farchenberg zum Herzogstand
Der Kochler Heimatforscher Hans Schöfmann hat 1990 den Brand der Herzogstandhäuser zum Anlass genommen, ihre Geschichte niederzuschreiben. Der frühere Farchenberg wurde zum Herzogstand, nachdem die Bayern-Herzöge Ludwig und Wilhelm im frühen 16. Jahrhundert dort immer wieder zur Jagd gegangen waren.
Das sogenannte Königshaus: Es wurde 1866 errichtet und besaß am Dach eine Aussichtsplattform. Sie war über eine Wendeltreppe vom Königszimmer aus erreichbar. © cs-press
1857 setzte König Max II. die alte Jagdtradition fort und erbaute etwa eine halbe Stunde unterhalb des Gipfels eine kleine Jagdhütte. Auch der, sogar für zweirädrige Kutschen befahrbare Reitsteg, entstand damals. Ludwig II., der 1864 als König nachfolgte, ließ 1866/67 etwas höher ein „Schlafhaus“ erbauen. Das ist etwas untertrieben. Das Haus bestand laut Schöfmann aus einem Königszimmer mit einer kunstvollen Kassettendecke. Eine Wendeltreppe führte hinauf aufs Dach, wo sich eine Aussichtsplattform befand, auf der Ludwig den wunderbaren Ausblick auf die Alpen genoss. Dieses Gebäude wurde später Königshaus genannt.
Ludwig II. kam vermutlich jedes Jahr auf den Berg
Der Monarch war 1867 erstmals am Herzogstand und 1885, im Jahr vor seinem Tod, letztmals. Schöfmann schätzt, dass er alljährlich einmal auf dem Aussichtsberg hoch über dem Walchensee Station machte. Die Reiseroute führte ihn gewöhnlich weiter zum Altlacher Hochkopf, nach Vorderriß, zum Gramersberg und zum Soiernhaus.
Nach dem Tod Ludwigs II. wurden die königlichen Häuser an den Alpenverein München verpachtet, in dessen Händen sie bis 1957 blieben. Als 1895 nach einem Blitzeinschlag das Jägerhaus von Max II. abbrannte, wurde es 50 Meter höher neben dem Königshaus neu errichtet. Das neue, nun viel großzügigere Herzogstandhaus besaß Gastzimmer, Matratzenlager und eine Küche. Das war auch nötig. Nachdem 1898 die Bahnstrecke Penzberg-Kochel eröffnet wurde, schnellte die Besucherzahl am Herzogstand sprunghaft in die Höhe.
Großbrand 1990: Auch alle Hüttenbücher gingen verloren
Im Jahr 1957 wurden die Herzogstandhäuser vom Alpenverein an die Familie Hartl veräußert, die zuvor drei Jahrzehnte die Tutzinger Hütte am Fuß der Benediktenwand betreut hatte. Die Hartls stellten das „Königshaus“ in der Folge der Kochler Bergwacht als Dienstraum zur Verfügung. Schon 1895 zeigen Bilder, dass das Königshaus umgebaut worden war und die Aussichtsplattform verschwunden war. In der Nacht vom 19. auf den 20. November 1990 wurden die alten Herzogstandhäuser (und mit ihnen auch alle alten Hüttenbücher) ein Raub der Flammen. Ein defekter Kachelofen war die Ursache. Der damalige Kochler Bürgermeister Sigi Zauner und seine Frau Helma (geb. Hartl) wagten sich an den Neuaufbau der Häuser. Als am 27. August 1994 die neu gebaute Herzogstandbahn eröffnet wurde, stand mit den neu gebauten Herzogstandhäusern auch die nötige Infrastruktur zur Verfügung, um einen der Lieblingsberge König Ludwigs II. dem Massentourismus zu erschließen
Info: Am 11. Februar 2022 wird sich Historiker Christof Botzenhart in der neuen Tölzer Veranstaltungsreihe „Akademie am Schloßplatz“ den Fragen von Christoph Schnitzer zu den politischen Ambitionen König Ludwigs II. stellen.
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