Vom Inferno zur Traumwelt | NZZ (original) (raw)

War er ein Schriftsteller, der zufällig malte? Jedenfalls behauptete August Strindberg in einem Essay, die Malerei sei für ihn eine Freizeitbeschäftigung. Weder steht sein Name in jedem Künstlerlexikon, noch hängt in vielen berühmten Museen ein Werk von ihm. Er hatte

War er ein Schriftsteller, der zufällig malte? Jedenfalls behauptete August Strindberg in einem Essay, die Malerei sei für ihn eine Freizeitbeschäftigung. Weder steht sein Name in jedem Künstlerlexikon, noch hängt in vielen berühmten Museen ein Werk von ihm. Er hatte das Malen selbst erlernt - ein Amateur also? Anders scheint es mit ihrer gegenwärtigen und grossen Strindberg-Hommage die Londoner Tate Modern zu sehen. Und anders sah es schon ein Jahrzehnt früher das Londoner Auktionshaus Christie's: «August Strindberg, international als ein Pionier der Schauspieldichtung anerkannt», hiess es in einem Christie's-Katalog, «darf überdies als einer der bedeutendsten Maler seiner Zeit gesehen werden.» Zwar holte das von Christie's gleichzeitig angebotene, 1901 entstandene Strindberg-Gemälde «Inferno» dann sage und schreibe 1,2 Millionen Pfund, doch die Eintragung im Katalog entsprach dem üblichen Auktionshaus-Jargon. Und dennoch: Wie die zeichnerischen und malerischen Versuche Victor Hugos, eines anderen Giganten der Literatur, sind Strindbergs Bilder mehr als nur eine Fussnote zu des Mannes schriftstellerischem Werk.

Schon in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte Strindberg für eine schwedische Tageszeitung Kunstkritiken zu schreiben begonnen. Was aber das eigene Malen anbetrifft: Im Gegensatz zu seiner Aussage malte er nicht in seiner Freizeit, sondern periodisch, wann immer ihn die dichterische Ader im Stich liess - in Zeiten, in denen ihn geistige Qualen, durch seine stürmischen drei Ehen oder finanzielle Engpässe ausgelöst, zu erdrücken drohten. Für Strindberg, dessen ungemein reges Innenleben ihn zu immer neuen Experimenten drängte - sowohl Spiritualismus, Theosophie als auch Alchemie gehörten zu seinen Interessen -, war die Malerei ein Mittel zur Auseinandersetzung mit der «condition humaine». Seine psychotische Intensität übertrug sich unmittelbar ins Bild: So wogt in der Londoner Ausstellung eine 1894 gemalte Alpenlandschaft wie ein stürmischer Ozean, ja ist im kleinen Ölgemälde «Cliff I» aus dem Jahr 1902 ein Küstenfelsen nichts anderes als Strindbergs umgekehrtes Profil. Grübelt Strindberg, drücken in den Bildern dunkle Wolken auf die See - und fühlt er sich ausgestossen oder bedrängt, lässt er eine einzelne Pflanze auf den Dünen darben oder macht er eine Boje zum Spielball des Wassers. Hinter Strindberg dem Maler, man vergesse es nicht, stand Strindberg der Dramatiker.

Malerische Metaphern

Strindberg arbeitete vorzugsweise mit einem Spachtel - seine Technik, mischte er Farbe doch oft auf der Leinwand, kam der Fingermalerei recht nahe. In vielen Bildern mutet sogar das Thema unfertig, ja formlos an: Felsen, Wasser, Himmel und Witterung scheinen aus demselben Zeug und lassen sich - so im 1894 gemalten «Seestück mit Felsen» oder auch in «Golgatha, Dornach» aus dem gleichen Jahr - nur schwer unterscheiden. Aber wenn auch die Ausstellung in der Tate Modern Strindberg nicht als ein absolutes Genie mit dem Pinsel, oder eben Spachtel, ausweist: Sie lässt auf Schritt und Tritt erkennen, wie er für seinen Seelenzustand unfehlbar eine malerische Metapher zu finden verstand. Im Gegensatz zu Caspar David Friedrich vermag Strindberg, wenn sich bei ihm Meer und Land treffen, keine fast heilige Scheu vor der Weite der Welt heraufzubeschwören. Doch es fehlen in seinen Bildern eben auch die kleinen Menschen - seine Welt ist den Urgewalten untertan, ist in Werken wie den genannten ein düsteres kosmisches Durcheinander.

Zu Gauguin hatte Strindberg gesagt, seine Kunst sei zu sonnig für ihn. Interessanterweise haben denn Strindbergs finstere Bilder auch etwas mit seinen ebenfalls in der Tate Modern gezeigten fotografischen Experimenten aus dem Jahr 1894 gemeinsam: Es sind dies ohne Kamera gemachte «Photogramme» des nächtlichen Himmels - die wie seine Gemälde dem Betrachter eine dunkle, den konventionellen Wissenschaften fremde Wirklichkeit vorspiegeln.

Traumwelten

Im späten Werk erst, ab dem Jahr 1901, weichen Strindbergs ineinander fliessende Landschaften einer zuvor einzig im Gemälde «Wonderland» angedeuteten Traumwelt. Die Öffnung in der Bildmitte scheint des Malers Ausweg aus seiner inneren Hölle zu sein - ein Fenster, durch das er jetzt, hatte er doch aus seiner schweren, im Bild «Inferno» noch festgehaltenen Psychose der vorangehenden Jahre herausgefunden, in eine ruhigere, in «The Child's First Cradle» gar heitere Natur hinausblickt. Der Himmel und das Meer, Luft und Wasser also, sollten jedoch dieses Malers bevorzugte Themen bleiben. Vor seinem Werk in der Tate Modern fragt man sich unwillkürlich, wie Strindberg wohl auf den gleichzeitig in der Tate Britain gezeigten Vergleich zwischen Turner, Whistler und Monet reagiert hätte.

Die Strindberg-Show ist die erste in einer Serie von Ausstellungen, mit denen sich die Tate Modern, wie es eine Sprecherin formuliert, mit «den Wurzeln der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts» auseinandersetzen will. Der Auftakt mit Strindberg ist ein interessanter - wobei darin dem Besucher allerdings mehr als der Gedanke an den Symbolismus oder den abstrakten Expressionismus die Einsicht kommt, wie unauflösbar Strindberg der Maler eben mit Strindberg dem Schriftsteller verbunden war. Oft widerhallen in den Bildern Stellen aus dem literarischen Werk, so im wiederholt dargestellten Thema «The Wave» etwa der Anfang des Romans «Am offenen Meer». Der selbstquälerische und selbstzerstörerische Bekenntnisdrang des Skeptikers manifestiert sich auf der Leinwand ebenso wie im Buch oder Schauspiel. Sein aufgewühltes Unterbewusstsein nährte stets die kreative Ader. Doch meisterhafter war Strindberg mit dem Wort: Ein Äquivalent zum Beispiel für die sublim melancholische Resignation in seinem «Traumspiel» findet sich im malerischen Werk nicht. Trotzdem vermag die Ausstellung in der Tate Modern im Besucher den Wunsch anzuregen, den Dialog mit Strindberg möglichst bald fortzusetzen. Gelegenheit dazu bieten die Londoner Theater.

Georges Waser

August Strindberg: Painter, Photographer, Writer. Bis zum 15. Mai. Katalog £ 19.99.