Nachruf auf Hans Eichenberger, Designer und Gestalter der modernen Schweiz (original) (raw)

Einrichter der modernen Schweiz. Ein Nachruf

Hans Eichenberger, gelernter Schreiner, Gestalter und preisgekrönter Vertreter des Schweizer Designs, ist 97-jährig gestorben.

Hans Eichenberger im Bistro der Wohnsiedlung Halen, das er als Innenarchitekt gestaltet hat. Im Vordergrund der ebenfalls von ihm entworfene Saffa-Stuhl.

Hans Eichenberger im Bistro der Wohnsiedlung Halen, das er als Innenarchitekt gestaltet hat. Im Vordergrund der ebenfalls von ihm entworfene Saffa-Stuhl.

Gina Folly

Im Jahr 1985 sass der Designer Hans Eichenberger für einen Fernsehbeitrag in seinem Atelier, vor sich einen Zeitungsartikel, den er kommentieren sollte – über die Wohnräume der Bundesräte. «Bei Stichs» lauteten die Überschriften über den Fotos, «Bei Furglers» oder «Bei Delamuraz». Die Bilder machten den Designer ratlos. Mit leiser Resignation sagte er in die Kamera: «Ich praktiziere jetzt dreissig Jahre, aber wenn ich das sehe, frage ich mich wirklich: Wer liegt daneben? Die oder ich?

Hans Eichenberger prägte als Gestalter und Innenarchitekt das Schweizer Design der Nachkriegsjahre. Von ihm stammen zahllose Möbelklassiker: Tische, Stehleuchten, Kommoden, Dutzende von Sitzgelegenheiten, darunter Ikonen wie der Saffa-Stuhl oder der Expo-Stuhl. Mehrere Stücke stehen im Museum of Modern Art in New York. Aber Eichenberger gestaltete auch Räume: einen SBB-Wagen, das Café im Berner Kunstmuseum, den Sitzungssaal der Nationalbank in Bern. Das brachte ihn erst recht ins Grübeln, als er die bundesrätlichen Stuben betrachtete: «Ein Teil der Leute arbeitet in Räumen, die ich eingerichtet habe», sagte er und schloss ernüchtert: «Die fühlen sich dort möglicherweise gar nicht wohl, wenn sie sich dann privat in solche Umgebungen flüchten wie hier in der Zeitung.»

Geboren wird Hans Jakob Eichenberger – privat bleibt er für viele «Jöggu» – 1926 im bernischen Grosshöchstetten als zweites von drei Kindern. Der Vater arbeitet bei der Möbelfabrik Bigla, die auch Stahlrohrmöbel herstellt. Jöggu ist ein sportlicher Bub und ein angefressener Skifahrer. Nach der Schule hat er an seinem Wohnort eine Lehrstelle als Gemeindeschreiber in Aussicht. Aber je näher die Lehre rückt, desto «gschmuecher» wird ihm. Er wäre lieber Schreiner als Schreiber. Das sagt er schliesslich zu Hause und stösst auf Verständnis. Er kann eine Schreinerlehre im vierzig Kilometer entfernten Madiswil beginnen, Kost und Logis inbegriffen. Im dritten Lehrjahr, es ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges, wird er zur Rekrutenschule eingezogen. Zurück aus dem Dienst schliesst er mit der besten Lehrabschlussprüfung im Oberaargau ab.

Seinen Ausbildungsweg – über das Handwerk zur Gestaltung – empfiehlt Eichenberger allen, die mit dem Berufswunsch Designer an ihn herantreten. «Ich rate jungen Leuten unbedingt, zuerst in einen Fabrikationsbetrieb hineinzuschauen, gerade in eine Schreinerei, weil Schreiner eine Offenheit zu anderen Materialien haben.»

Mit 19 trifft er an einem Dorffest seine künftige Frau, Maria Dubi aus Clarens, mit der er bis zu deren Tod 2014 zusammen ist und drei Kinder grosszieht. Eichenbergers Lehr- und Wanderjahre führen ihn in eine Schreinerei in Vevey, als Zeichner-Volontär in eine Berner Möbelfabrik, als Zeichner nach St. Gallen und in ein Solothurner Innenarchitekturbüro. Dann zieht es ihn nach Paris, in den kulturellen Hotspot der fünfziger Jahre, wo er mit einer Mappe voller Arbeiten die Büros abklappert und als Praktikant beim Designer Marcel Gascoin angestellt wird. Dort entwickelt er günstige und seriell produzierbare Möbel aus Formsperrholz für Wohnungen im Rahmen eines staatlichen Wiederaufbauprojekts in Rouen und Le Havre.

1951 eröffnet er an der Berner Gerechtigkeitsgasse mit Kunstgewerbeschülern seinen eigenen Laden «form», in dem er selbstentworfene Möbel, Textilien und angewandte Grafik verkauft. Der Laden läuft mässig, aber Eichenberger baut ein Kontaktnetz auf und erhält erste Aufträge als Gestalter. Er lernt Teo Jakob kennen, Kurt Thut, Alfred Hablützel und die Brüder Robert und Peter Haussmann in Zürich. 1958 gründen sie die Gruppe Swiss Design, mit immensem Einfluss auf die Gestaltung der Schweizer Nachkriegsjahre.

Eichenberger trifft auch die Architekten von Atelier 5, die damals die Siedlung Halen in Herrenschwanden bei Bern planen, eine moderne Wohnutopie aus Beton mitten in einer Waldlichtung. Eichenberger gestaltet Bistro und Laden der Siedlung und richtet mit Möbeln von Swiss Design drei Musterwohnungen für Kaufinteressenten ein. Viele der Interessenten, klagt ein Architekt, hätten statt des Reihenhauses nur die Möbel kaufen wollen. Auch Eichenberger zieht mit der Familie in die Siedlung ein und wohnt und arbeitet bis fast ans Ende seines Lebens dort.

Der Designer bleibt ein Leben lang sportlich, er segelt begeistert, und als Skifahrer designt er 1966 auch eine Skibindung. Ein Freund macht ihn mit Ueli Gertsch aus Wengen bekannt, der eine neuartige Sicherheitsbindung ersonnen hat, die später auch von der Firma Head verkauft wird.

Eichenberger arbeitet bis ins hohe Alter in seinem Atelier. Er beginnt, seine Entwürfe zu ordnen, auch im Hinblick auf Reeditionen. Seine berühmte Stehleuchte, die er 1954 als Weihnachtsgeschenk für seine Frau konstruiert hatte, wurde etwa 2005 wieder produziert. 2016, mit 90 Jahren, erhält er vom Bundesamt für Kultur den Grand Prix Design. «Etwas spät», sagt er schmunzelnd. Er wisse ja gar nicht mehr recht, was er mit 40 000 Franken anfangen solle. Er werde das Geld wohl spenden und verschenken.