Lateinamerikas Büchse der Pandora | NZZ (original) (raw)

Die Bestechung von Politikern hat zum Geschäftsmodell des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht gehört – nicht nur in Brasilien. Nun bringt die Kooperation des Konzerns mit den Ermittlern die politische Klasse Lateinamerikas ins Zittern.

Das «System Odebrecht» hat nicht nur in Brasilien funktioniert. (Bild: Janine Costa / Reuters)

Das «System Odebrecht» hat nicht nur in Brasilien funktioniert. (Bild: Janine Costa / Reuters)

Es ging nicht etwa um kleine Aufmerksamkeiten, sondern um Hunderte von Millionen an Schmiergeldern. Damit hat der brasilianische Baukonzern Odebrecht die politischen Entscheidungsträger «überzeugt», lukrative Infrastrukturprojekte ihm in Auftrag zu geben. Die Bestechung hatte System und war Teil des Geschäftsmodells. Es gibt kaum einen öffentlichen Auftrag, den Odebrecht nicht überteuert und mit finanziellen Kickbacks entlöhnt hat. Der Konzern hatte sogar eine Spezialabteilung dafür.

Gekaufte Projekte weltweit

Nachdem die brasilianischen Untersuchungsbehörden dieses System im Rahmen der Ermittlungen im Petrobras-Skandal aufgedeckt und Firmenchef Marcelo Odebrecht nach Monaten in Haft zu mehr als 19 Jahren Gefängnis verurteilt hatten, entschloss sich der Konzern zur Kooperation. Dem brasilianischen Generalstaatsanwalt liegen Zeugenaussagen von 77 ehemaligen und aktiven Direktionsmitgliedern von Odebrecht vor. Ihr Inhalt, der vorläufig noch unter Verschluss gehalten wird, ist explosiv. Dutzende von ranghohen Politikern in Brasilien werden in den Aussagen erwähnt – selbst Präsident Temer, und das nicht nur einmal.

Odebrecht, heute ein Konzern von überregionaler Bedeutung, hat einen märchenhaften Aufstieg hinter sich. Die Aktivitäten beschränken sich längst nicht nur mehr auf Brasilien, wo Odebrecht an diversen Stadien für die Fussball-Weltmeisterschaft, Einrichtungen für die Olympischen Spiele und anderen grossen Infrastrukturprojekten mitgewirkt hat. Ob Pipelines in Peru, Kraftwerke in Venezuela oder die Beteiligung am Ausbau des Panamakanals: Die Brasilianer boten stets um die grossen Projekte mit – und in der Regel gingen die Verhandlungen in den Hinterzimmern der Verwaltungspaläste weiter. Wo die Institutionen am schwächsten sind, hat sich Odebrecht immer am wohlsten gefühlt.

800 Millionen Schmiergeld

Ende Dezember hat das amerikanische Justizministerium, das ebenfalls gegen Odebrecht ermittelt und den Konzern zu einer Milliardenstrafe verurteilt hat, eine Liste veröffentlicht, die das System Odebrecht geografisch verortet. In insgesamt zwölf Ländern sollen demnach Schmiergelder an Politiker, Parteien, Staatsfunktionäre und Mittelsmänner geflossen sein, und zwar in Brasilien, Argentinien, der Dominikanischen Republik, in Ecuador, Guatemala, Kolumbien, Mexiko, Panama, Peru und Venezuela sowie in den beiden afrikanischen Ländern Angola und Moçambique. Odebrecht hat die Zahlung von fast 800 Millionen Dollar bestätigt, mit welcher der Konzern die Vergabe von rund hundert Grossaufträgen zu beeinflussen suchte. Vermutlich dürfte die wahre Liste noch länger sein, ist Odebrecht doch in nicht weniger als 27 Ländern aktiv.

Die Enthüllungen haben in mehreren Ländern Ermittlungen angestossen. Odebrecht zeigt sich kooperationsbereit. Damit – und mit Straf- und Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe – will der Konzern retten, was noch zu retten ist.

Die Untersuchungen haben bereits zu ersten Verhaftungen geführt. In Peru ist Ende Januar ein ehemaliger Vizeminister der Regierung des früheren Präsidenten Alan García verhaftet worden. Er und weitere ehemalige Funktionäre sollen sich am Bau einer Metrolinie in Lima bereichert haben. Odebrecht hat eingestanden, zwischen 2005 und 2014 rund 29 Millionen Dollar Schmiergelder an peruanische Regierungsbeamte bezahlt zu haben. Die Regierung hat Odebrecht inzwischen alle Projekte im Land entzogen, darunter einen Milliardenauftrag für den Bau einer Gaspipeline. In Kolumbien ist es gar schon zu einem ersten Gerichtsurteil gekommen, nachdem die frühere Nummer zwei im Verkehrsministerium, Gabriel García Morales, seine Verwicklung in den Korruptionsskandal eingestanden hatte.

Kirchner, Temer, Chávez?

Die Enthüllungen werfen nicht nur ein schiefes Licht auf unzählige Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe, sondern auch auf ehemalige und aktive Parlamentarier, Minister und gar Präsidenten. Glaubt man den spärlichen Informationen, die aus den Verhören der Odebrecht-Direktoren durchgesickert sind, müssen alleine in Brasilien unzählige Senatoren und Abgeordnete um ihren Ruf und ihre Freiheit bangen. Erwähnt werden neben dem amtierenden Präsidenten Michel Temer auch die beiden Vorgänger Rousseff und Lula da Silva.

Ein Konzern schmiert ganz Brasilien

Alexander Busch, Salvador 22.12.2016

Gegen Korruptionsvorwürfe muss sich auch Perus ehemaliger Präsident Ollanta Humala wehren. Er soll von Odebrecht drei Millionen Dollar für seinen Wahlkampf erhalten haben, was er bestreitet. Zu den Begünstigten soll auch der Sohn von Panamas früherem Präsidenten Ricardo Martinelli gehören. In Argentinien wird der Skandal die Justiz, die gegen die frühere Präsidentin Kirchner bereits im Zusammenhang mit anderen Korruptionsaffären aktiv geworden ist, mit zusätzlicher Munition gegen sie versorgen. In Kirchners Amtszeiten fällt die Zahlung von 35 Millionen Dollar im Zusammenhang mit drei Infrastrukturprojekten.

Auch nach Venezuela führen die Spuren von Odebrecht. Der Konzern hat dort Aufträge in der Höhe von insgesamt 16 Milliarden Dollar erhalten. 98 Millionen Dollar sollen laut Aussagen von Odebrecht an venezolanische Entscheidungsträger geflossen sein, womit Venezuela gemäss der Liste der amerikanischen Justiz hinter Brasilien an zweiter Stelle steht. Ein Teil des Geldes floss offenbar direkt in die Wahlkampfkassen von Hugo Chávez und des heutigen Präsidenten Nicolás Maduro. Das venezolanische Parlament hat soeben eine Untersuchung des Falls Odebrecht genehmigt. Da sich die Justiz in den Händen der Regierung befindet und dieser hörig ist, dürfte dies ein symbolischer Akt bleiben.

Spitze des Eisbergs

Die Affäre Odebrecht ist nicht der erste Korruptionsskandal in Lateinamerika, der die unheilige Allianz zwischen einem Konzern und der Politik beweist. Doch noch nie stand den Ermittlern eine derartige Fülle von Details zur Verfügung. Was die brasilianischen und amerikanischen Behörden bekanntgegeben haben, ist vermutlich erst die Spitze des Eisbergs. Die Aussagen einiger Direktionsmitglieder dürften den Skandal auf eine noch höhere Ebene heben. So zum Beispiel jene von João Carlos Nogueira, dem ehemaligen Direktor für Internationale Angelegenheiten. Er dürfte einiges zu sagen wissen über die Geschäfte im Ausland – auch in Ländern wie etwa Kuba, das noch nicht auf der Landkarte der Korruption aufgetaucht ist, obwohl Odebrecht dort mit brasilianischen Krediten einen grossen Hafen baut. Von höchster Brisanz dürfte auch das Wissen des ehemaligen Infrastruktur-Verantwortlichen Benedicto Barbosa Júnior sein, der überdies für die Spezialabteilung für Schmiergelder zuständig war.

Lateinamerika schaut gebannt nach Brasilien, wo all die Aussagen der Korrumpierer von Odebrecht dokumentiert werden und wie eine schwere Bombe liegen, die demnächst hochgehen wird. Kaum einer weiss, wie gross ihre Sprengkraft wirklich ist und wen sie am Ende treffen wird.